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Transsib Teil 8 – Bei den Schamanen und Ewenken

Die Gegend um den Baikal See ist nicht nur landschaftlich schön, sondern auch kulturell spannend und vielfältig. Unser Tourguide Georgi will uns sechs Orte zeigen, die für diese Region besonders bedeutend sind. Vor seiner Pensionierung hat Georgi bei einer NGO gearbeitet, die sich für den Schutz des Baikal Sees einsetzt. Jetzt macht er ab und zu Führungen mit Touristinnen und Touristen und hat – so wie alle hier – auch einen Garten, der für seinen Lebensunterhalt wichtig ist. Obwohl er intelligent sei, müsse er wie ein Bauer arbeiten, erklärt er uns bedauernd.

Die guten Straßen auf der wir die ersten Kilometer unserer Tour fahren, wurden von der Regierung gesponsert, die hier um den Baikal See große Hotels bauen und dafür Investor*innen anlocken wollte. Aber da es an Infrastruktur, wie etwa einem ordentlichen Abwassersystem fehlt, war niemand interessiert hier ein touristisches Zentrum zu schaffen. Georgi ist darüber erleichtert. Ein Hotelkomplex wäre in dieser rustikalen Idylle schon rein optisch äußerst deplatziert, um von den ökologischen Auswirkungen gar nicht erst zu reden.

Aber auch die Einheimischen tragen zur Verschmutzung des Sees bei, die Abwässer der Stadt und der Industrie werden ungereinigt hineingeleitet. Ein nachhaltiger Umgang mit der Natur sei für viele keine Priorität, so Georgi. Dennoch kommt das Trinkwasser  für die Region aus dem Baikal, da es aus der Tiefe abgepumpt wird. Außerdem sorgen winzige Flohkrebse für die Selbstreinigung des Sees.

Buddhistisches Zentrum

Die Asphaltstraße endet bereits beim Nachbarsdorf, welches übersetzt „trockener Fluss“ heißt. Dort besichtigen wir einen buddhistischen Wahlfahrtsort. Vor dem Kloster campen eine Vielzahl mongolischer Buddhistinnen und Buddhisten. Unter einer riesigen, offenen Halle sitzen Menschen und hören einem Redner zu. Georgi erklärt, dass wir einen schlechten Tag erwischt haben, da der aktuelle Lama aus Moskau zu Besuch ist und wir deshalb das Kloster nicht besichtigen können. Leider ist uns nicht ganz klar, warum ausgerechnet hier eine Pilgerstätte ist. Georgi sagt, es gäbe dafür keinen speziellen Grund, aber ich bin nicht sicher, ob er es auf Englisch nicht erklären kann oder einfach nicht weiß. Historische Tempelanlagen gibt es hier jedenfalls nicht.

Baikal – der reiche See

Wir fahren ein paar Kilometer weiter zu einer idyllischen Flussmündung. Der Sukhaya Fluss fließt hier in den Baikal See. Pferde und Kühe laufen frei herum, Menschen zelten am Waldesrand und an den sibirischen Lärchen wehen bunte, schamanische Stofffetzen, die Kraftorte markieren sollen. Der Schamanismus existiert in Sibirien in friedlicher  Koexistenz mit Buddhismus und orthodoxem Christentum.

Georgi erzählt uns mehr über die einzigartige Flora und Fauna des Baikal Sees. Besonders bekannt ist die Baikalrobbe, Nerpa genannt, sie ist verwandt mit den Eismeerrobben, muss sich aber vor vielen tausenden Jahren auf Süßwasser umgestellt haben – wie das möglich ist, weiß niemand. Der See ist 25 Millionen Jahre alt und das größte, nicht gefrorene Süßwasserreservoir der Erde. Seine Oberfläche (31 700 Quadratkilometer) ist weniger beeindruckend als die Tiefe: Mit 1642 Metern hält der Baikal See den Weltrekord unter den Seen.

Auf der Fahrt zum nächsten bemerkenswerten Ort in der Gegend, passieren wir einen Kraftort – gleich neben der Straße, unweit eines Handymastens, soll ein schamanischer Geist wohnen. Aus den fahrenden Autos werfen die Leute Münzen in den Wald und wünschen sich etwas. Auch Denis hatte das bei der Hinfahrt gemacht und wir hatten uns still gewundert. Bei der Rückfahrt fallen mir nun die Leute neben manchen Straßenabschnitten auf, die das Geld suchen, das die Geister der Schamaninnen und Schamanen nicht brauchen.

Erbe der Ewenken

Der dritte Stopp ist auf den ersten Blick völlig unscheinbar, wir bleiben bei einer verwilderten Wiese gleich neben der Schnellstraße stehen. Georgi erklärt uns, dass hier ein Ort geschaffen wurde, der auf die Kultur des indigenen Volks der Ewenken (alte Bezeichnung Tungusen) aufmerksam machen soll. Durch ein symbolisches Tor treten wir in das Gebiet der Ewenken ein. Zuvor müssen wir noch unsere schlechten Gedanken zurücklassen.

Ein Schrein mit zwei Totempfählen – einer weiblich, einer männlich und mit Totemtieren verziert – präsentiert in ewenkischer Sprache die Gesetze der Ewenken, als sie noch die nomadische Lebensweise pflegten. Im 20. Jahrhundert wurden sie von der russischen Herrschaft zur Sesshaftigkeit gezwungen. Auch die ewenkische Sprache ist mittlerweile bedroht. Georgi gehört zu einer freiwilligen Gruppe von Menschen, die versuchen das Erbe der sibirischen Indigenen zu bewahren.

Animistischer Glaube bis heute

Die Religion der Ewenken ist animistisch, das bedeutet, sie glauben daran, dass alles in der Natur und jedes Lebewesen eine Seele hat. Auch das Schamanentum ist wichtiger Bestandteil dieser Tradition. Anthropologinnen und Anthropologen sehen die ewenkische Form als den klassischen Schamanismus. Sowohl Frauen als auch Männer können Schaman*innen werden.

Es heißt, die indigene Bevölkerung Amerikas stamme von den Ewenken ab, welche über die Beringstraße nach Amerika ausgewandert seien. Georgi erklärt uns das so: „We used to believe there are four races: black, white, red and yellow. But now we know (…dass es keine Rassen gibt, denke ich den Satz zu Ende) …that there are only three races, because the red came from the white Ewenki“. Er meint die Ähnlichkeit zwischen den Ewenken und den Indigenen in Amerika sei eindeutig und zumindest damit hat er Recht.

Ein Schrein, der auf die Kultur der Ewenken verweist

Burjatischer Schamanismus

Bei einem Kraftort der burjatischen Schaman*innen machen wir unseren vierten Halt. Hier finden sich besonders viele bunte Tücher und Bänder, die an unterschiedlichen Befestigungen hängend im Wind wehen. Mit den Streifen werden Gebete und Wünsche eingebunden, die der Wind zu den Geistern tragen soll. Um einen Schrein können wir dreimal im Uhrzeigersinn gehen und unsere Wünsche wiederholen und dann eine kleine Spende für die Geister dalassen. Neben Münzen finden sich da auch Tic Tacs, ein Fläschchen Sojasauce und Zuckerl. Von der Stätte aus haben wir einen fantastischen Blick auf den Baikal See.

Museum und heilende Thermalquelle

Vorletzter Stopp ist ein volkskundliches Museum, in dem traditionelle Kleider und Werkzeuge der burjatischen Bevölkerung ausgestellt werden. Mittlerweile ist es spät geworden und die Sonne geht knallrot unter. Den finalen Höhepunkt der Tour bildet der Besuch der heißen Quellen, denen heilende Wirkung nachgesagt wird. Leider sind die Quellen nicht wie ich angenommen hatte, in der freien Wildnis, sondern unter einer Plastikplane. Immerhin  ist es keine typische Thermenanlage, wie wir sie aus Österreich kennen. Es ist einfach ein Poolbecken, in dem sich russische Badegäste drängen, ohne Sitz- oder Liegegelegenheiten, mit ein paar Umkleiden und einer bewachten Garderobe. Ein wunderbar skurriler und entspannender Abschluss für eine äußerst interessante Tour.

Götterdämmerung

Einen Tag später erleben Stefan und ich am Strand des Baikal einen dramatischen Sonnenuntergang. Die Wolken wirken am Baikal See als würden sie ganz nah an die Erde heranreichen. Gewaltige dunkle Mächte, in Form von Gewitterwolken, kämpfen gegen die guten Kräfte, in Form der sonnendurchfluteten Abendwolken. Kein Wunder, dass der Schamanismus und Geisterglaube in dieser Region so stark ist.

(Nächster Beitrag: Kurze Anekdoten vom Aufenthalt am Baikal See)

Transsib Teil 7 – Das Dorf der Kühe am Baikal See

Nach drei Tagen im Zug kommen wir am Nachmittag in Ulan-Ude an. Dort wartet schon Denis auf uns, um uns zu unserem nächsten Aufenthalt zu bringen. Die Hauptstadt der russischen Teilrepublik Burjatien werden wir erst vor unserer Weiterfahrt besichtigen. Wir wollen die nächsten fünf Tage in Sukhaya (Cухая), einem kleinen Dorf im Osten des Baikal Sees, verbringen. Dafür müssen wir allerdings noch zweieinhalb Stunden mit dem Auto fahren. Von russischen Schlager- und Technohits beschallt, düsen wir durch die burjatischen Gebirge und Landstraßen.

Abseits von Allem

Warum die Wahl auf Sukhaya gefallen ist, war teils dem Zufall, teils unserer begrenzten Reisezeit geschuldet. Wir wollten nicht dorthin, wo alle anderen hinfahren und auch nicht zu weit weg von Ulan-Ude, das wir ja auch noch besichtigen wollen. Ersteres ist uns jedenfalls gelungen, Sukhaya könnte nicht weniger touristisch sein. Die Entfernung zu Ulan-Ude erscheint jedoch groß. Wobei, was sind schon zweieinhalb Stunden, nachdem wir schon seit drei Tagen durchgehend fahren? Aber ein Auto ist halt nicht annähernd so gemütlich wie der Zug. 

Denis spricht wenig, lächelt freundlich und macht gerne bei einem Supermarkt halt, wo wir uns mit dem Wichtigsten eindecken – wer weiß, wie abgelegen wir am Baikal See wirklich  sind? Es stellt sich heraus: sehr. Aber kleine Lebensmittelläden, die sogar Gösser Bier führen, gibt es auch dort.

Das Park Hotel – Unpassender Name, schwere Empfehlung

Ziemlich erschöpft kommen wir im Park Hotel an, dass auf einem bewaldeten Hügel liegt. Es gibt hier weder einen Park, noch ist die Unterkunft ein Hotel, sondern ein sehr familiäre Vollpension. Es gibt eine Saunahütte, einen kleinen Volleyball-Platz, eine Grillstelle, einen Spielplatz und eine äußerst gemütliche Hollywoodschaukel (auf das wippende Zuggefühl wollen wir jetzt nicht mehr verzichten). Die Gastwirtin, Elena, spricht kein Englisch und ist sichtlich nervös wegen uns ausländischen Gästen, aber eine quirlige Moskauerin namens Oxana nimmt uns gleich unter ihre Fittiche.

Sie erklärt uns, wann es Frühstück gibt und dass wir Bescheid sagen sollen, wenn wir auch zu Mittag und Abend im Park Hotel essen wollen, das es gegen sehr günsitgen Aufpreis gibt. Nachdem wir das Abendessen gekostet haben, wissen wir, dass wir von diesem Service auf jeden Fall so oft es geht Gebrauch machen wollen: traditioneller und authentischer könnten wir nirgends sonst Russisch essen. Auch die äußerst sympathische Frühstückszeit – 10 Uhr(!) – ist uns willkommen.

Russische Hausmannskost

Jede Mahlzeit besteht aus einer Suppe, mit Weißbrot als Beilage, eingelegtem Fisch und einem recht deftigen Fleischgericht sowie einer kleinen Schüssel Salat mit Mayonnaise-Dressing. Schwarztee können wir uns so viel nehmen wie wir wollen. Natürlich bekommen wir auch Omul, den endemischen Baikalfisch. Nachdem wir einmal nicht pünktlich zur – ohnehin schon sehr kulanten – Beginnzeit des Frühstück kommen, rügt uns die stets genervt dreinblickende Köchin pantomimisch. Von da an sind wir meistens die ersten im Frühstücksraum.

Oxana, die mit ihrer Mutter hier urlaubt, begleitet uns auf einen Spaziergang entlang des Baikal Sees, der nur 10 Minuten zu Fuß vom Park Hotel entfernt ist. Sie empfiehlt uns Stellen, wo es am besten zu Schwimmen ist und meint, wir sollten unbedingt einen Ausflug zum Weißen Felsen machen. Dort würde uns ein sehr schwieriger Steilhang erwarten, aber es würde sich lohnen. Wir machen also mit dem einheimischen Tourguide Georgi drei Touren für die nächsten Tage aus. Für den ersten Tag haben wir aber chillen, spazieren und saunieren geplant.

Kühe am Strand

Am nächsten Tag spazieren wir durch das Dorf. Die Häuser sehen aus wie kleine Hexenhäuschen in allen Farben mit aufwändigen Holzschnitzereien an den Fenstern. Jedes Haus scheint zumindest eine eigene Kuh zu haben. Kühe und Hunde haben hier völlige Bewegungs- und Narrenfreiheit. Sie sind überall, am Strand, auf der Straße, auf den Gehwegen. Nur die Kälber und die Wiesen, die nicht gefressen werden sollen, sind eingezäunt.

Der Baikal See ist kalt, das Wetter frisch, aber sonnig. Wir sitzen am weißen Sandstrand. Ein paar Meter weiter sonnen sich blonde Kühe. Als es abends Zeit zum Melken wird, laufen die Kühe selbstständig zu ihren Häusern zurück und kündigen das mit lautem Gemuhe an. Auf den Gehwegen müssen wir den riesigen Kuhfladen ausweichen, da fällt einem dann ein Hundstrümmerl gar nicht mehr auf.

Die idyllische Gegend, die wie ein russisches Bullerbü anmutet, eignet sich vor allem zum Flanieren und zum Müßiggang. Wir haben den idealen Ort zum Runterkommen gefunden.

(Nächster Beitrag: Bei den Schamanen)

 

 

 

 

Transsib Teil 6 – Von Novosibirsk bis Ulan-Ude

Unsere zweite Zugfahrt mit der Transsib starten wir um 2 Uhr morgens. Unsere Freude auf unser Kupe wird anfangs etwas gedämpft. Wir haben wieder zweite Klasse gebucht, nur diesmal haben wir ein deutlich älteres Modell erwischt. Das ist zwar schön vintage, aber insgesamt auch schon ziemlich abgeranzt. Die Wände sind in schicker Nussholzoptik und statt blauen Stoff gibt es braune Lederbänke, allerdings ist das Kupe auch etwas kleiner, schmutziger und es gibt keine eigenen Steckdosen im Abteil wie bei unserer ersten Fahrt. Das Klo für diesen Wagon ist ein hässliches Ungetüm, dem etwas Militärisches anmutet.

Holzklasse

Diesmal müssen wir uns selber das Bett machen, was in der Enge des Abteils ein mittleres Kunststück ist. In der Nacht befürchte ich, aus dem Bett zu fallen, da der Zug so heftig wackelt und holpert, zum Glück ist ein Schutz an den oberen Betten angebracht. Ist die Strecke rauer geworden oder liegt es daran, dass wir nun fast am Ende des Zuges liegen, rätsle ich.

Sogar unsere neue Provodniza ist etwas rescher als die vorige, aber sie sagt uns auch, dass wir zu ihr kommen sollen, wenn es Probleme gibt. Während im modernen 2. Klasse Abteil unserer ersten Fahrt, die Provodniza das Abteil mit einem Staubsauger zweimal am Tag reinigte, kehrt die Dame hier mit einem Besen.

Es kommt uns ein bisschen wie ein kleiner Abstieg vor, da wir ja schon in den Genuss eines neueren Abteils gekommen waren, aber schlussendlich hat diese Retro-Erfahrung ja auch seinen speziellen Charme. Spätestens am nächsten Morgen haben wir es uns schon wieder im Kupe gemütlich gemacht, wenn auch mit deutlich tieferen Augenringen unter den Augen.

Hauptbeschäftigung: Aus dem Fenster schauen

Das Steckdosenproblem hat die Familie im Abteil neben uns mithilfe eines Verlängerungskabels und einer Verteilersteckdose gelöst, um ihre technischen Geräte am Gang aufladen zu können. Wir müssen halt Akku sparen. Wie sich herausstellt, ist das kein Problem, weil aus dem Fenster sehen sowieso die beste Beschäftigung ist.

Die Landschaft ist jetzt abwechslungsreicher, buntere Wiesen, mehr Baumvielfalt, Bäche, sogar Hügel und immer wieder Dörfer mit kleinen, bunten Holzhäusern. Kaum vorstellbar, dass diese Hütten im kalten, sibirischen Winter bewohnbar sind. Doch jetzt ist vor jedem Haus ein kleiner Garten angelegt in dem Gemüse und Obst angebaut wird.

Wieder sind die Bahnhofstopps die willkommene Gelegenheit Vorräte aufzufüllen und sich die Beine zu vertreten. Wir halten in Krasnojarsk und Kansk und kaufen dort alten Damen Palatschinken mit Süßkäse und Grammelfüllung, frische Waldbeeren und getrockneten Fisch ab. Ich beeile mich, gute Fotos von den schönen Bahnhofsgebäuden und dem Treiben am Bahnsteig zu machen. Als es langsam gegen 10 Uhr dunkel wird, spielen wir Karten und trinken heimlich Bier und Wodka in unserem Abteil. Der letzte längere Stopp bevor wir uns schlafen legen ist Nischni Odinsk.

(Nächster Beitrag: Das Dorf der Kühe am Baikal See)

 

 

 

Transsib Teil 5 – Novosibirsk

Drei Nächte in Novosibirsk, ob das nicht zu lange ist? In den Erfahrungsberichten wird Novosibirsk als wenig sehenswert verunglimpft. Völlig zu Unrecht! Rückblickend war es eine gute Entscheidung hier ein bisschen zu verweilen, da Novosibirsk einen authentischen Einblick ins urbane russische Leben bietet.

Am fünften Tag unserer Russland-Reise kommen wir kurz vor Mitternacht in Novosibirsk an. Glücklicherweise liegt unser Hotel gleich gegenüber des Bahnhofsgebäudes, welches eine Sehenswürdigkeit für sich ist. Im edlen Jugendstil gehalten und mit Warteräumen wie Festsäle gehört der Novosibirsker Bahnhof zu den schönsten entlang der Transsib Route.

Das Marinsky Hotel, in das wir einchecken, ist hingegen ein grauer Koloss. Unser Zimmer liegt im 14. Stock, die Fenster beginnen auf Kniehöhe und lassen sich komplett öffnen – kein Gitter, keine Kindersicherung, aber der Ausblick ist toll. Solange man nicht mit Kleinkindern oder Schlafwandelnden reist, kann das Marinsky auf jeden Fall weiterempfohlen werden, denn es ist günstig und serviceorientiert. Außerdem hat es ein sehr sympathisches Hotel Restaurant, das Beerman & Grill.

In der Hauptstadt Sibiriens

Gejetlagged erkundigen wir am nächsten Tag die Hauptstadt Sibiriens. Wir haben nun bereits vier Stunden Zeitunterschied zu Moskau. Die Innenstadt ist urban, entspannt und birgt reichlich Ost-Charme mit alten Elektrobussen, riesigen Schlaglöchern in den Gehwegen und viel Beton. Da ist es nur stimmig, dass die Stadt über einen Wohnkomplex verfügt, der sich über mehrere Kilometer zieht und den Karl Marx Hof in Wien, wie eine kleine Mehrfamilienanlage aussehen lässt.

Vor dem gigantischen Staatlichen Theater für Oper und Ballett stehen sechs überlebensgroße Statuen – die Helden der Revolution. Selbstverständlich steht in der Mitte Lenin. Diesen Herrn werden wir auf unserer Reise noch sehr häufig zu Gesicht bekommen. Ich schätze wir haben rund 30 Statuen oder Denkmal-Bilder von ihm an den verschiedenen Bahnhöfen und während der Städtebesichtigungen gesehen.

Im Zentrum des alten Russlands

Es hat um die 30 Grad und wir brauchen schon bald eine Pause. Wir kehren in ein  sympathisches mexikanisches Restaurant namens Frida Kahlo einDie mexikanische Malerin hatte den russischen Revolutionär Leo Trotzky unterstützt. Das bunte Restaurant liegt im oberen Stock eines futuristisch anmutenden Gebäudes, gleich neben der kleinen Kapelle St. Nikolai. Das Wahrzeichen von Novosibirsk steht auf einer Verkehrsinsel zwischen zwei Fahrstreifen. Die Kapelle wurde 1915 anlässlich des 300-jährigen Jubiläums der Romanow-Dynastie gebaut und markierte lange den Mittelpunkt Russlands. Mittlerweile liegt der geographische Mittelpunkt Russlands in Krasnojarsk, aber das erfahren wir erst später.

Schwanensee im größten Ballett-Theater Russlands

Julia und ich wollen unbedingt ins Ballett, schließlich ist Russland dafür genauso bekannt wie für Wodka, Kaviar und Kazachok. Außerdem steht in Novosibirsk das größte Theatergebäude Russlands, das erstklassige Aufführungen anbieten soll. Wir haben Glück und ergattern tatsächlich die letzten(!) zwei Sitzplätze für die Aufführung von Schwanensee (50 EUR pro Person für die 5. Reihe).

Im Publikum sitzen viele Mütter mit ihren kleinen Töchtern, aufgemascherlt mit hübschen Kleidern und Frisuren. Wie viele wohl den Traum haben, einmal selbst auf der Bühne zu stehen? Was die Tänzerinnen und Tänzer leisten, ist mitreißend, beeindruckend und auch verstörend. Die physische Gewalt die Ballerinas aufbringen, um ihren Körpern diese Bewegungen aufzuzwingen ist unvorstellbar. Völlig ergriffen stoßen wir später zu Stefan und Michl, die sich schon einmal mit der Novosibirsker Lokalszene vertraut gemacht haben. Diese ist praktischerweise sehr komprimimiert auf und neben den Straßen Ulitsa Sovetskaya und Lenina zu finden.

Mit Schmutzwäsche durch die halbe Stadt

Am zweiten Tag in Novosibirsk lautet unsere Mission „Wäsche waschen“. Leider führen uns unsere Google Recherchen dreimal zu Putzereien, die unsere Unterhosen nicht entgegennehmen wollen. Die hilfreichen Erklärungen der Angestellten verstehen wir zunächst nicht, irgendwas mit Amsterdam und Studierende. Wie bitte? Wir irren durch Wohngebiete und Gegenden der Stadt, in die sich Touristinnen und Touristen eher selten verirren.

In der dritten Putzerei bekommen wir schließlich eine Adresse notiert. Google sagt, die liegt am anderen Ende der Stadt – leichte Resignation macht sich breit. Da bedeutet uns eine beherzte Kundin, wir sollen ihr folgen. Das tun wir auch und halten kaum Schritt, obwohl die Frau mit weißem Minikleid und Stöckelschuhen unterwegs ist. Sie schnappt meine Hand und zieht mich bestimmt voran. „Work“, erlärt sie. Als sie an der Himmelfahrtskirche auf der gegenüberliegenden Straßenseite vorbeigeht, bekreuzigt sie sich im Vorbeigehen. Bei der nächsten Metro-Station angekommen, zeigt sie uns am Fahrplan wo wir aussteigen müssen. Dann verabschiedet sie sich, indem sie uns einen Kussmund zuwirft und ist schon wieder verschwunden.

Die Himmelfahrts-Kirche

Wo die Studierenden waschen

Dank dieses Umwegs sehen wir immerhin die schönen Metro-Stationen, die sich von architektonischen, „überirdischen“ Bausünden der Stadt wohltuend abheben. Unser Ziel befindet sich im Amsterdam – ein Einkaufszentrum dessen Außenfassade im Stil niederländischer Fachwerkhäuser gebaut ist. Hier gibt es einen richtigen Waschsalon mit Bedienung zu dem offenbar vor allem Studierende zum Waschen herkommen. Jetzt macht alles Sinn.

Wir haben eine Stunde Zeit bis unsere Wäsche fertig ist und so stöbern wir durch die Geschäfte, die aus russischen und uns gänzlich unbekannten Ketten bestehen. In einem russischen Fast Food Franchise essen Pelemi und Burger. Ein sehr anti-touristisches Programm für den zweiten Tag in Novosibirsk.

Begegnungen

Auch in Novosibirsk werden wir überall freundlich gefragt woher wir kommen, ob in der Apotheke, der Putzerei, in der Hotelbar oder im Lokal. Wir scheinen aufzufallen, oder die Russ*innen tratschen einfach gern mit Fremden. Uns fällt jedenfalls auf, dass andere Tourist*innen rar sind. Der junge Kellner des Hotelrestaurants, Nikita, freut sich, dass er sein gutes Englisch beweisen kann und testet unsere Kyrillischkenntnisse.

Unsere Begegnungen sind die gesamte Reise hindurch bis auf eine Ausnahme durchwegs positiv, auch wenn die Sprachbarrieren leider nur oberflächliche Kontakte möglich machen. Nicht immer zu unserem Nachteil: Einmal überquere ich aus Versehen eine rote Ampel. Sofort kommt ein Polizist auf mich zu und schimpft etwas auf Russisch. Als ich schüchtern „English please…“ erwidere, winkt er aber sofort ab und geht zurück zu seinen Kollegen.

Russisches Billard

Flanieren am verseuchten Fluß

Am dritten Tag besuchen wir einen Markt und machen am Nachmittag einen Ausflug zum Fluss Ob. Dort gibt es eine Promenade zum Flanieren, einen Radweg (Radfahrende sind ein seltenes Bild) und einen heruntergekommenen Rummelpark. Die Luftschaukeln und Riesenräder knarzen wenig vertrauenswürdig, es gibt viele Schießbuden und hässliche Trampoline, aber es ist viel los.

Der Fluss selbst ist eine der wichtigsten Wasserstraßen Sibiriens und wird zur Energiegewinnung genutzt. Leider ist er extrem mit Rohöl verschmutzt und dazu gelangt auch noch radioaktiv verseuchtes Wasser des Karatschai-Sees über Grundwasserströme in den Ob.

Mindestens ebenso skurril ist unser Besuch im „Puppenhaus„, einem erstklassigen Restaurant für russische Hausmannskost. Gleichzeitig hat es auch die geschmackloseste Einrichtung, die ich je gesehen habe. Nicht einmal Stephen King hätte das Ambiente gruseliger gestalten können. Jede Nische dieses verwinkelten Gebäudes ist ein einem anderen Puppenhausstil gestaltet. Es wimmelt von Clowns, Figuren und Miniaturwelten. Nichts für feinfühlige Ästhetinnen und Ästheten, aber unser Essen schmeckt. Bärenfleisch lassen wir aus und essen stattdessen Steinpilzsuppe mit Zwiebelbrot, Wild und alles mit obligatorischem Sauerrahm (сметана, Smetana).

Unsere Weiterfahrt beginnt wieder in der Nacht, um 1 Uhr früh. Wir bekommen einen Late-Check-out und vertreiben uns die letzten Stunden bis zur Abreise im Hotelzimmer. Noch einmal duschen vor einer dreitägigen Reise schadet ja auch nicht! Unsere nächste Station wird Ulan-Ude sein.

(Nächster – ausnahmsweise sehr kurzer – Beitrag: Von Novosibirsk bis Ulan-Ude)

Transsib Teil 4 – Im transsibirischen Rhythmus

Für den ersten Abschnitt unserer transsibirischen Strecke fahren wir drei Nächte und zwei Tage durch. Sehr schnell passen wir uns dem Rhythmus an, den uns der Zug vorgibt. Die Distanzen zwischen den einzelnen Bahnhöfen können schon zwischen 5 bis 7 Stunden liegen. Dazwischen gibt es wenig zu tun. Damit eröffnet uns der Zug Freiheiten, wie wir sie auf gewöhnlichen Reisen selten haben: Wir essen, wann wir Lust haben, schlafen, wenn wir müde sind, machen immer das worauf wir Lust haben, denn es gibt nichts zu verpassen.

Aus der Zeit gefallen

Unser Zeitverständnis verändert sich schon bald. Der Zug bleibt selten stehen, die Landschaft verändert sich kaum, bietet keine Anhaltspunkte über das Fortkommen. Es gibt nichts zu tun. Nicht mal Internet. Für die nächsten drei Tage hat der Zug die Führung übernommen. Uns bleibt nur das Verweilen, während wir doch die ganze Zeit vorankommen. Manchmal verlieren wir wieder eine Stunde, weil wir durch eine neue Zeitzone fahren. Es ist ein traumwandlerischer Zustand und wir scheinen ihn alle vier zu brauchen.

Highlight: Bahnhofaufenthalt

Die Aufenthalte an den jeweiligen Bahnhöfen sind wesentlicher Teil der transsibirischen Reise. Bei jedem Stopp, der zwischen 15 und 30 Minuten dauert, können die Passagiere sich am Bahnsteig ein bisschen die Beine vertreten. Länger halten wir am Kirov Pass, in Balezino, Vereshcagino, Perm, Ekaterinburg, Tyumen, Ishim Omsk und Barabinsk.

Alle strömen in Pyjama oder Jogginghose hinaus, um zu rauchen, Vorräte aufzufüllen und zu telefonieren, weil es die meiste Zeit auf der Strecke kein Netz gibt. Die Provodnizas achten darauf, dass alle wieder rechtzeitig einsteigen.

Bei kürzeren Stopps müssen wir leider drinnen bleiben und spüren dann, wie wichtig die Klimaanlagen sind. Beim Buchen haben wir darauf geachtet, dass unsere Abteile klimatisiert sind – schließlich sind auch in Sibirien die Sommer heiß. Wenn der Zug steht, schaltet sich die Klimaanlage aus und der wahre Geruch in den Abteilen und Gängen tritt hervor.

Ein Bahnhof schöner als der andere

Jedes Bahnhofsgebäude ist eine Sehenswürdigkeit für sich. In bunten Farben, unterschiedlichen architektonischen Baustilen, häufig mit Statuen von Lenin oder anderen russischen Heldinnen und Helden der Revolution gleicht keiner dem anderen. Viele haben auch eine alte Transsib-Dampflok ausgestellt, die auch von den russischen Mitreisenden bewundert wird. Meist dürfen wir direkt über die Gleise gehen, keine Sicherheitsvorkehrungen halten die Passagiere davon ab. Auch die Frauen, die ihre selbstgemachten Speisen oder gepflückten Beeren in Kisten oder Karren feil bieten, gibt es noch, obwohl das aufgrund von Hygienevorschriften eigentlich nicht mehr erlaubt ist.

Hauptsache ist, es macht dich glücklich…

Würde man mich fragen, welche Geräusche oder Melodie ich mit der Transsib-Reise verbinde, wäre die Antwort eindeutig: Bevor Durchsagen gemacht werden, ertönt an jedem Bahnhof eine kurze Melodie, die an den Beginn des Liedes „Glücklich“ von Farin Urlaub erinnert. Die gesamte Reise hindurch begleitet mich dieser Ohrwurm. Gleichzeitig ist der Refrain des Liedes ein brauchbares Motto für die Reise und das Leben überhaupt. Zugfahren macht mich jedenfalls glücklich.

Im transsibirischen Bann

Die Eintönigkeit der sibirischen Landschaft, die am Fenster vorbeirast, wirkt meditativ und hypnotisierend. Birkenwälder, Wiesen mit lila Blumen, ab und zu Siedlungen, selten ein paar Vögel, nie Menschen. Die Sonne geht als großer, roter Ball unter.

Einmal stehe ich am Morgen als erste auf, holpere mit der Eleganz einer Blasmusikkapelle vom Stockbett aus dem Kupe, aber alle schlafen weiter. Eine halbe Stunde starre ich am Gang auf die weite Ebene im Nebel. Ein einsamer Fahrer einer Beiwagenmaschine rast durch die Wiesen ein Weilchen dem Zug nebenher – das ganze kommt mir surreal vor. Dann wieder nur Wiesen, Nebel, Weite. Als plötzlich ein Vogelschwarm auffliegt, wirkt das auf meine Sinne wie ein besonders Spektakel.

Die Zeit im Zug wird nie fad. Wir sind alle entspannt. Lesen oder hören Bücher, schreiben oder lernen Russisch, abends spielen wir Spiele. Als wir nach drei Tagen in Novosibirsk ankommen, wollen wir eigentlich gar nicht aussteigen.

Auf der transsibirischen Strecke zwischen Moskau und Novosibirsk sind Autos ein seltener Anblick.

    

Transsib Teil 3 – Einleben im Zug

Start des Abenteuers am Platz der drei Bahnhöfe

Unsere transsibirische Reise beginnt am Platz der drei Bahnhöfe in Moskau. Am Leningrader Bahnhof, kommen wir mit dem Sapsan-Schnellzug aus St. Petersburg an. Der Kasaner Bahnhof, ist ein weiterer wichtiger Kopfbahnhof. Der Jaroslawer Bahnhof ist Ausgangspunkt der Transsibirischen Eisenbahn. Auch die Züge in den Norden, den Ural sowie in die Mongolei und nach China starten hier. Wir haben einige Stunden Zeit bevor unser Abenteuer beginnt, bleiben aber in Bahnhofsnähe.

Gut gewappnet mit Fertignudelsnacks

Zuerst decken wir uns in einem Billa mit reichlich Proviant ein: 10 Schokoladetafeln, Knabberzeug, Nüsse, 2l Wasser pro Person, Wurst, etwas Gemüse, Brot, Senf, natürlich Kaviar und Wodka sowie eine bunte Auswahl an obligatorischen Fertignudelgerichten mit Hühner-, Rind- und Schwammerlgeschmack. Weil die Instant-Nudeln einfach nur mit heißen Wasser aufgegossen werden, sind sie eine beliebte Transsib-Reisenahrung. Für manche stellen die Industrie-Ramen Frühstück, Mittag- und Abendessen dar. Der Geruch der Gewürzmischungen erinnert mich ein bisschen an Urin. Gesund ist das alles bestimmt nicht, aber eine Transsib-Reise ist auch kein Wellnessurlaub.

Der Österrreich-Vorteil

In einer spartanischen Kantine in Bahnhofsnähe essen wir sehr günstig bevor unser Transsib-Abenteuer beginnt. Hier haben wir unsere erste gebrochene Unterhaltung auf Russisch mit einem Nachwuchs-Fußballtrainer, der uns über unseren Beziehungsstatus ausfragt, Amerika schlecht und Österreich super findet. Immerhin eine gute Sache hat die schwarz-blaue putinfreundliche Regierung in Österreich: Sobald die Russinnen und Russen erfahren, dass wir weder aus Deutschland oder Frankreich noch aus England sind, werden wir gleich viel wohlwollender empfangen. Auf politische Diskussionen lassen wir uns nicht nur aufgrund unserer mangelnden Sprachkenntnisse nicht ein.

Abfahrt am Jaroslawler Bahnhof

Kurz vor Mitternacht fährt der Rossiya Zug los. Am Bahnsteig des Jaroslawler Bahnhofs gehen wir ein ganzes Stückchen am scheinbar endlosen Zug entlang, bis wir bei unserem Wagon relativ weit vorne ankommen. Dort werden wir von einer kleinen, blonden Schaffnerin (Provodniza) namens Svetlana empfangen. Sie kontrolliert unsere Pässe und Tickets bevor wir einsteigen dürfen und wird uns für die nächsten drei Tage begleiten. In der Nacht teilt sie sich die Verantwortung mit einer Kollegin.

Das Kupe für vier Personen

Aufgeregt beziehen wir unser Abteil – Kupe – und sind begeistert wie komfortabel ein paar Quadratmeter sein können. Da Moskau die Anfangsstation und es Schlafenszeit ist, sind unsere Betten bereits bezogen. Sogar Steckdosen und kleine versteckte Stauräume für unsere Wertsachen gibt es im Abteil. Die großen Rucksäcke werden oben auf einer Abladefläche verstaut, die Plastiksackerl mit den Essensvorräten schieben wir unter die Sitzbänke.

Alles eine Frage der Logistik

Da wir vier Personen sind, ist die  zweite Klasse für uns ideal. Jedes Kupe hat vier Schlafplätze: zwei oben, die tagsüber als weitere Ablagefläche dienen können und zwei unten, die auch als Sitzplätze für die Oben-Schlafenden herhalten müssen. Unter Freunden ist das kein Problem, mit fremden Mitreisenden kann das allerdings doch recht intim und auch komplizierter sein. Da muss dann ausgehandelt werden, wohin die Matratze nach dem Schlafen kommt und ab wann man sich nach unten dazu setzen kann.

Alkoholverbot im Zug

Nachdem wir es uns richtig gemütlich haben, sind wir zu euphorisch, um zu schlafen. Daher packen wir den Wodka aus und konsumieren gleich mal ein Drittel unserer Vorräte. Dabei achten wir darauf, dass Svetlana nichts bemerkt, denn Alkohol ist außerhalb des Restaurant-Abteils verboten.

Wir verbringen eine äußerst gemütliche Nacht, in der uns das Schaukeln des Zuges sanft in den Schlaf wiegt.

Zugalltag

Am nächsten Morgen kann ich den Blick aus dem Fenster kaum erwarten. Die Burschen unten schlafen noch, also gehe ich auf den Gang. Ich sehe: Wiesen und Birken. Dieses Bild verändert sich für die nächsten Tage kaum. Macht nichts, wir stehen trotzdem oft stundenlang am Fenster und schauen wie hypnotisiert.

An den Gängen kommen die Reisenden zusammen. Es sind sehr wenig Tourist*innen an Board. Wir entdecken nur eine Alleinreisende aus Argentinien, später, nach Novosibirsk, zwei junge Polinnen. Vor allem Russ*innen reisen mit uns, viele Versehrte, vielleicht weil in Moskau die medizinische Versorgung besser ist? Wir wissen es nicht.

Wenn wir das kochend heiße Wasser aus dem Samowar neben dem Kupe der Provodniza holen, erhaschen wir kurze Blicke in die Abteile der anderen Mitreisenden. Der Stil im Zug ist leger, man trägt bequeme Jogginghosen, Flip Flops und viele Männer gehen gleich oben ohne.

Unterschiedliche Komfort- und Sauberkeitslevel

Bei einer Wanderung durch den Zug, können die Qualitäten der einzelnen Wagons verglichen werden. Ein großes Klo mit verschließbaren Abfluss und Duftspray ist Luxus. Ein erste Klasse Abteil hat sogar eine Dusche. Die dritte Klasse verströmt hingegen eine beklemmende Lager-Atmosphäre und wir bereuen kurz, dass wir ausgerechnet den längsten Abschnitt der Reise nicht in dem gemütlichen Kupe verbringen können – schließlich ist ja schon alles gebucht.

Die Provodniza achtet auf die Ordnung und Sauberkeit im Wagon. Zweimal am Tag saugt Svetlana die Abteile. Es gibt zwei Toiletten, die auch über ein kleines Waschbecken mit Spiegel verfügen und in der Regel recht sauber sind. Für Katzenwäsche reicht es jedenfalls und solange die Klimaanlage läuft, riecht man den Mix aus Körpergerüchen und Instant-Nudeldunst kaum.

Einmal stellt Svetlana mit einem charmanten Lächeln ein Körbchen voller Souvenirs in unser Abteil: Merchandise des Zugunternehmens, klassische Transsib-Gläser mit Gusseiserner Halterung, WM Maskottchen. Sie komme später wieder, bedeutet sie uns. Obwohl wir nichts kaufen wollten, werden wir nach einiger Zeit doch neugierig und durchforsten das Sortiment. Schließlich kaufe ich einen edlen Kugelschreiber mit einer goldenen Eisenbahn am Verschluss und Julia einen USB-Stick in Zugform. Die Verkaufsstrategie wirkt.

Ivan der Pilot

Gleich am ersten Tag im Zug auf der Transsib-Reise lernen wir Ivan kennen, der trotz unserer spärlichen Russischkenntnisse unverdrossen das Gespräch sucht. Mit vier Goldzähnen lächelt er uns verschmitzt an und rubbelt sich über die noch schwarzen Haare, während er überlegt, wie er sich dieser begriffsstutzigen Truppe doch noch verständlich machen kann.

Dank Pantomime, ein paar Brocken hastig gelerntes Russisch und der deutschen Wörter, an die sich Ivan erinnert, können wir uns unterhalten. Ivan war Militär-Pilot, erzählt er uns. In der DDR ist er abgestützt und hat sich dort eine Kopfverletzung zugezogen. Das Merken neuer Informationen falle ihm daher schwer, entschuldigt er sich, weil er öfters nach unseren Namen und woher wir kommen fragt.

Xopoшo statt Ok

Ivan und seine Frau waren in Moskau wegen einer Therapie oder Kur und fahren jetzt zurück nach Perm, das 1.433,26 km entfernt von Moskau liegt. Wie zuvor der Fußballtrainer will Ivan wissen, ob wir verheiratet sind, Kinder haben und warum wir nach Russland reisen – das interessiert alle Russen und Russinnen, denen wir begegnen. Ivan stört sich daran, dass wir ständig „OK“ sagen. Das sei kein gutes Wort, zu amerikanisch, wir sollten ein anderes Wort verwenden: „Khoroscho“ zum Beispiel – Das bedeutet „Gut“. „O…äh Khoroscho“ wiederholen wir artig.

Ungezwungener Umgang im Zug

Die russischen Reisenden gehen sehr familiär miteinander um. So nehmen wir an, dass die Kinder in unserem Wagon die Enkel von Ivan und seiner Frau sind, doch in Perm steigen nur die beiden aus, die Kinder fahren weiter.

Bevor Ivan aussteigt wird seine Pyjamahose gegen eine lange Stoffhose und ein Hemd ausgetauscht, das er bis auf zwei Knöpfe bis oben zuknöpft. Er kommt noch einmal in unser Kupe und wünscht uns Gesundheit, ein langes Leben und noch andere Dinge, die wir zwar nicht wörtlich, aber mit dem Herzen verstehen. Er küsst Julia und mir zum Abschied die Hand, wir bringen nur ein überfordertes „Spasiba“- спасибо, Danke – und „Alles Gute“ auf Deutsch hervor. Ich sehe aus dem Fenster, wie das kleine, alte Ehepaar über die Bahngleise davon trottet und undefinierbare Melancholie erfasst mich.

Unser Kupe-Nachbar, Ivan.

In Perm sind wir erst bei der Hälfte unseres ersten Reiseabschnitts angelangt. Noch 1.534,03 km bis Novosibirsk. 

Nächster Bericht: Im transsibirischen Rhythmus

Transsib Teil 2 – St. Petersburg

Eigentlich gehört die ehemalige Hauptstadt zu Zeiten der Zarinnen und Zaren nicht zur klassischen Transsib-Route, aber wer die Möglichkeit hat, sollte sich St. Petersburg nicht entgehen lassen. Prunkvolle Gebäude, Cocktailbars, die genauso gut in London oder New York stehen könnten, die flexiblen Brücken, die sich ab 1 Uhr nachts für den Schiffsverkehr öffnen, aber vor allem die Kunstsammlung der Eremitage, machen einen Besuch lohnenswert.

Eremitage – Das Highlight von St. Petersburg

Wir haben leider nur zwei Tage Zeit und müssen Abstriche machen, aber der Besuch der größten Kunstsammlung der Welt ist für mich nicht verhandelbar. Damit uns die unfassbare Masse an Exponaten nicht überfordert und wir die langen Schlangen vor den Kassen der Eremitage umgehen können, haben wir noch in Österreich online eine Tour gebucht.  Tatjana, eine kleine, runde Frau die bestimmt schon auf die 80 zugeht, mit weißen Söckchen in den Sandalen und schwerer Tasche lotst uns zielstrebig an den wartenden Massen vorbei. Sie kennt sich in den 350 Sälen bestens aus und spricht perfekt Deutsch mit russischem Akzent.

Tatjana erzählt uns leidenschaftlich von den Liebschaften und Intrigen der Zaren. Sie zeigt uns ihre Lieblingsschätze wie das Malachitzimmer (dem grünen Gestein zu Ehren ist die Fassade des Winterpalastes in dem sich die Eremitage befindet auch grün gestrichen), der Thron des Zaren, Kunstwerke von Leonardo da Vinci, Rembrandt, Tizian, Francisco de Goya und Raffaello Santi, die Skulptur des kauernden Jungens von Michelangelo, der Junge mit dem Hund von Bartolome Esteban Murillo. Sehr beeindruckend ist auch die mechanische Pfauenuhr von James Cox, die noch immer funktioniert und einmal im Jahr in Bewegung gesetzt wird, was wir dank eines Videos bewundern können.

Die Eremitage im Winterpalast

15 Jahre Kunst non-stop

Später wird uns eine junge Studentin, die eine kostenlose Stadtführung anbietet, erzählen, dass man ca. 15 Jahre bräuchte, wenn man jedes der rund 3 Millionen Objekte der gesamten Sammlung sehen möchte. Vorausgesetzt man würde sich 8 Stunden täglich je eine Minute pro Objekt Zeit nehmen. In den 350 Sälen werden zum Glück „nur“ 65.000 Exponate gezeigt. Das wäre schon in rund 135 Tagen schaffbar.

Brunnen statt Bernstein

Am Nachmittag landen wir aufgrund eines Missverständnisses beim Peterhof,  der Sommerresidenz der Zaren. Eigentlich wollten wir die Rekonstruktion des verschollenen Bernsteinzimmers sehen (das Original wurde von den Nazis gestohlen und ist seither verschwunden), aber das befindet sich im Großen Katherinenpalast, da hätten wir nach Carskoe Selo fahren müssen, wie wir leider erst am Palasteingang erfahren. Wir wollen keinen Eintritt für den Palast zahlen. In der Eremitage konnten wir uns schon genügend vom Prunk und der Pracht der Zarenbauten überzeugen.

Da wir nun aber schon mit dem Expressboot 45 Minuten hier her gefahren sind und zum Preis für die Fahrt (Hin- und Retour 1500 RUB für Erw., ca. 20 EUR) auch noch Eintritt für das Betreten der zugegeben sehr schönen Parkanlage (900 Rubel, ca. 12 EUR) gezahlt haben, flanieren wir wie Adelige durch das Areal mit Wasserspielen, Brunnen und eindrucksvollen Statuen und schauen den Leuten beim Baden im finnischen Meerbusen zu.

Die Große Kaskade vom Peterhof

Nüchterne Russen

Auf der Bootsrückfahrt gönnen wir uns ein Bier und schauen die erste Halbzeit des Finales der Fußball-WM am Handydisplay, während wir misstrauisch von unseren Mitreisenden beäugt werden, denn Alkoholtrinken in der Öffentlichkeit ist in Russland äußerst verpönt, wie wir auch später auf der Reise noch feststellen. Im Gegensatz zu Österreich bekommt man hier nicht an jeder Straßenecke und in jedem gastronomischen Unternehmen Alkoholisches ausgeschenkt. Ob das erst seit der WM so ist, oder eine Maßnahme um das Alkoholproblem der russischen Bevölkerung in den Griff zu kriegen, finden wir nicht heraus.

WM Benefits: Farben für Prachtbauten

Klar ist, dass die Städte für die Austragungen der Fußball WM ordentlich herausgeputzt wurden – Renovierungen, neuer Anstrich, Gehwege. Angeblich bekamen Gastronomiepersonal und Sicherheitskräfte Lektionen im freundlichen Umgang mit Touristinnen und Touristen. Wir haben keine Vergleichswerte, aber die touristischen Zentren von St. Petersburg und Moskau sind bunt und strahlend und freundlich sind die Leute sowieso.

Wieder zurück in der Innenstadt kommen wir nicht in die Fan-Zone, die extra für die WM aufgebaut wurde: „Full“, sagt der Soldat vor der Absperrung und implizit: Keine Diskussion! So erleben wir die Niederlage der Kroaten gegen die Franzosen in einem typischen Tourilokal mit und damit ist dann auch das Kapitel Russland und WM abgeschlossen.

Bei einem Sandwichstand an der Newa fanden wir etwas, das Bier nahe kam

Die Brücke öffnet sich um 1 Uhr nachts für den Schiffsverkehr

St. Petersburg: Hipster’s Paradise

Unsere Unterkunft liegt hinter der Kasaner Kathedrale, eine sehr zentrale Lage, vor allem wenn man die hipsten Bars und Restaurants testen möchte. Entlang der Dumskaya Ulitsa gibt es reichlich Auswahl. Am Abend essen wir zum Beispiel ausgezeichnetes Beef Stroganov im Zoom Café und trinken gefährlich gute Cocktails in der Borodabar. Im Mickey & Monkeys bestaunen wir die aufwändigen Kreationen und Skulpturen, die da als Getränke serviert werden, bleiben aber klassisch bei Magarita und Moskow Mule (der überall anders schmeckt, aber nie eine schlechte Wahl ist).

Gastronomisch hat St. Petersburg viel zu bieten, billig ist es aber nicht unbedingt. In dem traditionellen georgischen Lokal Mamalyga trinken Stefan und Michl das wohl teuerste Bier ihres Lebens (650 Rubel – so viel kostet ein Halbes nicht mal in Norwegen) – abgesehen davon ist aber zu sagen: Georgisches Essen ist eine absolute Empfehlung!

Auf nach Moskau!

Zwei Nächte in St. Petersburg sind eindeutig zu wenig, aber wir können es kaum erwarten endlich auf Schiene zu kommen. Bevor wir die klassische Transsib-Route starten, müssen wir erstmal nach Moskau. Mit dem Sapsan Hochgeschwindigkeitszug ist das bereits in vier Stunden möglich (mit normaler Zuggeschwindigkeit in ca. 9 Stunden).

(Nächster Beitrag: Einleben im Zug)

Mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland – Teil 1

Zugfahren ist umweltschonend, sicher, bequem und praktisch. Warum also nicht den gesamten Urlaub damit verbringen? Und welche Bahn wäre dafür besser geeignet, als die Transsibirische Eisenbahn? Keine, behaupte ich jetzt einfach! Aber überzeugt euch selbst. 

In den kommenden Wochen werde ich regelmäßig Beiträge veröffentlichen, die von meiner Transsib-Reise von Moskau bis nach Wladiwostok sowie den Aufenthalten davor, dazwischen und danach in Russland berichten. Die Reise fand von Mitte Juli bis Anfang August 2018 statt und startete in St. Petersburg. Mit dem Zug ging es von dort nach Moskau, wo die Transsib Route beginnt. Weitere Stopps waren Novosibirsk, Sukhaya am Baikal See und Ulan-Ude.

Vorbereitungen für die Transsib

Die Transsibirische Eisenbahn ist Kult, pure Nostalgie, bewegte Sehnsucht. Das zeigt sich schon vorab an den Reaktionen der Leute. „Oh wie schön! Das wollte ich auch schon immer einmal machen!“, entgegnen sie mir, wann immer ich von meinen Plänen erzähle. 

Ist die Nostalgie gerechtfertigt? Wenn ich an Russland denke, fällt mir zuerst Putin, Krim und Tschetschenien-Kriege, aber auch Anna Karenina, Ballett und Matrjoschka-Figuren ein – insgesamt beschämend wenig für so ein riesiges Land. Noch ein Grund mehr Russland zu bereisen. Gemeinsam mit meinem Lebensgefährten und zwei sehr guten Freund*innen werde ich zumindest einen Anfang machen, dieses Land etwas besser zu verstehen.

6 Tipps vorab:

Eine wichtige Info vorweg, weil diese Frage häufig gestellt wird: Die Transsib ist kein einzelner Hop-on-hop-off-Zug im Sinne, dass die Passagiere nur ein Ticket kaufen und dann jederzeit den Zug verlassen und wieder einsteigen können. Für eine Strecke von A nach B wird ganz normal ein Ticket für einen der vielen auf der transsibirischen Strecke verkehrenden Züge gekauft. Wer in einer Stadt länger Halt machen möchte, kauft das Ticket bis dahin und muss für die Weiterfahrt erneut ein Ticket erwerben. Aussteigen zwischendurch und dann wieder in den gleichen Zug hüpfen, geht höchstens für 30 – eventuell auch mal für 40 – Minuten bei den einzelnen Aufenthalten an den Bahnhöfen.

1) Reiseroute planen

Eine Russlandreise ist nichts für Spontane, denn jeder Aufenthalt muss für das Visum angegeben werden und theoretisch braucht es dafür auch von jedem Hotel, jedem B&B etc. eine Einladung. Da wir meistens nur Antworten auf Russisch vom angeblich Englisch sprechenden Gastgeber*innen bekommen, engagieren wir dafür eine Agentur für 30 Euro. Das ist unkompliziert und geht relativ schnell.

Planen und entscheiden wohin wir wollen, müssen wir trotzdem selber. Zu viel zu sehen, zu wenig Zeit – das übliche Problem. Wir wollen die wichtigsten Städte nicht verpassen, aber genauso Natur und authentische Reiseerlebnisse erfahren.

Unsere Strecke:

St. Petersburg (2 Nächte) – Fahrt nach Moskau, Umsteigen in den Zug nach Novosibirsk, 2 Nächte im Zug – 3 Nächte in Novosibirsk – 2 Nächte im Zug bis Ulan-Ude – 5 Nächte am Baikal See – 1 Nacht in Ulan-Ude – 3 Nächte im Zug bis Wladiwostok – Rückflug nach Moskau (3 Nächte). Insgesamt sind wir 23 Tage unterwegs.

Moskau – Wladiwostok – Google Maps

2) Visum checken

Für das Russland-Visum brauchen Reisende außer der Einladungen, einen noch mindestens sechs Monate gültigen Reisepass mit mindestens zwei freien, gegenüberliegenden Seiten, ein aktuelles Pass-Foto, nicht älter als drei Monate, einen Nachweis über die Reisekrankenversicherung (z.B. über die Kreditkarte, einfach beim Anbieter anfragen). Der Antrag kann bereits online ausgefüllt und danach ein Termin bei der Botschaft oder Visumsagentur (z.B. Vfs.global) vereinbart werden. Das beste dran: Keine Wartezeiten vor Ort!

Als ich ein paar Tage nachdem ich den Antrag gestellt habe, meine Unterlagen und den Pass zur Agentur bringe, prophezeit mir die Dame am Schalter, dass aufgrund meines Namens alle glauben werden, ich sei Russin. Sie wird Recht behalten. Dass ich keine russische Verwandtschaft habe und trotzdem einen der beliebtesten russischen Namen trage, ist für viele unserer Reisebekanntschaften kaum zu glauben. Der Pass mit dem Visum ist jedenfalls innerhalb weniger Tage zur Abholung bereit. Alles klappt problemlos.

3) Kyrillisch lernen

Zumindest die Schrift entziffern und ein paar Phrasen zu können, wird sich auf jeden Fall als sehr hilfreich erweisen. Dazu reicht ein Babbel- oder Volkshochschul-Crash-Kurs. Wenn noch Zeit zum Aussprache üben bleibt, umso besser. Wir wurden häufig überhaupt nicht verstanden, so sehr wir uns auch bemüht haben.

4) Rechtzeitig Buchen

Wir buchen bereits ein halbes Jahr vorher die Flüge Wien-St. Petersburg, Wladiwostok-Moskau und Moskau-Wien (so viel zur Nachhaltigkeit des Zugfahrens – unser ökologische Fußabdruck ist kriminell). Die  drei Flüge kommen auf insgesamt 500 Euro.

Drei Monate vor Reisetag, werden die Tickets online gestellt und es lohnt sich möglichst früh zuzuschlagen. Wir wissen da zwar noch nicht, dass es einen Unterschied macht, in welchen Abschnitt des Zuges das Abteil gebucht werden sollte (je niedriger die Zahl umso neuer), aber wir entscheiden uns für die Rossiya Züge, weil die einen guten Ruf haben.

Wir buchen auf der Website der russischen Eisenbahn, weil es dort billiger ist als über Reiseagenturen. Nicht alles wird auf Englisch übersetzt, aber dank Google Translate ist das kein Problem. Ich kann mit meinen spärlichen Russischkenntnissen  bei der Frühstückswahl helfen: нормальный (normalny), вегетарианец (vegetarianjez), диета(diyeta) – wenn man das kyrillische Alphabet kann, ist das noch leicht zu verstehen. Der zweimonatige Babbelsprachkurs hat sich also bereits ausgezahlt. Insgesamt kosten die vier Zugfahrten 500 Euro (für 2. und 3. Klasse).

5) Offenheit bewahren

Eines der schwierigsten Dinge vor der Reise ist es, keine Erwartungen zu haben, sondern den Spielraum für das Unplanbare zu wahren, die Wünsche die man an die Ausflucht hegt, die Must-do- und Must-see-Listen nicht überhand nehmen zu lassen.

Obwohl ich kaum etwas über Russland weiß, fällt es mir diesmal besonders schwer, weil ich gerade nichts mehr brauche als die Flucht vor dem, was zu meinem Alltag geworden ist. Selten kam mir der Tag der Abreise so quälend weit entfernt vor. Weg, weg, weg, denke ich mir wenn ich aufstehe, wenn ich in die Arbeit fahre, wenn ich in quälenden Meetings sitze, wenn ich auf den Bildschirm starre und wenn ich am Abend erschöpft nachhause komme. Weg, weg, weg. Ich nehme mir vor, nicht zu erwarten, dass diese Reise Klarheit bringt, aber Abstand sollten 8.069,14 km Luftlinie Entfernung schon bringen.

6) Packen

Was auf jeden Fall nützlich ist::

  • Ohropax
  • Schlafmaske
  • Decke/Schal zum Abdunkeln oder für mehr Privatsphäre
  • Emaille Geschirr und Tasse 
  • Göffels (ein Essbehelf, der Gabel, Löffel und Messer gleichzeitig ist)
  • Allzweckseife (zum Duschen, Geschirr-/Wäschewaschen, Zähneputzen, Rasieren, etc.)
  • Jogging Hosen (die bequemste, die du hast)
  • Flip Flops
  • Ein Toilette-Beutel zum Aufhängen (es wackelt auch am Klo/“Badezimmer“)
  • Lesestoff – Hörbücher (dann kann gleichzeitig aus dem Fenster gesehen werden)
  • Spiele – besonders geeignet sind Kartenspiele 
  • Steckdosenleiste (um lebenswichtige elektronische Geräte aufzuladen wie Handy, E-Reader, Laptop etc.) – ein Adapter ist nicht notwendig
  • Süßigkeiten wie Mannerschnitten, Mozartkugeln etc. (um kleine Kinder anzulocken – Scherz! Aber zur Kontaktaufnahme mit den Mitreisenden ganz praktisch, oder als Dankeschön)
  • Insektenschutz
  • Wäscheleine
  • Taschenmesser
  • Stirnlampe (obwohl es meistens eher zu hell als zu dunkel im Zug ist)
  • Eine analoge Uhr, die sich nicht automatisch den ständig wechselnden Zeitzonen anpasst – für den Überblick

Wir reisen mit Rucksäcken – die kann man besser verstauen. Ich habe es geschafft meine Kleidung auf das wirklich Nötigste zu reduzieren und werde ständig das Gleiche tragen. Wir haben bereits in Wien ein paar Rubel gewechselt, prinzipiell ist das aber nicht unbedingt notwendig, es gibt genug Bankomaten in den Städten.

Unsere Reise beginnt auch gleich mit einer Zugfahrt zum Flughafen. Endlich ist es soweit! Russland wir kommen!

(Nächster Beitrag: St. Petersburg)

Neuanfang

Hallo, ich bin zurück! Aus den Tiefen der Frustration, Verausgabung und Verleugnung entronnen. Nachdem ich zu lange versucht habe eine Rolle zu spielen und in eine Welt zu passen, die nicht meine ist. Nachdem ich versucht habe, alles richtig zu machen und damit feinste Selbstsabotage betrieben habe.

Schädliche Selbstentblößung?

Ich habe lange überlegt, wie weit ich mich nun öffnen soll, schließlich könnte das theoretisch jede*r lesen, potentielle Arbeitgebende zum Beispiel. Dabei sollte ein Blog angeblich Karrierechancen eröffnen, nicht verbauen. Aber gerade fühlen sich die angeblichen „Don’ts“ für die Karriere-Leiter weniger beängstigend an, als normal weiterzumachen. Bestimmte Karrierewege zu sabotieren, ist vielleicht der einzige Weg, mich selbst nicht mehr zu behindern.

Seit über einem Monat laboriere ich nun schon an diesem Text zur Reanimation meines komatösen Blogs herum. Was kann ich sagen, was nicht sagen? Was ist richtig, was falsch? Und wieder versuche ich alles perfekt zu machen, mit dem Resultat, dass ich stagniere. Egal wie oft ich den Beitrag umschreibe, die Botschaften bleiben die gleichen, also raus damit!

Die größte Lebenszeitverschwendung

Vier Jahre Blogpause. Ich wollte zwar ständig über Erlebtes schreiben, konnte es aber nicht, denn es ist intim, unangenehm und potentiell selbstschädigend. Meistens war ich auch zu erschöpft – erschöpft von acht Stunden vorm Computer sitzen und Texte zu schreiben, die nicht meine sind; von 8 Stunden eine Rolle spielen, die mir nicht gefällt; von 8 Stunden mit Menschen verbringen, die mir nicht gut tun und 8 Stunden voller Langeweile, Stress, Ärger und Demütigungen.

Zum fehlenden Mut kam auch die tägliche Kraftlosigkeit. Der Job hat mir jeden Willen zu schreiben, ja fast zu existieren geraubt. Ich habe meine Stimme verloren, meine Motivation, meine Freude, meinen Idealismus. 

Aber die Sicherheit! Das Gehalt! Alles umsonst, wenn du jeden Tag unglücklich in die Arbeit gehst. J.E.D.E.N. T.A.G.

Meist war ich auch zu beschäftigt, meine wenige Freizeit mit Ablenkung und Hedonismus auszufüllen, möglichst so komplett, dass für Gedanken keine Zeit bleibt. Und wenn das Hirn auch beim Amüsieren keine Ruhe zu geben vermag, halfen Alkohol oder das Abtauchen in ungebändigtes Serien-Binge-Watching. Das ging so lange bis zum Zusammenbruch.

Neugewonnene Freiheit

Jetzt hab ich den vermeintlichen Traumjob, der sich zum Albtraum entpuppte, beendet und kann endlich wieder ich selbst sein. Es war die beste Entscheidung meines Lebens. Aber wie lange hält die Euphorie an? Irgendwie muss es ja weitergehen und ich fühle mich so entmutigt von dieser Arbeitswelt voller Missgunst und Manipulation.

Alles steht auf Neuorientierung und ich frage mich, wie ich ein finanzielles Auskommen erlangen kann und nicht meine Freude am Leben verliere. Wie stark muss ich mich verbiegen, um in der Arbeitswelt nicht zerrieben zu werden. Wie viele Ungerechtigkeiten, Sinnlosigkeiten, Absurditäten kann ich mental ausklammern, um zu funktionieren? 

Soll ich statt Jobsuchen, lieber auf Reisen gehen, eine neue Ausbildung beginnen, ein Kind kriegen, untertauchen? Ich hab keine Ahnung. Aber ich schreibe wieder für mich und ich teile auch wieder einiges davon.

Wie weiter

Wie geht es hier also weiter, passt der Titel „Happy Average“ überhaupt noch? Ich bin auf so vielen Ebenen gescheitert, vor allem daran meinem Mantra zu folgen und „glücklich durchschnittlich“ zu sein. Aber dieses Versagen passt irgendwie schon wieder, also bin ich auf dem richtigen Weg.

Dass ich so lange an einem Job festgehalten habe, der mich so tief unglücklich gemacht hat, hat mich dazu veranlasst mich intensiv mit meinen Werten zu beschäftigen. Auch darüber möchte ich schreiben und über die Fallen, die man sich selbst stellt. Die nächsten Tage werde ich aber von meiner Russlandreise mit der Transsib berichten. Also etwas Unproblematisches zum Anfangen. Danke an alle, die mich motiviert haben, wieder zu bloggen! 

 

 

Estland

13 Gründe nach Estland zu reisen

„Nicht nach Island, nach ESTland fliegen wir.“ Nein, Estland ist eher keine Destination, die den Neid der Daheimgebliebenen wecken könnte. Die Estinnen und Esten selbst reagieren überrascht über weit hergereiste TouristInnen. Doch damit tut man dem nördlichsten Land des Baltikums wirklich Unrecht, denn Estland ist landschaftlich eine Mischung aus dem flachen Niederlanden und  den bullerbüresken Skandinavien, im Vergleich zu diesen aber äußerst preiswert.

Und Estland ist schön – nicht spektakulär atemberaubend, eher auf eine unaufgeregte, bodenständige Art. Mal niedlich, mal melancholisch. Doch es gibt noch weitere Gründe Estland zu bereisen.

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Typischer Häuserstil in Estland: pastellbunte Holzlatten

1. Estland ist touristisch quasi ein „weißer Fleck“ am Rande Europas

Wer die üblichen Touristen-Destinationen lieber meidet, dem sei Estland wärmstens empfohlen. Auf unberührten Pfaden wandeln, fällt in Estland leichter als in manch exotischer anmutenden Gegend. Abgesehen von Tallinn ist das Land kaum touristisch erschlossen. In Thailand etwa kommt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln weitaus einfacher herum, als in Estland. Ein Auto zu mieten ist daher empfehlenswert. Damit erreicht man unkompliziert und schnell alle Nationalparks, Seen, Strände und einige der 1520 Inseln, die an Estlands Ostküste lagern, mit den schönen Namen: Vormsi, Hiiumaa, Saaremaa und Mihu.

2. Ideal für Radtouren aber „BYOB“

Aufgrund des Mangels an Erhebungen, eignet sich das Land ideal dazu, es mit dem Rad zu erkunden, obwohl der Ausbau an Radwegen dürftig ist. Zum Glück ist der Straßenverkehr sehr gering und die EstInnen rücksichtsvolle FahrerInnen, was das Radfahren fast überall möglich macht. Mit dem Rad kann man die unbeschreibliche Pflanzenvielfalt am besten bewundern. Für BlumenliebhaberInnen ist Estland ein Paradies, denn man muss nur am Straßenrand stehen bleiben. Leider machten mein Freund und ich den Fehler, uns keine professionelle Radausrüstung zu besorgen, sondern die klapprigen Eingangräder unserer Hüttenvermieter für unseren Tagesausflug auszuleihen. Nicht eine unserer besten Ideen. Nächstes Mal befolgen wir die Regel: Bring your own bike.

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Im Wald wildert es von Beeren, was gut ist, denn wenn man sich bei einer „Abkürzung“ im Wald verirrt, muss man zumindest nicht verhungern. Rein theoretisch natürlich.

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3. Fun Facts über die EstInnen und Estinnen

EstInnen sind ein sehr zurückhaltendes Volk, vielleicht liegt es daran, dass sie erst seit 20 Jahren ausnahmsweise nicht von einem anderen Land besetzt sind. Bei ihrer Geschichte ist es erstaunlich, dass sie ihre eigentümliche Sprache erhalten konnten. Sie besteht hauptsächlich aus Ks und Üs und klingt so wie die Fantasiesprache die ich früher als Kind mit meiner Schwester erfunden habe (Üksikaksilüsikluskimü). Vielleicht haben die Besetzer sie deswegen einfach nicht ernstgenommen und ihnen ihren Spaß gelassen.

Die ganze Gender-Debatte wäre mit Estnisch passé, denn diese Sprache unterscheidet nicht zwischen Mann und Frau, ebenso wenig gibt es eine Zukunftsform. „Estonians have neither sex nor future“. Was wunderbar simpel klingt wird leider durch 12 Fälle zunichte gemacht.

Where is the god of beer and sauna?

Fast 90% der EstInnen sind Atheisten. Kein Papst, kein Allahu Akbar, einfach gelassene Nüchternheit. Eine schöne Abwechslung, wenn auch etwa surreal, als wäre Estland irgendwie schon weiter oder einfach vor langer Zeit stehen geblieben.

Insgesamt kann man jedoch sagen, die EstInnen sind von kühlem Gemüt. Die einzigen Dinge für die EstInnen eine Art Enthusiasmus entwickeln können sind Bier und Sauna. Wenn sie etwas gut finden sagen sie „Normalne“, was so viel heißt wie: „ganz ok“ auf Estnisch und „supergeil“ in allen anderen Sprachen.

Pink Politics

Wichtige Gebäude wie das Parlament oder Rathäuser scheinen die EstInnen gerne rosa anzumalen. Das hat den Vorteil, dass es zum einem sehr entzückend aussieht, und zum anderen kleine Mädchen schon früh für Politik begeistern kann, beziehungsweise kleinen Buben Berührungsängste davor nimmt, mit Puppen zu spielen.

Das estnische Parlamentsgebäude

Das estnische Parlamentsgebäude

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Rathaus in Tartu

Außerdem haben sie bei allem was Internet und Social Media betrifft die Nase vorn, angeblich sucht sogar der estnische Premierminister seine First Lady über Tinder.

Laut unserem estnischen Stadtführer sind die EstInnen zudem sehr schadenfrohe Nachbarn. Besser als wenn einem etwas Gutes passiere, sei es, wenn dem Nachbarn etwas schlechtes passiere. Das ist ein sehr gemeines Klischee, aber Image ist den EstInnen offenbar auch egal.

Das zeigt sich mitunter auch an dieser Schrulligkeit: Einmal im Jahr versammeln sich alle EstInnen zum Volkslied-Wettbewerb und ganze Dörfer treten singend gegeneinander an. Manchmal dürfen auch andere Völker dort auftreten, letztes Jahr z.B. die Chinesen.

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Auch nett, das schiefe Haus von Tartu

4. Allgegenwärtige Sauna

Jedes Billig-Hostel hat eine eigene Sauna und da Estland von Hitzewellen, wie wir sie in Mitteleuropa kennen, bisher verschont geblieben ist, kann man diese auch im Sommer gut gebrauchen. Es gibt nichts Schöneres als nach einem stechend-heißen Aufguss bei dem man sich kräftig mit Birkenzweigen ausgepeitscht hat, in einen kalten See zu hüpfen.

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Straßenname in Helsinki, zwei Stunden entfernt von Tallinn

5. Einsamkeit

Andere wollen Sonne, Strand und Meer, andere wollen „Hauptsache nichts mit Menschen“. Diesen Anspruch entspricht Estland zu genüge. Wir haben auf unsere Reise Orte besucht, die so einsam waren, dass wir vermuteten, die Leute würden sich nur vor uns verstecken. In jedem anderen Land, wären solch schöne Plätze gefüllt mit Menschen. Es scheint als würden sich die EstInnen die meiste Zeit unsichtbar machen. Und das immer und überall. Man sieht Häuser, Straßen, Strände, Spielplätze etc. aber keine EstInnen. Sie wollen es auch nicht anders. Jedesmal wenn wir mit EstInnen in Kontakt waren (hauptsächlich waren das UnterkunftsvermieterInnen), erschienen sie uns zuerst unfreundlich, da ihre Interaktionen kurz und ernst blieben. Doch dann plötzlich luden sie uns in ihre Haus-Sauna ein, brachten uns einfach so frische Birkenzweige und ein älterer Herr fuhr ohne Ankündigung extra in das nächste Dorf um mir einen Föhn zu kaufen, nur weil ich bei unserer Ankunft nebenbei gefragt hatte, ob es einen gäbe. Kommunikation findet wohl lieber online statt, am besten wenn das Gegenüber Kontinente weit entfernt ist. Deswegen haben die EstInnen auch Skype erfunden.

Ständig begleitete uns die Frage, wo denn alle sind. Aber außer ein paar ausländische Spaziergänger gehört alles uns allein.

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Einsam am Pärnu See

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Einsam auf aufgelassenen Militärflughafen

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Nach einer Woche in Estland empfand ich es schon als Massenauflauf, als wir uns bei einer Kanu-Fahrt im Soomaa Nationalpark den Fluss mit einer fünfköpfigen Familie teilen mussten.

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Im völlig überlaufenen Soomaa Nationalpark

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6. Craft Bier

Estland stellt auch eine wunderbare Alternative zu Brüssel da. Die Vielfalt an Mini-Brauereien ist für so ein kleines Land mehr als erstaunlich und hat den Qualitätstest durch zwei erfahrene Tester mit Höchstnoten bestanden (So schöne Etiketten auf den Flaschen!)

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7. Tallinn

Zugegeben, Tallinn ist ein bisschen kitschig. Als hätte Disney seine Altstadt gebaut. Man braucht schon zwei Tage um das erst mal zu verarbeiten. Aber ich bin die letzte die sich über hübsche mittelalterliche Häuser und Gässchen beschwert, zudem sind die ungleichmäßigen Pflastersteine innerhalb der Altstadt ein wahres Fitnesstraining.

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Zur Abwechslung kann man auch an den nahen Hafen fahren und dort die imposante russische Festung bestaunen, ein Überbleibsel aus der Besatzungszeit.

 

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Aber auch der Hipster in uns, kommt nicht zu kurz. 20 Gehminuten von der Altstadt liegt Taliskivi, ein ehemaliges Fabrikengelände, das ein bisschen an ein gewaltiges WUK oder die Arena in Wien erinnert: Viel Ziegel, viel Graffiti, Kunst im öffentlichen Raum, angesagte Bars, die besten Restaurants und die obligatorischen Tischtennistische für alle, die noch Zweifel hegten, ob sie hier auch wirklich im hippsten Teil Tallinns gelandet sind.

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8. Ein Stückchen Russland

Besucht man bestimmte Orte Estlands, kann man ein Stück Russland erleben, ohne mühsame und teure Visa-Anträge. Bei den Alt-Gläubigen am Peipsi-See etwa speist man traditionell wie vor 300 Jahren, beobachtet die Kellnerinnen mit ihren trotzigen Puppengesichtern und Puppenkleidern, während man selbst von ernsten, alten Männern mit langen Bärten in schwarz-weiß fixiert wird, die auf Fotografien die Wände säumen.

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Das Zwiebelrestaurant der sogenannten „Zwiebelrussen“

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9. Moorlandschaften

Moorlandschaften erinnern immer ein bisschen an Krimi und Leichen. Tagsüber und bei Sonnenschein sehen sie jedenfalls schön und friedlich aus, bis auf die fleischfressenden Pflanzen, die hier einfach so in freier Wildbahn wachsen. Für etwas Nervenkitzel kann man auch in den pechschwarzen Moorseen schwimmen gehen.

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Fleischfressende Pflanze in Estlands Mooren

Fleischfressende Pflanzen

10. Wlan im Wald

Weil offenes Wlan ein Segen ist, besonders wenn es keine Menschen gibt, die man nach dem Weg oder dem nächsten Restaurant fragen kann.

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11. Für Museumsfreaks

Jedes noch so kleine Kaff – also drei Häuser im Abstand von 5 Kilometern – hat ein eigenes Museum – Wir haben sie alle konsequent nicht besucht.

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12. Schaukeln

In Österreich meinen manche „die Schaukel ist das ganze übel“, in Estland ist schaukeln Volkssport. Es gibt Schaukeln für bis zu 20 Personen, es gibt Wettbewerbe im Schaukel überschlagen, es gibt sogar Schaukeln, die einen gewissen Fitnessgrad erfordern, da man mit den Händen an zwei Eisenstangen hängend wippt.

13. Die Nähe zu Helsinki

Mit der Fähre kann man in 2 Stunden in Helsinki sein. Dort ist es zwar so richtig teuer, aber für Architektur-Liebhaber ist Helsinki ein Traum und mit dem richtigen Timing kann man am jährlichen Kaljakellunta Fest in der Usimaa Provinz unweit von Helsinki mitmachen. Seit ich vor vielen Jahren einen Artikel in der Neon darüber gelesen hatte, stand Kaljakellunta auf meiner „Bucket List“, so lange schon, dass ich es fast vergessen hatte. Und so war es auch der Zufall, der uns genau an jenem besagten Wochenende mit der Fähre von Tallinn nach Helsinki übersetzen lies.

Kalja steht für Bier und Kellunta für „fließen“ und das sind auch schon die perfekten Zutaten für das schrägste, bezaubernste und einzigartigste Festival, auf dem ich je war. Und so strömen aus aller Herren und Damen Länder Jung und Alt zum Kerava/Vantaa Fluß um dort mit allem was schwimmt und als Floß dient (z.B. aufblasbare Swimming Pools), sich dem sachten Treiben des Wassers hinzugeben, mit viel alkoholischer Unterstützung.

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Normalne!!!