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Mutter sein – Warum Stillen nicht unbedingt „das Beste“ ist

…oder: Das Horror-Wochenbett

„Genießt die Zeit! Die ersten Wochen mit eurem Neugeborenen sind etwas ganz besonderes.“ Wie oft ich diesen Satz gehört und gelesen habe! Ja eh. Besonders furchtbar – in meinem Fall. Ich hatte ja keine Ahnung was uns blüht. Sicher, man stellt sich auf wenig Schlaf und ein schreiendes Baby ein, aber das Wochenbett hatte einige unangenehme Überraschungen für uns parat.

Zu schön, um wahr zu sein

Dabei hatte alles so gut begonnen. Die Geburt war problemlos gelaufen und ich spazierte wenige Stunden später voller Adrenalin und Glückshormone mit Baby am Arm zurück zum Auto. Wir hatten eine ambulante Geburt geplant, denn ich wollte die „besondere“ erste Zeit mit Stefan gemeinsam erfahren und nicht mit fremden Leuten im Krankenhaus.

Unvorbereitet ins Wochenbett

Das erste Anzeichen dafür, wie erschreckend unvorbereitet wir waren, kam dann schon am Parkplatz – wir hatten keine Ahnung, wie man einen Kindersitz richtig und sicher installiert und mussten erst ein paar Youtube Videos konsultieren, während die geduldige Hebamme den wenige Stunden alten Alfred hin und her wiegte. Aber solche Peinlichkeiten sind völlig egal. Die ersten Nächte schlief ich kaum, weil ich meinen Sohn die ganze Zeit beobachten musste. Unermessliches Glücksgefühl hielt mich wach.

Nicht zu sehen: Die Probleme durch das Stillen

So viel Liebe und Glück auf einem Foto – Danke Flora Fellner

Den Plan keine Besuche in der ersten Zeit zuzulassen, verwarf ich dummerweise sofort – schließlich ging es mir prächtig und ich wollte jedem meinen größten Stolz zeigen. Alles schien perfekt: Perfekte Schwangerschaft, perfektes Baby, perfekte Geburt.

Und dann kam der Milcheinschuss.

Obwohl ich mental darauf vorbereitet war, dass es zu einem Babyblues wenige Tage nach der Geburt kommen würde, hat er mich richtig schlimm erwischt. 

Viel Tränen und Verzweiflung

Der kleine Alfred weint zum Glück selten, aber Tränen gab es im Wochenbett genug. Ich war ständig verzweifelt, von irrationalen Schuldgefühlen und panischer Angst geplagt. Am schlimmsten war die Erkenntnis für mich, dass ich ab nun verletzlich war, wie ich es zuvor nie gewesen war, nie zugelassen hatte. Wenn Alfred etwas zustoßen würde, könnte ich nie mehr glücklich sein.

Ich fühlte mich mit diesen Gefühlen isoliert und hilflos. Besonders schlimm war es abends und nachts, wenn mich keine Besuche ablenkten. Und dann kamen die ganzen körperlichen Beschwerden dazu.

Wenn Stillen zum Alptraum wird

Die Realität ist leider nicht immer so schön

Alptraum Stillen

Seit dem Milcheinschuss, der vier Tage nach der Geburt einsetzte, kämpfe ich nämlich mit massiven Stillschwierigkeiten und den Folgen davon. Ich wusste, dass viele Frauen Probleme mit zu wenig Milch haben, bei mir war das Gegenteil der Fall. Weder ich noch Alfred kamen mit den Milchmengen und meinem – man muss es schon so sagen – Atombusen zurecht. Schon nach dem zweiten Tag hatte ich blutige Brustwarzen.

Stillen wurde zur Folter – ein Gefühl als würde man mir langsam die Brustwarzen abschaben. Nach dem Stillen war ich in Angstschweiß getränkt. Ich entwickelte eine Abneigung davor mein Baby an die Brust anzulegen und kämpfte mit der ungerechten Wut, die ich manchmal gegen den hilflosen Knopf in meinen Armen empfand.

Milchstau und eine Kaskade von Problemen

Die nachbetreuende Hebamme gab uns verschiedenste Tipps. Richtig „anlegen“ sei der Schlüssel, aber es klappte nicht.

Schon in der ersten Woche hatte ich eine Brustentzündung, ausgelöst durch einen Milchstau und vermutlich auch, weil ich mich zu wenig geschont hatte. Brustentzündung bedeutet hohes Fieber inklusive Schüttelfrost, Kopfweh und Gliederschmerzen. Ich war bald so schwach, dass ich mich ohne Stefans Hilfe nicht einmal aufsetzen konnte, um Alfred zu stillen.

Eigenbehandlung machte es schlimmer 

Ich ging aber nicht gleich zu einer Ärztin, sondern versuchte den Stau mit Abpumpen in den Griff zu kriegen. Das war kontraproduktiv, weil dadurch die Milchproduktion noch mehr angeregt wurde. Nachdem die erste Brustentzündung abgeklungen schien, ging es mir zwei Tage besser, doch dann kam das Fieber erneut und ich musste die Entzündung mit Antibiotika behandeln.

Wahrscheinlich als Folge der Antibiotika, bekam ich zu allem Überdruss auch noch einen schmerzhaften, juckenden Soor auf der Brust und mein Kind im Mund und holte mir wegen des geschwächten Immunsystems eine schwere Erkältung. Ich konnte vier Tage lang nicht mehr sprechen, geschweige denn Einschlaflieder vorsingen. 

Vielleicht war ambulant nicht die beste Idee

Stress fördert Milchstau. Tatsächlich hab ich unterschätzt, wie viel Ruhe ich nach der Geburt gebraucht hätte. Schon am Tag danach mussten wir zu einer Kinderärztin um Alfreds Herztöne zu kontrollieren – das hätten wir uns ersparen können, wäre ich im Krankenhaus geblieben. Eigentlich machten mir die ganzen Termine zuerst nichts aus, aber mein Körper spielte nicht mit.

Ohne Support ist frau verloren

Ich weiß von Freundinnen, die schon Kinder haben, wie wichtig es ist, dass der Wöchnerin jemand beisteht. Fehlt diese Unterstützung erholen sich die Frauen oft lange nicht von den Strapazen. Leider ist der sogenannte Papamonat eine Augenauswischerei für alle, die auf das Gehalt angewiesen sind. Ich weiß nicht, wie ich das alles ohne meinen Partner, der drei Wochen daheim bleiben konnte, überstanden hätte. 

In dieser enormen Abhängigkeit wechselte meine Stimmung rasch zwischen enormer Dankbarkeit und eifersüchtiger Aggression, weil er mir das verhasste Stillen einfach nicht abnehmen konnte.

Im Ausnahmezustand

Immer wieder überkam mich Panik, dass Alfred das ganze Drama mitbekommen und einen Schaden fürs Leben kriegen würde. Ich hatte das Gefühl schon jetzt zu versagen und haderte mit der Situation, da diese vermeintlich wertvolle erste Zeit, nur von Schmerzen geprägt war. Stefan war rund um die Uhr mit meiner Betreuung beschäftigt und angesichts der unkontrollierten Tränenausbrüche schlicht hilflos. Zum Glück haben wir ganz wunderbare Familien und FreundInnen, die uns durch diesen Ausnahmezustand geholfen haben.

Liebe, Freude und schmerzende Nippel – Fotografin Flora Fellner hat die Brust-Donuts rausretuschiert

Freundinnen, die schon Kinder haben, sprachen mir viel Mut zu. Es wird besser, sagten sie mantra-artig. Sie kennen diese widersprüchlichen Gefühle. Das immense Glück und die Liebe, wenn man sein zufriedenes Baby ansieht und dann wieder die seltsame Traurigkeit, die plötzlich da ist und sich einfach nur falsch und wie ein Verrat anfühlt. Darauf kann man sich wohl nicht vorbereiten.

Es wurde besser

Alfred ist jetzt acht Wochen alt und das Stillen funktioniert mittlerweile einigermaßen. Geholfen haben mir dabei zwei wesentliche Aspekte:

Eine gute Stillberaterin 

In der Stillambulanz des St. Josef Spitals bekam ich schließlich Hilfe. Die beratende Hebamme verschrieb mir eine Salbei- und Pfefferminztee-Kur, um die Milchproduktion radikal einzudämmen, erkannte eine weitere Problemlage (Raynaud-Syndrom in der Brust), die ich nun immerhin behandeln kann, und „erlaubte“ mir mit – bei vielen Stillberaterinnen verpönten – Stillhütchen zu stillen. Diese bergen zwar andere Tücken, aber dafür ist das Stillen damit erträglicher. 

Druck rausnehmen

Geholfen haben auch die Gespräche mit Frauen, die aufgrund diverser Stillprobleme früher als geplant abgestillt haben und diese Entscheidung nie bereut haben. Ihre Kinder sind auch alle gesund. Der ganze Hype um „Breast is best“ setzt Frauen extrem unter Druck.

Ich habe viel zum Stillen und zu Stillproblemen im Internet recherchiert, und keinen Artikel gefunden, der nicht unterschwellig suggeriert, dass Stillen, wenn es dann funktioniert, „wunderschön“ ist und eine ganz besondere Bindung zwischen Mutter und Kind schafft. Alle gaben mir das Gefühl, dass Mütter, die nicht oder nicht lang genug stillen, nicht die „Extra-Meile“ für ihr Baby gehen. 

Kein Fan vom Stillen

Zum Glück gibt es immer mehr Mama-Blogger und Journalistinnen, die sich dagegen wehren. Mittlerweile glaub ich nicht mehr daran, dass Stillen wirklich besser ist, wenn es der Mutter dabei schlecht geht.

Ich werde wahrscheinlich keine Mama mehr, die gerne stillt, aber aktuell ist es machbar. Ich hab‘ aber alles daheim, um jederzeit auf Fläschchen und Formelmilch umzustellen, bevor der Leidensdruck wieder zu hoch wird. Seit ich mir dieses Back-ups gewiss bin, hatte ich keinen Milchstau mehr.

Endlich ganz normaler Wahnsinn

Auch der Babyblues ist jetzt abgeklungen und der Alltag mit Baby kehrt langsam ein. Das sind wieder ganz andere Herausforderungen. Jetzt kann ich das Mama-sein endlich genießen. Ich habe tausendmal lieber Folter durch Schlafentzug, als dass man mir die Nippel absägt. 

Stillen ist nicht nur für das Baby anstrengend

Foto: Flora Fellner

 

Regenbogenbabybauch

Mutter werden – Die Geburt

Auf einmal ging alles sehr schnell. Da wartet man neun Monate auf den großen Moment, bereitet sich akribisch vor und plötzlich ist man Eltern und stellt fest, dass man keine Ahnung hat, wie es jetzt eigentlich weitergeht! Vor wenigen Stunden waren wir noch zu zweit und dann liegt da ein neuer Mensch zwischen uns. So winzig klein, dass wir uns gar nicht richtig trauen ihn aufzuheben. Sowas realisiert man nicht so schnell.

Nur kein „guter“ Tag…

Fest davon überzeugt, dass mein Baby nicht vor dem errechneten Termin kommen würde (schließlich sind beide Eltern notorisch unpünktlich), hatte ich die Wehen, die ich den ganzen Tag schon spürte, schlicht verleugnet. „Heute ist kein guter Tag“, sagte ich, als ich nach der Akupunktur (zur Geburtserleichterung) schwer atmend für 15 Minuten gekrümt an einer Mauer lehnte und die anderen Schwangeren mir schon bange Blicke zuwarfen. „Heute ist kein guter Tag“, dachte ich, als ich mich zu einem verabredeten Mittagessen in Zeitlupen-Tempo mühte. „Heute ist echt kein guter Tag“, jammerte ich, als ich abends am Sofa lag und eine Guilty Pleasure Serie binge-watchte.

Als dann um 1 Uhr früh die Fruchtblase platzte war ich daher vor allem überrascht, aber auch recht entspannt. Mein Freund hingegen war gerade erst vom Fortgehen zurückgekommen und wohl schlagartig nüchtern. Das hoffe ich zumindest, denn ich wollte nicht mit der Rettung, sondern mit dem Auto ins Spital fahren.

Geburt geht anders als im Film

In der Realität läuft eine Geburt komplett anders ab, als es die meist dramatischen Szenen suggerieren , die sich jedesmal im Fernsehen abspielen, wenn eine Geburt beginnt (die Serie Workin‘ Moms, Staffel 2, zeigt da eine glorreiche Ausnahme). Ich finde deshalb die Berichte zur Geburt, von den wenigen Frauen, die sie teilen, immer enorm spannend und schließe mich da gerne an.

Positiver Schwangerschaftstest

So beginnt’s

Blasensprung – kein Grund zur Panik

Im Hypnobirthing Geburtsvorbereitungskurs haben wir gelernt, dass ein Blasensprung kein Grund ist liegend mit der Rettung transportiert zu werden, auch wenn das in Österreich so vorgeschrieben ist. Solange das Fruchtwasser klar aussieht und nicht komisch riecht, ist alles ok. Also fuhren wir – ich auf einem Handtuch sitzend und immer noch auslaufend – eigenständig zum St. Josef Spital, fanden einen praktischen Parkplatz vor dem Eingang und spazierten in die, bis auf den Portier, scheinbar menschenleere Klinik.

Vor dem Eingang der versperrten Geburtenstation läuteten wir an, wo uns die junge, gut gelaunte Hebamme, die uns dann auch durch die Geburt begleitete, freundlich empfing. „Schau ma mal, wie es dem Baby geht“.

Ultraschallbild

Wir wollten nicht wissen, welches Geschlecht unser Kind hat – Da hieß es aufpassen beim Ultraschall

„Da hat sich doch schon einiges getan“

Als ich auf einem Krankenhausbett lag und die Herztöne des Babys gemessen wurden, war ich noch immer in der Annahme, man würde uns wieder heimschicken, schließlich waren ja noch keine wirklichen Wehen da. Doch tatsächlich hatte sich der Muttermund bereits geöffnet, wie die Hebamme erfreut feststellte. Wir sollten also bleiben und vorerst im Geburtszimmer so gut es geht zwischen den Wehen ausruhen, denn selbst die Hebamme rechnete nicht damit, dass das Kind noch in ihrer Nachtschicht kommen würde.

„Wenn es los geht, merkt man es“

Wir hatten uns gerade hingelegt, da setzten plötzlich Wehen ein, die nun nicht mehr zu ignorieren waren. Im Bett hielt mich jetzt nichts mehr. Liegend gebähren, wie man es meistens sieht, war definitiv keine Option für mich. Das St. Josef Spital ist auch darauf ausgerichtet, dass die Gebärenden unterschiedlichste Hilfsmittel und Positionen ausprobieren können, die ihnen die Geburt erleichtern sollen.

Brüllend, beißend, stark wie eine Löwin

Das Geburtenzimmer war angenehmerweise auch nicht klinisch grell beleuchtet, sondern fast dunkel wie in einer Höhle. Vielleicht hatte ich deswegen auch das Gefühl, mich in ein wildes Tier verwandelt zu haben. Ich habe meine Geburt am Boden hockend auf Stefans Oberschenkeln aufgestützt durchgestanden – ein Kraftakt, wie meine zitternden Beine und Stefans blaue Oberschenkel zeigten, nachdem alles überstanden war. 

Babybauch im 8. Monat

Guter Support ist elementar

Die Abstände der Wehen wurden relativ schnell immer kürzer bis kaum mehr Pausen wahrnehmbar waren und viereinhalb Stunden nach Blasensprung hatten Stefan und ich in Teamarbeit unseren Sohn geboren. Ein unglaubliches Gefühl!

Die Hebamme hielt sich während der Geburt – bis auf die letzten Zentimeter, um das Baby aufzufangen – völlig im Hintergrund. Sie sagte in den richtigen Momenten aufmunternde Worte und gab uns ein sicheres Gefühl. Sie war ein bisschen wie ein Cheerleader, die mich anfeuerte, während Stefan damit beschäftigt war, meine plötzlich animalischen Kräfte mit seinem Körper abzufangen. Eigentlich kann ich gar nicht genau sagen, was er gemacht hat, hauptsächlich mich gehalten bzw. mir notwendigen Widerstand geleistet, aber das hat er sehr gut gemacht.

Eine perfekte, extrem schmerzhafte Geburt

Die Geburt war trotzdem die heftigste Erfahrung meines bisherigen Lebens, da gibt es kein Schönreden: Ich bin noch immer geschockt, wie schmerzhaft etwas eigentlich sein kann. Zwischendurch dachte ich, ich überlebe das nicht. Aber im Grunde lief alles so, wie ich es mir gewünscht hatte: Spontan, ohne Schmerzmittel, ohne Komplikationen und das wichtigste: unser Kind ist gesund.

Baby ist da

Und jetzt ist er da: Alfred Koloman – der schönste Mann von Wien

Wundermethode Hypnobirthing?

Die Vorbereitungen, die ich während der Schwangerschaft getroffen hatte, scheinen sich also ausgezahlt zu haben. Ich gebe jedoch zu, während der Geburt überkamen mich Zweifel. Vonwegen Gebären ohne Schmerzen! „Dieses scheiß Hypnobirthing funktioniert überhaupt nicht„, brüllte ich, nachdem „bewusstes Atmen“ irgendwann einfach keine Option mehr war.

Und ich hätte dann auch gerne doch Schmerzmittel genommen, aber da war es schon zu spät, das Baby wollte einfach keine Zeit verlieren. Ungeduldig wie die Mama…

Nach der Geburt versicherte mir die Hebamme, dass das Hypnobirthing ganz bestimmt gewirkt habe, weil wir so cool geblieben waren, und, obwohl es das erste Kind war, alles so glatt und vor allem schnell verlaufen war.

Empfehlungen und ein weiser Ratschlag

Rückblickend kann ich jedenfalls den Hypnobirthing Kurs, als auch die anderen Maßnahmen (Akupunktur, Kundalini Schwangeren-Yoga etc.) sehr empfehlen. Ich konnte ohne Angst und Verletzungen die Geburt überstehen.

Besonders das Coaching der sogenannten GeburtsbegleiterInnen (PartnerInnen), das in jedem guten Geburtsvorbereitungskurs vorkommen sollte, macht wirklich Sinn. Natürlich hätte ich es wohl auch ohne Stefan geschafft, aber so war es eine extrem intime Erfahrung, die uns noch mehr zusammengeschweißt hat.       

Jogginghose einpacken!

Das einzige was wir wohl anders machen würden, wäre, auch für Stefan eine bequeme Jogging-Hose in die bereits Wochen vorher vorbereitete Kliniktasche einzupacken. Eine Geburt kann schließlich auch für die Geburtsbegleiter eine sehr anstrengende Angelegenheit werden und da sind Jeans extrem unbequem. Packt den Jogger also gleich ein, liebe werdende Eltern!

Fazit

Eine Geburt zu erleben war irgendwie immer auf meiner nicht verschriftlichten Bucket List. Jetzt hab ich es hinter mir und kann sagen, es war eine intensive, regelrecht animalische Erfahrung mit dem schönsten, vorstellbaren Resultat. Dennoch möchte ich das nicht wiederholen. 

Respekt an alle Frauen, die nachher ernsthaft weitere Kinder in Betracht ziehen (ich glaub euch das einfach nicht, dass man diese Schmerzen vergißt – ihr seid einfach badass!!!). Aber ich war noch nie stolzer auf mich und meinen Körper, als in diesen Momenten nach der Geburt. Und auch wenn ich jetzt noch daran zurückdenke, klopfe ich mir in Gedanken anerkennend auf die Schulter.

Superhelden, Transformers, X-Men und so weiter, sind halt nur Fantasiegespinste – aber Frauenkörper können so etwas Unglaubliches einfach im wirklichen Leben. Und die Realität einer Geburt ist auch ohne Sirenengeheul und inszenierten Drama spannender, als es im Fernsehen je gezeigt wurde.  

 

Babybauch in der 32. Schwangerschaftswoche

Mutter werden – Die Schwangerschaft

Ich bin seit einem Monat Mama eines Sohnes und es mag wie ein Klischee klingen, aber ich habe die letzten Wochen eine emotionale Achterbahn durchlebt: vom größten Glück zur größten Verzweiflung. Aber ehrlicherweise vor allem Verzweiflung. Alles am Mutter sein war bisher anders, als ich es mir davor ausgemalt habe.

Kurzer Rückblick

Ich hatte bereits während der Schwangerschaft einen Blogbeitrag geschrieben, den ich schließlich nicht veröffentlicht habe, weil er mir dann doch zu weinerlich vorkam, schließlich war meine Schwangerschaft größtenteils eine schöne Zeit. Doch im Nachhinein tut es mir leid, denn ich möchte meine Erfahrungen von und nach der Geburt gerne teilen und der Kontrast zwischen Schwangerschaft und Wochenbett ist so krass, dass ein Puzzle-Teil fehlen würde. Daher, hier der vorenthaltene First-world-problem-Blog-Beitrag – mit wunderschönen Fotos von Flora Fellner.

Babybauch in der 32. Schwangerschaftswoche

Babybauch in der 32. Schwangerschaftswoche

Gedanken gegen Ende der Schwangerschaft 

Ich bin schwanger und habe keine Inspiration zum Schreiben. Es gibt einfach nichts, dass mir auf der Seele brennt, ich bin einfach glücklich – das hatte ich mir schon so lange gewünscht. Glücklich sein gibt aber wenig her für einen Blog. Ich bin außerdem schwanger und relativ unbeweglich – das heißt, ich gehe ungern, am liebsten liege ich herum, denn dann drückt das Baby nicht auf meine Blase. Herumliegen gibt auch nichts her für einen Blog. Dabei hätte ich jetzt so viel Zeit zum Schreiben.

39. Schwangerschaftswoche: Mir geht es gut, dem Baby geht es zum Glück gut und alle sind plötzlich so lieb zu mir – sogar die Menschen in der U-Bahn und auf der Straße! Alles paletti – aber über was soll ich schreiben? 

Ich bin also voll des Glücks, aber auch ziemlich gelangweilt. Mutterschutz ist vollkommen unspektakulär. Es ist natürlich gut und wichtig, dass es in Österreich Mutterschutz gibt und ich könnte nicht dankbarer sein, denn alles ist nun schon sehr mühsam und nicht jede hat das Glück so wenige Beschwerden während der Schwangerschaft zu haben (ich leide einfach nur unter dieser verdammten Hitze). Aber plötzlich hat frau so unfassbar viel Zeit, während alle anderen natürlich weiterhin sehr beschäftigt sind und mit der Mobilität ist es gegen Ende der Schwangerschaft auch nicht mehr bestens bestellt. Da können schon mal Lagerkoller und Isolationsgefühle aufkommen. Alle die schon Kinder haben sagen: Genieß es, du wirst noch genug Stress haben! Und ich weiß, dass sie Recht haben. 

Beschäftigt damit schwanger zu sein

Dabei bin ich gar nicht so untätig, ich bin sehr damit beschäftigt schwanger zu sein: Arzttermine, Akupunktur, Schwangerschafts-Yoga, diverse „letzte“ Erledigungen, Nestbau, Babybauchfotoshooting und natürlich die ganzen Vorbereitungen für eine „leichte“ Geburt.

Stefan und ich haben dafür einen Hypnobirthing Geburtsvorbereitungskurs besucht, was bedeutet, dass ich viel atmen, massieren und entspannen soll und auch das braucht Übung. Vitamine nehmen, Datteln und Leinsamen essen, Geburtsaffirmationen anhören, diese und jene Übung… es gibt ständig irgendwas, das ich tun kann, damit die Geburt nicht so schmerzhaft wird, wie sie allerorts prophezeit wird [ob es sich gelohnt hat erfährt ihr im nächsten Blog].

Natürlich haben Frauen seit jeher auch ohne alldem Kinder auf die Welt gebracht, aber es ist schön, sich so bewusst mit dem Thema zu beschäftigen. Schließlich kriegt frau heutzutage ja auch nicht solange sie fruchtbar ist quasi jedes zweite Jahr ein Baby.

Babybauch Fotoshooting am Wilhelminenberg

Babybauch-Fotoshooting mit Flora Fellner am Wilhelminenberg

Leider keine Pinterest-Mum

Aber trotz all dem bleibt noch so viel Zeit vom Tag über und ich mag weder stricken, noch häkeln, noch backen, noch sonst irgendwas tun, das meine erzwungene Häuslichkeit noch mehr unterstreicht. Ich sehne mich danach, bei einer sportlichen Trainingseinheit vor Anstrengung zu verzweifeln, ich will Wodka in einer grindigen Bar trinken und am nächsten Tag Katerstimmung, ich will Bergsteigen (das will ich sonst nie), Tanzen gehen und Sushi essen bis mir schlecht ist.

Stattdessen bin ich mit sämtlichen Bildern auf Instagram zu #interior #instahome #decorinspiration etc. inklusive der immer wieder auftauchenden Product Placements (auf jedem zweiten Foto diese Korb-Deckenlampe und ein Bild von Frida Kahlo – wtf?) vertraut und besuche seit Ewigkeiten wieder mein Pinterest Profil, um mir anzusehen, was andere Mütter für tolle Dinge für ihr Baby machen: Mobiles aus selbstgehäkelten Tierchen basteln zum Beispiel (ich hab eines über Willhaben bestellt…geht auch). 

Transformationsprozesse

Schwanger sein ist aber meistens super. Ich heule zwar noch leichter, wenn etwas schön traurig oder rührend schön ist, aber die Hormone machen mich auch so entspannt wie nie. So fühlt sich das also an!

Aber an manchen Tagen überfällt er mich halt trotzdem, dieser Drang die mir verbleibende Zeit bis das Baby da ist „effektiver“ zu nutzen.

Wenn diese Gedanken hochkommen (und das tun sie, ich bin da familiär und generationstechnisch geprägt), schreie ich ein paar Mal in die einsame Ödnis der Wohnung (oder in einen Whats App Gruppen Chat – wo mir die Leute nicht entkommen): „Mir ist so fad! Mir ist so scheiße fad“!

Dann leg ich mich hin und schlaf eine Runde.

Es ist wohl ein weiterer Schritt im Prozess meines persönlichen Wandels. Dieser Prozess des Akzeptierens von Leerzeiten, in denen nichts produziert und optimiert wird, vollzieht sich schon länger. Die große Ent-Täuschung meiner beruflichen Ziele, die Zeit der Arbeitslosigkeit, die Beschäftigung mit Kundalini Yoga und jetzt die Schwangerschaft haben mich Stück für Stück von diesem zwanghaften Leistungsgedanken befreit. Und DAS kann ich nur jeder und jedem empfehlen!

Babybauch Fotoshooting am Wilhelminenberg

Flora schafft es immer unsere Hemmungen beim fotografiert werden zu vergessen, denn das Ergebnis ist immer schön – und diese Farben! 

Wer übrigens wissen möchte, was das Schönste an der Schwangerschaft ist, sollte auf Floras Blog vorbeischauen, sie interviewt ihre Fotomodelle nämlich auch immer wieder. 

Basilius-Kathedrale in Moskau

Moskau – Letzter Stopp der Transsib Reise (Teil 13)

Moskau ist der letzte Stopp unserer Russland-Reise, nicht ganz drei Tage haben wir, dann geht es zurück nach Wien. Nur die Müdigkeit und das volle Stadtbesichtigungs-Programm halten mich davon ab melancholisch zu werden.

Nachdem wir drei Wochen lang mit der transsibirischen Eisenbahn durch die Zeitzonen gereist sind und dabei insgesamt 9 Stunden „verloren“ haben, holen wir uns diese innerhalb eines Tages mit einem 8,5 stündigem Flug von Wladiwostok bis Moskau zurück. Wir hatten uns vorgenommen zu schlafen, um den Jetlag entgegen zu wirken, doch wir waren dann doch so vom Entertainment-Programm (endlich wieder Fernsehen nach drei Wochen) eingenommen, dass dafür keine Zeit war.

Restaurantempfehlung: Club Vysotsky

In Moskau wohnen wir bei Kostja, einem Arbeitskontakt und Freund von Michl. Mit einem Van holt uns der Riese mit dichtem Nackenhaar, Garfield Shirt und sanfter Stimme ab. Wir laden unsere Rucksäcke ein und trinken erst einmal einen Kaffee im Campusgelände des internationalen Unternehmens. Gemeinsam mit seiner Kollegin Elena, die im Kontrast zu Kostja wie eine kleine Manga-Elfe mit bunten Haaren aussieht, gehen wir dann gleich zum ersten Geheimtipp: Im Club Vysotsky (nach einem Komponisten benannt) gibt es köstliches, russisches Mittagessen zum Spottpreis.

Das zweistöckige Restaurant ist mit alten Bildern aus der Sowjetzeit behängt und strahlt auf einer großen Leinwand das Fernsehprogramm eines alten UdSSR Senders aus. Am Vorspeisenbuffet bedient man sich an deftigen Salaten, es gibt natürlich Suppe, Schwarztee holt man sich vom Samowar und das Hauptgericht und die Nachspeise werden einfach serviert. Macht umgerechnet 3 Euro für alles zusammen.

Der Moskau Sightseeing-Quickie

Konstantin und Elena geben uns Tipps für unsere erste Sightseeing Tour und setzen uns beim Zaryadye Park ab, bevor sie zurück ins Büro müssen. Wir starten somit unweit vom Kreml.

Die Fliegende Brücke in Moskau
Die Fliegende Brücke
Der Zaryadye Park ist ein guter Ausgangspunkt für ein erste Tour durch Moskau

Das Zentrum Moskaus wurde 2017 in Vorbereitung auf die Fußball-WM 2018 ordentlich aufpoliert. Die Gebäude rund um den Kreml leuchten in kräftigen Farben, alles macht einen frischen, etwas zu aufgeräumten Eindruck. Ein angelegter Spazierweg führt durch den Zaryadye Park vorbei an modernen und historischen Gebäuden und die Begrünung ist nach den unterschiedlichen klimatischen Regionen Russlands – von Eiswüsten der Arktis bis zu den Subtropen der schwarzen Küste – gestaltet. Die 2017 eröffnete Fliegende Brücke, eine V-förmige Plattform, erhebt sich über den Fluss Moskva und bietet eine tolle Aussicht über die umliegende Architektur.

Wir spazieren bis zum Roten Platz, durch das Luxus Kaufhaus GUM und den Kremlmauern entlang bis zum Alexander Garten. Wir beobachten andere TouristInnen, die sich den unspektakulären Wechsel der Wachen ansehen, die neben dem Grab des Unbekannten Soldaten positioniert sind, staunen über die Gigantonomie der russischen Architektur und schrecken vor einem Besuch des Kremls zurück – die Warteschlangen davor sind schier unendlich! Nach fünf Stunden sammelt uns Kostja wieder ein.

Russische Gastfreundschaft

Wir fahren über eine Stunde mit dem Auto zu seinem Haus außerhalb Moskaus in der Stadt Dolgoprudny. Moskau hat ca. 15 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner, rechnet man jedoch das Umfeld dazu, mit all den Personen, die täglich, so wie Kostja, in die Metropole zur Arbeit pendeln, sind es geschätzte 40 Mio., erzählt er. Die lange Fahrt – meist mit Stau – jeden Tag zur Arbeit und zurück vertreibt sich Kostja etwa damit, dass er Maultrommel spielen gelernt hat.

Ziemlich erledigt kommen wir bei seinem schmalen, dreistöckigen Haus an. Kostjas Frau und Kinder sind in der Datscha, wir haben sturmfrei. Am Abend gibt es eine Grillerei mit Fisch, Fleisch, gegrilltem Gemüse und griechischem Salat. Nicht zu vergessen, russisches Craft Bier und Wodka. Wir unterhalten uns angeregt (Elena) bzw. vorsichtig (wir Gäste) über russische Politik bis nach und nach der Müdigeitseinbruch kommt. 22 Uhr fühlt sich wie 5 Uhr früh an.

Tag 2 – Viel zu sehen, viel zu gehen

Beachtliche 22.500 Schritte legen wir am zweiten Tag in Moskau innerhalb von sieben Stunden zurück. Als müssten wir das viele Sitzen in der Transsib wiedergutmachen. Wir starten mit der Arbat Flaniermeile, wo Straßenmusiker und -künstler aber vor allem TouristInnen sich tummeln, weiter geht’s durch eine hübsche Allee zur Christ-Erlöser-Kathedrale. Das beeindruckende Gebäude aus Mitte des 19. Jahrhundert wurde von den Sowjets komplett zerstört und erst im heutigen Russland komplett neu aufgebaut.

Für 400 Rubel kann die Aussichtsplattform der Kathedrale besucht werden, die einen tollen Rundumausblick über die Stadt bietet. Interessant ist auch der Aufstieg: Statt der üblich knarzig, engen Kirchenstiegen, wie sie in Europa üblich sind, hat man hier das Gefühl, die Stiegen eines gewöhnlichen Bürogebäudes zu benutzen.

Entlang der Moskva

Über eine breite Fußgängerbrücke spazieren wir weiter, vorbei an zahlreichen Hochzeitsgesellschaften, StraßenmusikerInnen und SchaustellerInnen, den Fluss entlang und biegen schließlich in den Skulpturen Park ab, wo natürlich zahlreiche Lenin Statuen, aber auch Marx und Co. nicht fehlen dürfen.

Es geht weiter Richtung Gorki Park, wo wir schon ziemlich erschöpft in ein Vietnamesisches Restaurant einkehren. Mit etwas mehr Zeit und Kraft, würde sich hier ein Museumsbesuch anbieten, wir steigen stattdessen in ein Touri-Boot für 700 Rubel, dass uns wieder zurück in die Nähe des Kremls bringt. Wir verstehen zwar kaum was die Stimme im Audioguide uns sagen will, da der Lautsprecher des Schiffes auf Russisch alles übertönt, aber wir sind froh über die Pause und genießen die neue Perspektive vom Fluss aus.

Ukrainische Küche in Moskau

Die Strapazen und Zeitverschiebungen und der latente Schlafmangel fordern nun endgültig seinen Tribut: bis zum Restaurant, wo wir Abendessen wollen, muss mich Stefan regelrecht Ziehen und Schieben. Das Taras Bluba hat uns Kostja empfohlen und wir bekommen tatsächlich, obwohl es touristisch und in zentraler Lage gelegen ist, sehr gute, preiswerte Hauskost – folkloristische Gesangs- und Tanzeinlage inklusive.

U-Bahn-Stationen wie Paläste

Danach gilt es die Müdigkeit weiter zu übertauchen, schließlich wollen wir noch ein paar der schönsten U-Bahn Stationen Moskaus sehen. Wir fahren erst zur modernsten Station „Vistavochnaya“ und dann zum „Ploschad Revolyutsii“ mit Statuen der Heldinnen und Helden der UDSSR (ArbeiterInnen, SportlerInnen, SchülerInnen, Soldaten – das Volk also).

Vistavochnaya Station – Hightech und Kunst

An manchen Stellen sind die Statuen blank poliert, da die „Passashiry“ daran rubbeln, weil das Glück bringen soll. Wir beobachten, wie Aus- und Umsteigende im Vorbeigehen Knie, Schuhspitzen, Hundeschnauzen oder Hahnenfedern streicheln. Soldaten scheinen jedoch keine Glücksbringerfunktion zu haben.

Auch die schöne „Mayakovskaya“ Station steht auf unserer Liste – sie hat Mosaikbilder an der Decke mit typisch sowjetischen Motiven wie Flugzeug, Zeppelin, SportlerInnen oder einer Frau mit erhobener Faust und ist im Jugendstil gehalten.

Die Cocktailbar als Laufsteg

Von der Metro Station aus gehen wir zu Fuß in die stylische Bar „Noor“ (Tverskaya St., 23/12), wo ein Moscow Mule es schafft, in mir doch noch Lebensgeister zu erwecken. Mit ausgezeichneten Cocktails lassen wir unseren letzten gemeinsamen Abend ausklingen, denn Julia und Michl reisen einen Tag vor Stefan und mir ab. Wir schwelgen in Erinnerungen an diese einzigartige Reise und beobachten die Frauen, denen die Bar eindeutig als Laufsteg dient. Eine schöner als die andere, kann man von ihren männlichen Begleitern das Gegenteil behaupten.

Tag 3 – Sowjet Nostalgie

Stefan und ich verbringen unseren letzten Tag mit noch mehr Spaziergängen – Moskau ist groß, die Entscheidung, was wir ansehen sollen, fällt schwer. Wir flanieren die Tverskaja Straße Richtung Bolschoi Theater, in dessen Umfeld viele beeindruckende Protzbauten stehen, sowie das Karl Marx Denkmal. 

Nostalgie pur: das Spielautomaten Museum

Stefan will ins Spielautomatenmuseum (Kuznetsky most st., 12) und ich lasse mich zum Glück überreden, denn es ist tatsächlich sehr unterhaltsam. Das Museum hat eine einzigartige Sammlung alter sowjetischer Spielautomaten – das sieht nicht nur sehr kultig aus, man darf auch mit allen spielen (wobei allerdings nicht jede Maschine immer tadellos funktioniert). Wir bekommen mit unserem Eintrittsticket für 450 Rubel 15 Jetons und legen los. 

Spielautomat aus der UDSSR

Die meisten Automaten wurden in den 70er Jahren von amerkanischen oder japanischen Modellen kopiert, aber auch einige sowjetische Eigenkreationen sind dabei. Spielautomaten-Liebhaber haben sie vor der Verschrottung gerettet und kümmern sich um die aufwändige Instandhaltung der alten Automaten. 

Wir probieren alles aus: Schieß-, Geschicklichkeits- und Kraftspiele. Ein Spiel hat es uns besonders angetan: Es basiert auf einem alten russischen Volkssport namens Gorodki und erinnert uns an unser geliebtes Mölkky.

Gorodki Spielautomat
Gorodki Spielautomat

Nachdem wir unsere Chips aufgebraucht haben, geben wir eine Tripadvisor Bewertung ab und bekommen nochmal Spielmünzen. So vergeht unser letzter Tag in Russland wie im Flug und ehe wir es uns versehen, sind wir schon wieder zurück in Wien. Voller einzigartiger Erinnerungen und dem eindeutigen Wunsch wiederzukommen. Das nächste Mal machen wir dann die Transmongolische Route! 

Müde City-Explorer

Wenn die schönste Nachricht ins tägliche Kopfchaos crasht

Ich unterbreche die Transsib-Reisebericht Serie – und die zugegeben wieder einmal längere Blog-Pause – für Breaking News: Ich bin schwanger. Das Wunschkind ist sozusagen work in progress! Die Fragen, wann es denn endlich auch bei uns soweit ist, können jetzt aufhören. Überhaupt wäre es schön, wenn die permanente Fragerei nach Vermehrungsplänen ganz generell auf eine allgemeine Tabuliste gesetzt werden würde, denn sie spricht öfter einen wunden Punkt an, als die Neugierigen vielleicht vermuten oder nervt zumindest gewaltig.

Jedenfalls, hab ich mich entschlossen über das zu schreiben bzw. vielmehr das zu veröffentlichen, was gerade in mir vorgeht, denn üblicherweise tendiere ich ja dazu, das Bloggen bei größeren Lebensumbrüchen entweder anzufangen oder aufzuhören. Damit das Blogprojekt also nicht gleich wieder stirbt, versuche ich also weniger zu filtern. Man wird sehen, wo das hinführt…

Nachrichten überbringen sollte irgendwo gelernt werden

Sorry an alle, die es möglicherweise erst jetzt über meinen Blog erfahren sollten. Ich bin sehr schlecht in Allem, wo zeremonielles und würdevolles Vorgehen angemessen wäre.

Meinem Vater habe ich es ausversehen in einem Nebensatz am Telefon verraten, weil ich eine Frage zum Mutterschutz hatte. Also nichts mit kreativer Frohe-Botschafts-Überbringung mit Zuhilfenahme von Torten oder T-Shirts oder anderen niedlichen Wegen, wie Leute in Filmen oder auf Pinterest so eine gute Nachricht verkünden.

Bei einer Freundin dachte ich sogar, dass ich es ihr schon gesagt hätte und habe dadurch für etwas Verwirrung gesorgt, aber man lernt ja auch nicht, wie sich die Überbringung von Nachrichten richtig gehört. Reicht eine Whats-App Nachricht oder muss es eine kleine Theateraufführung sein?

Das gute Zeichen

Eine Schwangerschaft ist ja auch eigentlich jetzt nicht so etwas Besonderes in meinem Alter, aber trotzdem ist es sehr faszinierend und schön zu sehen, wie viel Freude man den Menschen machen kann, wenn man ihnen erzählt, dass man ein Kind erwartet. Irgendwie muss es in unseren Genen festgeschrieben sein, dass die Geburt eines Kindes ein gutes Zeichen ist.

Nur im noch kinderlosen Freundeskreis sind die Reaktionen öfter etwas verhaltener. Weil es eben auch ein Verlust ist, wenn zwei Freunde bald nicht mehr für jeden Spaß verfügbar sind. Aber dazu im nächsten Blogpost mehr.

Am schönsten ist die Freude, die mein Partner und ich damit haben. Es ist ein sehr eigenes, neues Gefühl. Plötzlich weiß man, dass da noch jemand kommt, dass man jetzt zu dritt ist irgendwie, aber so ganz verstehen tut man es nicht. Es ist etwas, dass man zu zweit gezeugt hat und doch hat man keinen Einfluss darauf, wie es dann tatsächlich wird. Einerseits ist es schon da, aber selten muss man auf irgendwas so lange warten, bis man es tatsächlich hat. Die Spannung ist schwer zu ertragen, gleichzeitig kommt einen vor, die Zeit vergeht zu schnell und man ist nicht mal annähernd irgendwie vorbereitet. Eine seltsame Freude.

Schwangerschats Reality Check

Ich wusste relativ früh, dass ich irgendwann ein Kind haben und schwanger sein möchte. Schon allein der Erfahrungen wegen. Und ja, es ist spannend, zu beobachten, was die Hormone im Körper so alles mit dir anstellen. Zum Beispiel, wenn du über bestimmte Themen nicht mehr reden kannst, ohne in Tränen auszubrechen, während, dir gleichzeitig bewusst ist, wie bescheuert das gerade ist.

Aber so wunderbar wie viele behaupten, finde ich die Schwangerschaft an sich bisher ehrlich gesagt nicht. Bis auf die kurzen Momente, wo ich mein Baby im Ultraschall sehen kann oder wenn ich das unangenehme Gefühl habe, meine Brüste würden explodieren, fällt es mir häufig noch schwer mir vorzustellen, dass da jemand in mir wächst.

Obwohl ich mich auf das Kind so sehr freue, wie auf noch nie irgendetwas anderes, bin ich häufig frustriert und matt. Von der angeblichen Besserung der Schwangerschaftsbeschwerden, die sich ab den 3. Monat einstellen sollte, bemerke ich wenig. Auch im 5. bin ich noch ständig erschöpft und kann mich meistens nicht einmal für sanftes Entspannungs-Yoga aufraffen. Ich kann fast nicht glauben, dass es wirklich nur ein Kind ist, dass mir hier die Energie aussaugt.

Mit meinen Vorsätzen, mich supergesund zu ernähren und brav Fitness zu machen, war es so ziemlich gleich mit Einnistung der Eizelle in die Gebärmutter vorbei. Tatsächlich esse ich seither ungesünder als vorher – die Gelüste sind real – und nicht für zwei sondern für drei. Denn während ich zwar glücklicherweise von der fiesen Schwangerschaftsübelkeit verschont geblieben bin, habe ich konstant Hunger.

Ich will mich nicht beschweren, aber es wäre vielleicht gut, wenn nicht überall verkündet werden würde, dass das zweite Trimester der Schwangerschaft so toll wird.

Ich war auch immer überzeugt, ich würde die Veränderungen meines schwangeren Körpers zelebrieren. Aber stattdessen vergleiche ich mich mit anderen Schwangeren, die überhaupt nirgends außer am Bauch zunehmen und stellte mit neuem Aufmerksamkeitsfokus fest, dass natürlich auch bei schwangeren Models, jede den gleichen Körperbau hat: dünn, groß, strahlend, mit beeindruckender, runder Babybauchkugel. Ich hingegen könnte genauso gut einfach die letzten Wochen zu viel Bier getrunken haben.

Ich wünschte wirklich, mir wäre es egal, wie viel ich in der Schwangerschaft zunehme. Schließlich verbringt mein Körper gerade Höchstleistungen. Ich wünschte ich könnte stolzer auf ihn sein. Ich wünschte ich wäre Feministin genug, um meinen Körper zu lieben, egal ob er leistet, performt und wie er aussieht. Aber es war wohl naiv anzunehmen, dass eine gestörte Idealvorstellung wie Frauen angeblich auszusehen hätten, sich mit der Schwangerschaft in Luft auflöst. Dem zukünftigen Kind zuliebe arbeite ich daran.

„Das hört jetzt nie mehr auf“

Seit ich schwanger bin, mache ich mir auch ständig tausend Sorgen. „Das hört jetzt nie mehr auf“, hat meine Mutter beruhigenderweise gesagt. Und dann die Fragen, ob wir gute Eltern sein werden. Meine Einstellung schwankt zwischen überhöhtem Selbstvertrauen bis hin zur Panik. Vor allem da mich Kinder- und Babygeschrei noch mehr nerven als früher. Das ist wirklich beunruhigend, aber ich hoffe, das geht mit dem eigenen Kind weg.

Die ständigen Aussagen von Eltern im Freundeskreis, wie „Was ich will, spielt sowieso schon lange keine Rolle mehr“, „Unser Plan für den Tag ist einfach, ihn irgendwie zu überstehen“ oder „Das Kind scheißt so viel, uns sind die Windeln ausgegangen“ machen mich jetzt nicht gerade optimistischer.

Ein Kind ist kein Zukunftsplan

Tja und dann waren da noch all die Zukunftsängste. Wie lange können wir in unserer geliebten Miniwohnung bleiben mit Kind? Wohin mit Wickeltisch, Kinderbett und der ganzen Wäsche? Habe ich jetzt die Chance mich selbst zu verwirklichen für immer vertan? Wie geht sich eine größere Wohnung finanziell aus? Denn arbeitslos war ich ja bis vor kurzem auch noch.

In der ersten Panik habe ich mich gleich für einen typischen Studierendenjob beworben und kann nach einem Monat auf „Tour“ in den Käffern Nieder- und Oberösterreichs in denen ich nur sagen: Es gibt eine Zeit für solche Jobs und es ist gut, wenn man diese Phase mit Ende des Studiums abschließt.

Und noch mehr Neuigkeiten

Aber könnt ihr es glauben? Ich habe tatsächlich noch einen Stelle gefunden, wo man sich auch über meine relativ kurze Einsatzzeit von vier Monaten freut, bevor es dann wieder in den Mutterschutz geht. Der Job könnte zwar inhaltlich nicht weiter von dem entfernt sein, was ich bisher gemacht habe. Aber da ich es in der kurzen Zeit der Arbeitslosigkeit nicht geschafft habe, herauszufinden, was ich eigentlich machen will und was ich wirklich kann, kann etwas Neues lernen ja nicht schaden.

Trotz der Erleichterung, dass ich keine arbeitslose Mama mit Notstandshilfe sein werde, hat mir der Gedanke wieder in einem Büro zu arbeiten, die Wochen davor schlaflose Nächte und viel schlechte Laune bereitet.

Der Gedanke, dass ich den Job für das Kind mache, hat mir geholfen meine (unbegründeten) Vorbehalte zu überwinden. Jetzt gehe ich sogar positiv in die Arbeit, lerne jeden Tag etwas Neues und fühle mich gleichzeitig nützlich. Das ist schon mal nicht das Schlechteste beim Arbeiten. Und mit jedem Tag, der sich der Babybauch mehr von einer Bierwampe unterscheidet, gefalle ich mir langsam auch wieder besser. Vielleicht werde ich ja doch noch die Schwangere, die ich sein wollte.

Aber sollte das der letzte Blogartikel für eine sehr, sehr lange Zeit sein, wisst ihr warum.

Transsib Teil 12 – Wladiwostok

Wir sind am Ende der Transsib-Strecke angelangt, haben seit Moskau sieben Stunden Zeit verloren, 8.413,07 km zurückgelegt und fühlen uns wie am anderen Ende der Welt. Östlicher als Wladiwostok geht nicht mehr.

Das San Franzisco des Ostens

Wladiwostok wirkt exotisch und vertraut zugleich. Durchaus mondän. Die Meereslage und die Fußgängerzonen geben ihm etwas Mediterranes, die Architektur ist eine Mischung aus Klassizismus und Jugendstil und erinnert an europäische Innenstädte. Viele Gebäude aus der Gründerzeit (ab 1860) sind gut erhalten. Aber auch die typisch russisch-orthodoxen Kirchen mit den goldenen Zwiebeltürmchen, teilweise gerade erst im Aufbau, prägen das Stadtbild ebenso wie zahlreiche Denkmäler für sowjetische Soldaten und Helden.

Da die Stadt extrem hügelig ist und man sich über steile Straßen quälen muss, macht es nur Sinn, dass Wladiwostok auch das San Francisco des Ostens genannt wird. Dieses Image wird durch die gigantische Brücke, die aus den unterschiedlichsten Ecken der Stadt erblickt werden kann, nur verstärkt. Sie wurde 2012 erbaut und überspannt die Hafenbucht „Goldenes Horn“.

Schlafen – Essen – Sightseeing

Unsere Unterkunft im Hotel Slavyanskaya (Narodnyy Prospekt, 28Б) liegt nur 10 Minuten mit dem Auto vom Stadtzentrum entfernt. Während die überforderte Rezeptionistin jede einzelne Seite unserer Pässe fotokopiert, verwickelt uns ein koreanisch aussehender Gast in ein Gespräch. Woher wir kommen, fragt er. Er komme aus Nordkorea, sagt er und lacht schallend über seinen Witz. Während seine russische Begleitung mit der Rezeptionistin ein paar Fragen klärt, zeigt er uns stolz Fotos von seiner gerade absolvierten Reise in Kamtschatka, wo er riesige Fische geangelt und einen Braunbären erlegt hat. Unsere Begeisterung hält sich in Grenzen.

Endlich können wir auf unsere Zimmer. Völlig erledigt müssen wir uns erst mal für zwei Stunden hinlegen. Mehr geht leider nicht, schließlich haben wir nur zwei Tage in Wladiwostok. Als wir uns wieder treffen, um Essen zu gehen, meint Julia, sie habe Michl gebeten, das Bett zu schütteln, damit sie das Transsib-Feeling habe. Kaum zu glauben, dass die Fahrt mit der Transsib nun vorbei ist.

Unsere Restaurantwahl fällt auf das Korean House. Da Korea quasi um die Ecke liegt, nehmen wir an, dass die Menschen hier etwas von dieser Küche verstehen. Und tatsächlich bekommen wir fantastisches Essen zu einem fairen Preis, gratis Tapas und koreanischen Tee und Likör obendrauf.

Die schönste Aussicht der Reise

Dann geht es schon ans Sightseeing. Wir spazieren durch die hügeligen Straßen auf und ab. Im „Adlernest“ (Orlinoe gnezdo) auf einem 214 Meter hohen Hügel erhalten wir den schönsten Ausblick auf die Stadt und vielleicht sogar unserer gesamten Reise. Eine Drahtseilbahn erspart den mühsamen Anstieg, aber wir verpassen den Einstieg und gehen zu Fuß.

Oben teilen wir uns die Plattform mit hundert koreanischen Touristinnen und Touristen. Professionell und teilweise ziemlich riskant posen sie vor der Goldenen Brücke (Zolotoj Rog) und dem Hafen „Goldenes Horn“. Die Brücke verbindet das Festland mit der vorgelagerten Insel Russki.

Ausklang mit Moscow Mule

Unter einem malerischen Nach-Sonnenuntergangshimmel spazieren wir die Ulitsa (Straße) Sukhanova hinab und kehren im Café Moloko y Med (Milch und Honig) und später in der Bar Old Fashioned ein, wo wir zum Abendessen Shrimps essen und Cocktails trinken.

Strand und Krabben

Am nächsten Tag fahren wir mit einem Uber ans Meer an einen kleinen Strand mit Liegestühlen und Sonnenschirmen (Ulitsa Tokarevskaya Koshka, 1, Vladivostok, Primorskiy kray). Eine Empfehlung der Rezeptionistin. Neben makellosen Russinnen auf Bräutigamschau brüten wir in der Sonne und baden im erfrischenden und sauberen Wasser.

Ein dickbäuchiger Russe (Kategorie ‚Businessman‘) quatscht Stefan auf Englisch an, als dieser Bier holt. Er kann nicht glauben, dass wir hier sind, wo es doch in Europa so schönes Meer gleich um die Ecke gibt. Als er erfährt, dass wir die Strecke auch noch mit dem Zug zurückgelegt haben, hält er uns für vollends verrückt und tippt sich mit seiner feisten goldringbehängten Hand an die Stirn. Aber da er uns für liebenswerte Verrückte hält, gibt er uns noch eine Menge Tipps. Wir sollen zum Beispiel unbedingt im gleich um die Ecke gelegene Crab House die besten Krabben der Welt probieren. Die Strandbar macht einen rustikalen Eindruck, aber das zarte Krabbenfleisch ist wahrscheinlich das Feinste, was wir auf der gesamten Reise gegessen haben. Wir bestellen gleich noch eine Portion plus Pommes und schauen der Sonne zu, wie sie im Japanischen Meer versinkt.

Ein bisschen Geschichte und noch mehr gutes Essen

Am Abend besichtigen wir das U-Boot C-56 im Hafen des Hauptquartiers der russischen Pazifikflotte. Zehn gegnerische Schiffe hat es im zweiten Weltkrieg versenkt, während es selbst den Angriffen von mehr als dreitausend Tiefbomben überstand. Die Gelegenheit einmal im Inneren eines Unterseebots zu sein, sollte man sich nicht entgehen lassen. Daneben ist ein Denkmal für die unfassbar vielen russischen Soldaten, die im zweiten Weltkrieg gestorben sind.

Zum Abschluss unseres Wladiwostok-Besuches, essen wir dann noch einmal richtig schick zu später Stunde im Japanischen Restaurant Zuma – auch eine Empfehlung von Stefans Strandbekanntschaft. Wir lassen die wunderbare Zeit in Wladiwostok, das uns auf so viele Weisen überrascht hat, noch einmal Revue passieren und beschließen wieder zu kommen. Am nächsten Morgen geht unser Flug nach Moskau schon sehr früh. Trotzdem hauen wir ordentlich rein. Im Zuma sind die Gerichte aufwendig, spektakulär und ebenfalls unglaublich gut. Aber an den Geschmack der Krabben vom Strand von Wladiwostok kann ich mich bis heute erinnern.

(Nächster Beitrag: Moskau)

Transsib Teil 11 – Die vielen Gerüche der dritten Klasse

Wurstschwaden durchziehen den Gang. Irgendjemand genehmigt sich um 4 Uhr früh einen Fleischaufstrich. Jetzt verstehe ich, warum der englische Name dieses „Gerichts“ als Spitzname für lästige E-Mails auserkoren wurde. Die Ausdünstungen von „Spam“ sind ebenso hartnäckig wie unerwünschte Internetwerbung.  Dritte Klasse bedeutet vor allem Gerüche. Gerüche von Talg und Schweiß, von harten Eiern, Instantnudeln, kaltem Brathendl und den Flatulenzen, die diese Speisen erzeugen.

Gegen Schnarchen oder das aufgeregte Kichern der Jugendgruppe helfen Ohrenstöpsel, aber gegen Gestank hilft nur Akzeptanz.

Es ist unsere erste Nacht in der dritten Klasse. 56 Plätze bieten diese Abteile und der Zug ist gut gebucht. Ausgerechnet den längsten Abschnitt der Reise – 62 Stunden am Stück – werden wir nicht im kamotten Kupe verbringen. Es hatte sich aufgrund der Verbindungen und verfügbaren Tickets so ergeben und ich wollte sowieso unbedingt auch das „richtige“ Transsibfeeling erleben und einmal Platzkartny – also dritte Klasse – fahren.

Čita

Mitten in der Nacht hält der Zug am Bahnhof Čita für 50 Minuten weshalb wir aussteigen, denn wer weiß wann wir dazu wieder die Gelegenheit haben. Im Dunkeln erkunden wir Bahnhof und Umgebung. Wir kaufen Produkty und bekommen von einem Verkäufer abgelaufenen Smetana, Sauerrahm, geschenkt. Eine Kirche mit goldenen Zwiebeltürmchen und eine Statue (Lenin, fix) sind zu erkennen. Später lese ich im Reiseführer, dass es sich um die Kathedrale der Kazaner Gottesmutter handelt und bei der Statue natürlich um Lenin.

Im Bahnhofsgebäude werden Souvenirs verkauft. Ein ganzer Laden ist Spielzeug im Military Look gewidmet: Teddybären im Soldatenoutfit, kleine Spielzeugpanzer und anderes pädagogisch Wertvolles.

62 Stunden im Zug

Nach unserer ersten Nacht, wachen wir recht zerstört irgendwo zwischen Chernysh Zab und Mogoča auf. Als Bauchschläfer tut sich Stefan mit den harten Pritschen schwer und da unsere Füße zum Gang raushängen, stößt immer mal wieder jemand beim Vorbeigehen an.

Während wir in unseren Kupes wie in einer gemütlichen Höhle geschlafen haben, gibt es hier überall Lichtquellen: Das Notlicht von der Decke, das Tablet-Display des kleinen Jungen gegenüber, der keine Müdigkeit zu kennen scheint und auch das Rollo vorm Fenster lässt sich nicht ganz schließen.

Julia und ich schlafen oben und schaffen uns mithilfe von Schals und Handtüchern Sicht- und Lichtschutz. Ganz heimelig aber auch ziemlich eng – so eng, dass ich beim Umdrehen aufpassen muss, mich nicht an der Wand zu stoßen.

Tagsüber gibt es wieder viel zu schauen. Die Landschaft ist seit Ulan-Ude interessanter geworden. Unbegradigte Flüsse schlängeln sich über grüne Wiesen, ein Anblick den man bei uns gar nicht mehr sehen kann. Hier stört der Fluss niemanden, denn es gibt keine Häuser, nur Strommästen, die im Wasser stehen.

Mogoča

Nach 13,5 Stunden dürfen wir wieder einmal den Zug verlassen. Leider steht gerade ein anderer Zug am gegenüberliegenden Gleis, weshalb uns nichts anderes übrig bleibt, also am schmalen Bahnsteig zwischen den zwei Zügen hin und her zu spazieren. Eine ältere Damen in Leggins hebt ihren übergewichtigen Dackel auf die Gleise, damit er sich dort erleichtern möge, doch dem wurstartigen Tier behagt das gar nicht. Zum Glück fährt der andere Zug schließlich doch weiter und ein paar Mutige laufen hastig über die Gleise um noch schnell Wasser und Snacks zu kaufen. Jetzt sind es noch 26 Stopps bis Vladivostok.

Amazar

In Amazar haben wir mehr Glück. Wir kaufen hausgemachte Spezereien von den Damen, die am Bahnsteig ihre Waren – Salat, Piroggi, gekochte Eier, Kartoffeltaschen und Gemüse – feil bieten. Neugierig kaufen wir auch eine rätselhafte, goldglänzende Stange, die wie Kaugummi gekaut werden kann, aber vollkommen bitter schmeckt. Wieder ein Rätsel, dass wir aufgrund unserer fehlenden Russischkenntnisse nicht lösen können.

Erofej Pavlovič – Das Boot

Wie viele Orte, ist auch Erofej Pavlovič wegen des Baus der Eisenbahn entstanden. Das riesige Bahnhofsgebäude, das wie ein Wikingerschiff aussieht, täuscht darüber hinweg, dass hier gerade einmal 5.000 Menschen wohnen.  Die Schiffsspitzen, die vom Gebäude wegragen, erinnern an eine sogenannte Koč – Boote mit denen die Russen Sibirien eroberten.

Neue Bekanntschaften

Die erwachsenen Mitreisenden bleiben eher unter sich oder starren auf ihre Laptops, aber mit den Kindern im Zug freunden wir uns an, nachdem eine freche Zweijährige Stefans Wasserflasche entführt. Wir teilen unsere Süßigkeiten und wenden unser spärliches Russisch an (Kak tibija sawut? Wie heißt du? Atkuda wui? Woher seid ihr?) und die Kinder kennen ein paar englische Wörter und Sätze.

Alle Kinder wollen wissen, welche Handys wir haben und welche Computerspiele wir kennen. Zwei Jungen im Grundschulalter sind besonders von unseren Stirnlampen mit Bewegungsmelder fasziniert. Besonders gesprächig ist unser Pritschen-Nachbar Maxim. Er stellt uns viele Fragen und übt mit Julia ein paar deutsche Sätze. Der kluge Bub ist gerade mit seiner Mutter unterwegs um ein Feriencamp zu besuchen.

Im Boardrestaurant haben wir die einzige negative Erfahrung der Reise. Die Kellnerin verrechnet uns 15% Service Gebühr obwohl das in Russland verboten ist. Sogar unser Trinkgeld nimmt sie an. Als wir reklamieren redet sie sich raus, aber ihr Kollege setzt sich für uns ein und wir bekommen immerhin einen Teil zurück. Kopfschüttelnd erklärt uns ihr Kollege, dass sie ein „Chicken“ sei.

Obluch’e

Der letzte Tag in der Transsib. Ich will noch lange nicht aussteigen, auch wenn mir vor Müdigkeit der Kopf dröhnt. Aber ich musste ja unbedingt um 7 Uhr früh aufstehen um mir am Bahnhof Belagorsk die Beine zu vertreten. Diese Entscheidung erweist sich allerdings als goldrichtig, denn bis zum Aufenthalt in Chabarovsk, 11 Stunden später, gibt es nur die kurze Ausstiegsmöglichkeit in Obluch’e.

Die Logik, warum der Zug bei manchen Orten hält und bei anderen nicht, ist uns nicht immer klar. Aber vermutlich hängt es damit zusammen, dass die Orte auf die Lieferungen, die mit der Transsib kommen, angewiesen sind und manche Bahnhöfe Ladestellen sind. Jedenfalls halten wir 15 Minuten in Obluch’e wo es absolut nichts gibt, bleiben hingegen in Birobidzan nur kurz stehen.

Birobidzan ist die Hauptstadt des Jüdischen Autonomen Gebiets, dass unter Stalin geschaffen wurde. Der Name des Bahnhofs ist in hebräischen Buchstaben angeschrieben. 40.000 freiwillige Siedlerinnen und Siedler gingen in den Jahren nach 1934 in den fernen Osten der UdSSR. Da es sich um eine äußerst unwirtliche Gegend handelt, ist es kein Wunder, dass die jüdische Bevölkerung heute nur mehr acht Prozent beträgt, da viele ab Ende der 1980er Jahre nach Israel auswanderten.

Chabarovsk

Erst am Abend nach 19 Uhr, können wir für 20 Minuten den Zug in Chabarovsk verlassen. Obwohl es ein großer Bahnhof ist, von dem man auch einen guten Blick über die Stadt hat, können wir nur Wasser kaufen, weil die Schlangen vor den Märkten zu lange sind und wir die Zeit mit Kwas trinken vertrödelt haben.

Vjazemskaja

Erst in Vjazemskaja um 21 Uhr 22 schaffe ich es, während eines 10-minütigen Aufenthalts heldinnenhaft Bier aufzutreiben. Die Dame, die ihre selbstgemachten Speisen verkauft, bietet zwar zuerst kein Bier an, aber als ich sie danach frage, öffnet sie einen zweiten Boden ihres Korbs und – ta-da – Bier kommt unter Cola und Wasserflaschen zum Vorschein.

Wir kaufen außerdem Kukuruz, mit Ei und Essigurke gefüllte Fleischlaibchen und fette krapfenartige Speisen mit Wurst, Kraut oder Erdäpfel-Füllung. Dann tun wir es unseren Mitreisenden gleich und jausnen ordentlich auf.

Die letzten Kilometer in der Transsib

Nach dem Genuss der fettigen Speisen legen wir nun mit vollen Bäuchen die letzten Kilometer bis zur Endstation in Vladivostok gemächlich schaukelnd zurück. Dann haben wir Russland von Westen bis Osten bereist. Von China, an dem wir jetzt entlang fahren, sehen wir nichts, es ist Nacht. Mittlerweile stinkt es schon erbärmlich in unserem Abteil und trotz der Klimaanlage ist es jetzt auch noch zu heiß.

Ich bin wehmütig, aber auch sehr gespannt auf Vladivostok. Noch einmal sehe ich mich im Wagon um. Schlafend schauen alle friedlich und niedlich aus. Besonders die Kinder, aber auch der unfassbar dicke Mann, dessen entblößte Wampe über die Pritsche hängt, sodass man an ihr streift, wenn man vorbei Richtung Klo geht. Ich beginne die Gesetze der Physik zu hinterfragen, denn eigentlich müsste er hinunterfallen, denn das meiste seiner Körpermasse ragt über sein Bett hinaus.

Leider schlafen aber nicht alle. Eine Ferienlagergruppe ist vor Kurzem eingestiegen. Die Teenager kichern und wispern die ganze Nacht, während sie sich jeweils zu zweit in eines der engen Betten quetschen und auf ihre Handys blicken. Um 4 Uhr früh packt dann auch noch die alte Dame neben uns ihre Wurst-Eier-Jause (wieder) aus und knistert dabei als wäre jedes einzelne Brotkorn in Folie eingepackt.

Am Ziel: Vladivostok

Um 7 Uhr früh kommen wir nach dieser mühsamen Nacht an unserem Zielbahnhof an. Davor fahren wir an kleinen Holzhäusern und Gärten in Nebelschwaden vorbei, dann entlang am Meer und schließlich, als wir einfahren, geht die Sonne auf. Völlig fertig, aber euphorisch schleppen wir uns im goldenen Morgenlicht durch den schönen, im Jugendstil gehaltenen, Bahnhof in Richtung Innenstadt.

Dort werden wir von moderner Architektur und einer faszinierenden Brücke überrascht. In einer 24h-Bar frühstücken wir gemeinsam mit einem sturzbetrunkenen russischen Pärchen und japanischen Touristinnen und Touristen. Danach schleppen wir uns zum Strand, schwimmen gemeinsam mit den zahlreichen Pensionistinnen und Pensionisten, die auch am anderen Ende der Welt die Frühaufsteher sind und schlafen noch ein bisschen, bevor wir uns um 12 Uhr mit dem Taxi auf zu unserem Hotel machen.

(Nächster Beitrag: Vladivostok)

 

Reisetipp für die Übergangszeit – Auf nach Plowdiw!

Aus gegebenen Anlass unterbreche ich meine Transsib-Reiseserie für all jene, die vielleicht gerade ein Reiseziel für die Übergangszeit suchen. Ein Ziel, das wärmer als unsere Gefilde ist, aber kein Langstreckenflug inklusive Jetlag benötigt und Programm für alle Wetterlagen bietet. Und dabei handelt es sich um: Plowdiw.

Was ist Plowdiw? Wo ist Plowdiw? Und warum solltet ihr euch das ansehen? Hier erfährt ihr mehr.

Verdiente Kulturhauptstadt 2019

Plowdiw ist die zweitgrößte Stadt im Südwesten Bulgariens, 120 km entfernt von der Hauptstadt Sofia. Als ich 2017 zufällig davon las, dass dieser, mir bis dato, völlig unbekannte Ort, Europäische Kulturhauptstadt 2019 werden würde, blieb mir der Name irgendwie im Gedächtnis hängen. Ich dachte mir, warum nicht hinfahren bevor Tourist*innenströme in Massen den Ort belagern? So kam es, dass mein Freund und ich zu einer eher untypischen Jahreszeit – grauer November – einen Ausflug in den Südosten Europas machten.

Und da hätten wir echt schon früher darauf kommen können, denn Bulgarien hat viel zu bieten: Die Ostküste verspricht im Sommer einen günstigen Meerurlaub und im Frühling und frühen Herbst lädt das Balkangebirge zum Wandern, im Winter zum Skifahren ein. Der unattraktivste aller Monate bot uns die Gelegenheit Plowdiw und Sofia unsere volle Aufmerksamkeit zu schenken. Und diese haben beide Städte – nicht nur im Kulturhauptstadtjahr – mehr als verdient.

Alte, turbulente und beeindruckende Geschichte

Plowdiw gehört – neben seiner Kulturhauptstadtkollegin Matera zu den ältesten Städten Europas und hat schon unterschiedlichste Völker beherbergt. Zwar ist Matera ganze 1000 Jahre älter, aber Plowdiw gehört zu den wenigen Städten dieser Erde, die seit 8000 Jahren durchgehend besiedelt waren.

Die Beweise dafür finden sich unter anderem auf dem Hügel Nebet Tepe am Dreihügelmassiv. Dort gibt es auch Reste der mittelalterlichen Stadtmauer und eine tolle Aussicht über die Stadt sowie auf die Alyosha Statue am Bunarjik Hügel. Diese 11 Meter hohe Statue, die einen sowjetischen Soldaten darstellt, wird 24 Stunden am Tag bewacht, um sie vor Vandalismus zu schützen. Insgesamt erstreckt sich das heutige Plowdiw über sechs Hügel, ein siebter wurde im 20. Jahrhundert zerstört.

Archäologische Fundgrube

Die Thraker*innen, Kelt*innen, Römer*innen, Byzantiner*innen, Osman*innen, Slaw*innen, – sie alle haben ihre Spuren in dem hübschen Stadtkern hinterlassen.

Um ein paar Highlights aus der frühesten Geschichte Plowdiws zu nennen: 342 v. Chr. als die Makedonier die thrakische Siedlung am Nebet Tepe kurzfristig eroberten, wurde die Stadt in Philippopolis (nach dem Vater von Alexander den Großen) benannt. Später geriet die Stadt wieder unter thrakische Herrschaft und hieß Pulpudeva. 72 v. Chr. wurde sie von den Römern erobert und Trimontium genannt, nach den drei Hügeln auf denen sie stand. Die Römer bauten Straßen, welche die Stadt wirtschaftlich und kulturell aufblühen ließen, und hinterließen eine Reihe an wichtigen öffentlichen Gebäuden, deren Überreste heute besichtigt werden können.

Zum Beispiel das Antike Theater von Philippopolis, welches im 20. Jahrhundert restauriert wurde und nun als Stätte für verschiedene Festivals dient. Das Theater thront prominent zwischen zwei Hügeln über einer vielbefahrenden Straße, die der genialen Akustik angeblich nichts anhaben kann. Natürlich finden auch im Kulturhauptstadtjahr zahlreiche Veranstaltungen im antiken Theater statt.

Ein römisches Stadion unter der Einkaufsstraße

Eine weiter Attraktion ist das Stadion aus der Zeit Kaiser Hadrian (117-138). Es gehört zu den größten und zu am besten erhaltenen Gebäude des antiken Roms auf der Balkaninsel. Das römische Stadion mit einer ungefähren Länge von 240 m und 50 m Breite sowie einer Sitzplatzkapazität von 30.000 Personen liegt jedoch zum Großteil unter der Hauptfußgängerzone Plowdiws. Ein Teil davon kann direkt vom Dschumaja-Platz aus besichtigt werden, einzelne Elemente sind in den Kellern der Häuser und Geschäfte der Fußgängerzone zu finden. Im Gebäude des Kleidergeschäfts H&M können während des Einkaufens die antiken Überreste im Untergeschoß bewundert werden.

Direkt neben den begehbaren Teil der Stadionruinen, steht die Dschumaja Moschee. Sie gilt als eine der ältesten Moscheen Europas (nur in Spanien gibt es ältere). Das Café im Gebäude der Moschee bietet außerordentlich guten Mokka und Süßspeisen an.

Schon als Plowdiw noch Philipppopolis hieß, war die Stadt ein kosmopolitisches Zentrum mit unterschiedlichsten ethnischen Gruppen und Religionen. So wurden Reste einer Synagoge aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. sowie christliche Kirchen aus Anfang 5. Jahrhundert entdeckt.

Bauten aus der „Wiedergeburt Bulgariens“

Die Altstadt ist eine weitere Sehenswürdigkeit für sich. Die prächtigen Häuser der Bürgerlichen aus Anfang des 18. Jahrhunderts, der sogenannten Wiedergeburt Bulgariens, haben einen einzigartigen Baustil. Die Bulgarische Wiedergeburt bezeichnet eine Epoche von radikalen Umbrüchen in allen Sphären der Gesellschaft, Ökonomie, Politik, Religion und Kultur.

Neben den kunstvoll verzierten Häusern, finden sich in der Altstadt auch zahlreiche Museen. Insbesondere das Ethnographische Museum ist für Ethnologinnen und Ethnologen interessant. Nach einem Spaziergang durch die bürgerlichen Prachtbauten, ist ein Abstecher in das kleine aber sehr feine Absinthe House Plovdiv ein guter Ausgleich. Es bietet die perfekte Mischung aus Verwegenheit, Urigkeit und Stil.

Das Absinthe House Plowdiw

Das Hipsterviertel Kapana

Als wir 2017 Plowdiw besuchten, waren wir direkt im hippsten Viertel der Stadt untergebracht: Kapana! Hier reihen sich hübsche Vinyl-, Design- und Kunsthandwerkläden an eine überwältigende Ansammlung an Bars, Cafés und kleinen Restaurants, die Craft Beer, bulgarische Weine und die traditionelle Küche neu interpretiert anbieten. Das Viertel wurde teilweise zur Fußgängerzone umgewandelt und so stehen bis in den Spätherbst Sitzgelegenheiten vor den Läden und gastronomischen Betrieben.

 

Neben den vorrangig jungen und feschen Menschen, die es sich in den engen Gassen vor den Lokalen gemütlich machten, fiel uns auf, dass ausschließlich jedes Geschäft, jedes Lokal, jede Bar komplett neu und nach den heißesten Trends auf Pinterest und Co. eingerichtet war. Als hätten sie alle gleichzeitig aufgemacht und sich jeder auf ein eigenes Konzept geeinigt, damit alles was gefällt vorhanden ist und sich niemand im Weg steht. Aber auch kulturelle Zentren, etwa der armenischen Bevölkerung, finden sich in Kapana.

Instagram-Disney-World

Alte Gebäude aus Anfang des 20. Jahrhunderts strahlen in bunten Farben, jede freie Fläche ist mit Street Art verziert. In den Bars kamen uns Gäste und Personal alle miteinander befreundet vor. Als hätten wir ein fremdes Wohnzimmer oder einen schicken Partykeller gecrasht. Dieser kleine Stadtteil verwirrte und faszinierte uns. Fast hätten wir alten Bobos uns nicht mehr heraus bewegt. Dabei liegen die historischen Sehenswürdigkeiten von Plowdiw in gemütlicher Spaziergehweite. Passenderweise heißt Kapana auch übersetzt „die Falle“.

Es wirkte, als hätten der King und die Queen of Hipsters sich ihr eigenes instagramtaugliches Disney World zusammengestellt. Doch Kapanas Geschichte ist viel spannender, als der hippe Minikosmos vielleicht scheinen mag. Tatsächlich wurden die Gassen bis vor ein paar Jahren noch hauptsächlich als Parkplatz genutzt.

Vom osmanischen Markt- zum Parkplatz

Kapana war noch in den 1980ern ein runtergekommenes Stadtviertel und das mitten im Zentrum von Plowdiw. Dabei hatte es so gut angefangen: Als Marktplatz (Charshiya) während der frühen Osmanischen Periode, war die Gegend der Hotspot des städtischen Lebens. Nachdem die Russen, die Osmanen von der Herrschaft über Bulgarien „ablösten“, verfiel Kapana zusehends. Ein großes Feuer tat sein übriges und zerstörte die architektonisch wertvollen Gebäude des Charshiya für immer.

So sieht der nicht renovierte Teil Kapans aus

Weltkulturerbe

Zwar wurde Kapana nach dem ersten Weltkrieg neu aufgebaut und wieder besiedelt, verkam aber zu einer armen, vernachlässigten Gegend. Die Pläne hier ein Einkaufszentrum nach amerikanischen Vorbild entstehen zu lassen, wurden – der langsamen Bürokratie sei Dank – nie verwirklicht. Stattdessen trat 1975 die Welterbekonvention der UNESCO in Kraft. Dies legte die Basis, das in den 80er-Jahren die Gegend als Kunst und Handwerksviertel revitalisiert wurde. Dank Restaurationen konnten 80 der 400 Gebäude in Kapana den Status als Weltkulturerbe erhalten.

Kreative Stadtteilrenovierung

1981 lancierte eine Gruppe aus Kunstschaffenden, Architekt*innen und Designer*innen ein Projekt zur Renovierung von Kapana in einen multifunktionellen Ort für Kunst und Kultur. Die alten Gebäude sollten erhalten werden, neue passend zum Rest gestaltet werden. Aber auch dieses preisgekrönte Projekt scheiterte, als sich mit dem Zerfall der Sowjetunion die politische und ökonomische Situation änderte.

Erst zwischen 2012 und 2018 wurde aus Kapana der kulturelle und angesagte Stadtteil, der er heute ist. Mit Blick auf die Kulturhauptstadtaustragung in 2019, vermietet die Plowdiw 2019 Foundation seit 2014 jeweils für ein Jahr einzelne Gebäude in Kapana gratis oder zu einem Spottpreis an unabhängige Kreative, Unternehmerinnen und Unternehmer. Im Austausch sollten diese attraktive lokale Geschäfte, Restaurants, Bars, Ateliers, Galerien, kulturelle Veranstaltungen, Workshops und Performances schaffen. Vor allem junge Leute konnten hier ihre Pläne verwirklichen.

So wurde aus Kapana ein sehenswertes, entspanntes Viertel, das sowohl tagsüber als auch abends, Einheimische und Touris anzieht. Wem das zu wenig Ecken und Kanten hat, kann ja gerne selber neben einem Einkaufszentrum oder einer mehrstöckigen Garage leben – gegen solche Projekte wehren sich die Einheimischen nämlich bis heute mittels Kulturinitiativen und Protest erfolgreich.

Fazit

Plowdiw ist auf jeden Fall einen Besuch Wert. Das gilt das ebenso für die Hauptstadt Sofia, von der ich bei Gelegenheit berichten werde. Sehr schöne Ausflüge lassen sich zudem in die Umgebung machen, zum Beispiel zum bulgarisch-orthodoxen Bachkovski Kloster, zur Assen Festung und in die Rhodopen. Also auf nach Bulgarien!

 

Transsib Teil 10 – Ulan-Ude, Hauptstadt Burjatiens

Ulan-Ude ist wohl die exotischste Stadt auf der transsibirischen Reisestrecke. Ein Viertel der Bevölkerung sind Burjatinnen und Burjaten, ein Volk, dass mit den Mongolinnen und Mongolen verwandt ist. Auch Ewenk*innen, die indigene Bevölkerung der Region, leben hier. Insgesamt wirkt die Bevölkerung wunderbar selbstverständlich durchmischt, es gibt keine ethnische Trennung zwischen russischer und burjatischer Bevölkerung. Außerdem bietet die rund 430 000 Einwohner*innen-reiche Stadt interessante Architektur und ein paar wunderbar skurrile Sehenswürdigkeiten und Aktivitäten. Die besten Vorraussetzungen für einen spannenden Citytrip also.

Nachdem wir unsere Unterkunft, das Sport Hostel Ulan-Ude, nach einer ratlosen Suche gefunden und die sehr sympathischen Vermieterinnen kennengelernt haben, machen wir uns zu Fuß auf in die Innenstadt, schließlich haben wir nur 1,5 Tage hier.

Vier Tipps für einen gemütlichen Besuch

Unser Transsib Handbuch empfiehlt gleich drei Ausflugsziele, die alle bestimmt ziemlich interessant sind. Doch leider sind wir zu erschöpft und von der Hitze überwältigt. Daher lassen wir das empfohlene Ethnographische Freilichtmuseum, den neuen buddhistischen Gebetstempel (Dazan) oder das 1949 errichtete Lamakloster Ivolginsk leider aus. 

Für fleißige Touris gibt es also viel zu sehen. Aber auch für all jene, bei denen die ersten Ermüdungserscheinungen zu diesem Zeitpunkt der Reise auftreten, habe ich vier Tipps für Aktivitäten, die den Besuch von Ulan-Ude auf jeden Fall zu etwas Besonderen machen.  

1. Sushi essen

Keine Ahnung warum,  aber in der Stadt kann man großartig und zu fairen Preisen Sushi essen und bisher unbekannte Kreationen („Hot Sushi“) entdecken. Dabei könnte das Meer kaum weiter entfernt sein als von Ulan-Ude. Sei’s drum, check it out!

Sushi-Bar in Ulan-Ude

2. Lenins monumentalen Kopf bestaunen

Lenin- Darstellungen gibt es in Russland in allen erdenklichen Formen und Größen, angefangen von der kleinsten Matrioshka-Figur in einer mit Putin bemalten Matrioshka über Graffiti bis hin zu dem fast 8 Meter hohen und 42 Tonnen schweren Lenin-Kopf in der Hauptstadt Burjatiens. Sie ist laut Wikipedia „die größte Porträtbüste der Welt“.

Das Denkmal war ursprünglich Teil des sowjetischen Pavillons bei  der Weltausstellung 1971 in Kanada. Da es danach niemand haben geschweige denn kaufen wollte, landete es irgendwann in Transbaikalien und steht nun auf dem Sovetskaja Platz im Zentrum Ulan-Udes. Wer konnte damals ahnen, dass der Riesenschädel einmal so ein beliebter touristischer Anzugspunkt und sogar mehrmals täglich als Hintergrund für Hochzeitsfotos dienen würde. Langsam bekomme ich Mitleid mit Lenin.

Lenin Denkmal

3. Durch die autofreie Innenstadt flanieren

Von der Burjatischen Nationaloper aus führt eine lange Flaniermeile bis zur Kathedrale der Gottesmutter Hodigitreja. Eine schöne orthodoxe Barockkirche mit strahlend weißer Fassade und blitzblauen Dächern und goldenen Zwiebeltürmchen. Wie so viele Kirchen wurde sie während der Sowjetzeit als Lager genutzt und ist innen vollkommen unspektakulär, da alle Wände weiß sind und die Heiligenbilder erst aufgehängt werden müssen. Erst seit 2003 wird die 1745 erbaute Kirche allmählich wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt.  

Die Fußgängerzone, genannt Arbat, ist voller Souvenirstände und Musikanten sowie von teilweise historischen Gebäuden flankiert. Ein Spaziergang eignet sich ideal, um Leute zu beobachten, recht viel spektakulärer wird es allerdings nicht. Zwischendurch kehren wir in einen hübschen, kleinen Laden ein, der auch Kaffee anbietet. Wir vermuten, es ist das einzige Café in Ulan-Ude, dass dem üblichen Hipster-Einheitsbrei am ähnlichsten kommt, aber wir haben halt ein Händchen für diese Dinge. Unser Espresso wird uns in Julius Meinl Wienerkaffeehaus Tassen serviert. Ein Stückchen Heimat 6.304,68 km Luftlinie entfernt.

Biegt man etwas von der Fußgängerzone ab, kann man traditionelle Holzhäuser bewundern und die alten Handelsreihen aus dem 19. Jahrhundert, als hier reiche Kaufmänner zweimal jährlich große Handelsmessen veranstalteten. Heute befindet sich darin ein Kaufhaus und davor ein Obelisk, der in den 1920er Jahren zu Ehren der Revolutionsopfer errichtet wurde.

Am Abend spazieren wir über den Platz vor der Oper wo sich verliebte Pärchen, Jugendliche, Alte und Familien mit Kindern auf Rollerskates tummeln. Der Springbrunnen im Zentrum spielt im Takt zu klassischer Musik und Opernarien eine hypnotisierende Licht- und Wassershow. Da wir aber hungrig sind, kehren wir nach einer Weile in das empfehlenswerte Pub Churchill (Уинстон Черчилль) ein.

4. Im Triniti-Funpark optischen Täuschungen erliegen

Vorbei an einem Rudel streunender Hunde und dubiosen Buden, über lädierte Gehwege und einem weiten Parkplatz, kommen wir zu einem Einkaufszentrum (пионер), das neben westlichen Kleidermarken und einem Kino vor allem eine Vielzahl an Spielhallen beherbergt. Wir wollen jedoch in den Indoor-Freizeitpark für Erwachsene und Kinder von dem Stefan gelesen hat.

Für 5,50 Euro pro Person tauchen wir ein in eine Welt voller optischer Täuschungen, alter sowjetischer Spiele, physikalischer Experimente und zahlreicher Möglichkeiten auf Fotos zu posen. Aufgekratzt wie Kinder auf Zucker probieren wir alles aus, ohne Schamgrenze – so lange bis uns die freundlichen Mitarbeiter rauswerfen. Absolute Empfehlung für Fans von inszenierten Fotos, skurrilen Erfindungen und Geschicklichkeitsspielen.

Adresse: Korabel’naya Ulitsa, 41, Ulan-Ude, Buryatiya Republits, Russland, 670000

Nach zwei Nächten in Ulan-Ude ist es wieder so weit und wir treten unsere letzte Fahrt mit dem Zug an. Dafür diesmal für 62 Stunden am Stück in der 3. Klasse (davon nächstes Mal mehr).

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Transsib Teil 9 – Kurze Anekdoten vom Aufenthalt am Baikal See

Unsere zweite Baikal-Tour mit Georgi führt uns zum so genannten Weißen Felsen, von dem uns schon Oxana erzählt hat. In aller Frühe fahren wir mit dem Boot eine Stunde lang über den grauen Baikal See durch dichte Nebelschwaden zum Ausgangspunkt der Wanderung. Eine ältere, exaltierte Dame und eine Mutter mit zwei Kindern im Pflichtschulalter haben sich der Tour angeschlossen. Georgi hält eine Sicherheitseinweisung für den Aufstieg und versichert, er werde viele Pausen machen. Wir sind gespannt welch gefährliche Klettertour da auf uns zukommen mag, es scheint abenteuerlich zu werden.

Die „Wanderung“

Wie sich herausstellt, wären wir wohl in 15 Minuten oben gewesen, wären wir allein gewandert. Aber dank der vielen Pausen dauert es immerhin eine halbe Stunde. Für unsere russischen Mitwandernden ist der Aufstieg dennoch eine Herausforderung, für durchschnittliche Alpenregionsbewohnerinnen  und -bewohner ist er nicht der Rede Wert.

Der Ausblick oben über den Baikal ist aber dennoch sehr schön und auch hier findet sich ein schamanischer Kraftort. Georgi hat uns vor dem Aufstieg geraten, einen Stein vom Strand mit dem Gewicht unserer Schuld mit nach oben zu nehmen und dann dort zu lassen. Somit sind auch unsere Sünden vergeben, wir sollten uns nicht beschweren.

Obwohl wir Georgi sehr sympathisch finden, beschließen wir trotzdem die zweite Wanderung, die wir mit ihm geplant hatten, abzusagen. Er ist enttäuscht, aber unsere Vorstellungen vom Wandern unterscheiden sich eindeutig von jenen der Russinnen und Russen. Auch wollen wir keine acht Stunden bis zu unserem nächsten Ausflugsziel fahren. Beim Planen unserer Reise hatten wir die Distanzen eindeutig unterschätzt.

Spaziergang mit Hund

An unserem letzten Tag in Sukhaya spazieren wir noch einmal durch das Dorf. Ein kleiner schwarz-weiß gescheckter Hund schließt sich uns wie selbstverständlich an. Überall glauben die Leute nun, der ungezogene Frechdachs gehöre uns. Auch als er die Hündin einer Spaziergängerin belästigt, als er auf einen Jungen freudig bellend zuläuft, als er einfach mit ins Souvenirgeschäft spaziert und es sich dort gemütlich macht und als er uns in eine kleine Kirche folgt. Aufgrund unserer begrenzten Russischkenntnisse, bleibt uns nichts anderes übrig, als einen schuldbewussten, entschuldigenden Eindruck zu machen.

Wir nannten ihn Chernyy-Tochka-Sabaka (черный точка собака) = Schwarz-Punkt-Hund

Neugierig inspizieren wir gemeinsam mit „unserem“ Hund die Kirche, die innen noch gar nicht fertig gebaut ist. Wir wollen schon wieder hinausgehen, da kommt plötzlich ein älterer Herr und gibt uns ungefragt eine ausführliche Tour auf Russisch. Dass wir kaum etwas verstehen, verwundert den Mann zwar, aber er lässt sich davon nicht beirren. Aus Höflichkeit hören wir eine Weile zu und betrachten aufmerksam die Balken und die noch am Boden stehenden Ikonen-Bilder, während der erzählfreudige Herr darauf zeigt. Als sich die Gelegenheit ergibt, bedanken wir uns und machen uns aus dem Staub, während uns der Mann verwirrt nachsieht. Kurz darauf sehen wir eine kleine Gruppe von Leuten in die Kirche gehen. Offenbar hatte uns der Mann mit diesen Besucherinnen und Besuchern verwechselt.

Die komischen Touris

Nachdem wir einige Tage im Dorf verbracht haben, werden wir schon von Leuten so gegrüßt, als würden sie uns kennen. Wahrscheinlich hat sich schon herumgesprochen, dass wir die seltsamen nicht-russischen Touris sind.  In unserer Unterkunft freunden wir uns mit den Kids der Familienurlauber an und sogar Elena, die schüchterne Gastwirtin, die zuvor per Post-its mit uns kommunizierte, geht uns nicht mehr aus dem Weg. Ganz zum Schluss klärt sich auch noch unsere Herkunft auf, über die in der Unterkunft gerätselt wurde (njet Amerikansky, Avstriyets). Der Gösser Vorrat im kleinen Dorfladen ist nun aufgebraucht. Zeit nach Ulan-Ude zu fahren.