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Managua im Ausnahmezustand

Die Ferien sind schon seit zwei Wochen zu Ende, aber die Schulen bleiben auf weiteres geschlossen. Die Alerta Roja (Alarmstufe rot) hält aus Sicherheitsgründen an. Angeblich ist die Erdbebengefahr noch immer zu hoch. Für die Nicas sind Erdbeben das Gesprächsthema Nummer 1, so wie man bei uns übers Wetter redet, nur dass die Menschen hier mit Angst erfüllt sind. Sogar über eine Verlegung der Hauptstadt wird bereits spekuliert.

In den letzten Tagen wurden immer wieder kleinere Beben rund um Managua gemessen, aber nichts vergleichbares mit den Erdbeben vor Semana Santa. Doch die Panik unter den Menschen ist groß, kaum ein Nica der die Entscheidung der Regierung, die Schulen zu schließen, nicht als richtig empfindet. Viele Häuser, vor allem auch Schulgebäude, sind sehr schlecht bzw. mit billigen Materialien gebaut und unter Managua liegen laut ExpertInnen 18 Bruchlinien, welche die Gefährlichkeit eines Erdbebens erhöhen könnten. Touristische Aktivitäten rund um Nicaraguas aktive Vulkane sind derzeit ebenfalls ausgesetzt.

Natürlich ist es auch interessant, dass in einem Land, in dem Erdbebengefahr eigentlich immer tendenziell besteht, so wenige Leute für den Ernstfall gewappnet waren. Erst nach den Beben haben die Menschen angefangen sich zu informieren wie man im Falle eines Erdbebens reagiert. Meine Schule etwa, hat vor einer Woche erstmals mit Eltern und Kindern im Viertel geprobt, was genau in einem Ernstfall zu tun ist. Fluchtwege und sichere Versammlungsplätze (ohne Strommasten und -Kabel in der Nähe) wurden festgelegt. Einen eigenen Alarmton gibt es allerdings noch nicht.

Auch die Frage, warum nach dem großen Erdbeben von 1972 nicht erdbebensicher gebaut wurde, drängt sich auf. Natürlich mag die turbulente politische Situation in den darauffolgenden Jahren, zumindest teilweise, eine Erklärung dafür sein, aber danach?

Und wie lange kann man eine Stadt im hypothetischen Alarmzustand halten? Für meine Schule ist diese Situation mittlerweile zu einer schweren finanziellen Belastung geworden. Das Colegio Solidaridad entre Los Pueblos ist eine Privatschule und auf das Schulgeld, das die Eltern beisteuern angewiesen. Doch nur wenige kommen und zahlen, jetzt wo die Schule geschlossen ist. Privat bedeutet leider nicht automatisch wohlhabend. Die Schuldirektion ist reich an Idealen, aber finanziell sind sie sehr eingeschränkt, daher gibt es auch noch immer niemanden, der den Englischunterricht übernehmen könnte, wenn ich in einem Monat gehe.

Vor allem meine Schüler und Schülerinnen tun mir leid, die gelangweilt in ihren heißen Häusern festsitzen. Bei uns in Europa wäre so eine Situation unvorstellbar, denn wer würde auf die Kinder schauen, wenn die Eltern in die Arbeit müssen? Doch hier gibt es meistens eine Tante oder Oma oder sonstige Verwandte, die sich um die Kinder kümmern können. Viele Eltern wollen ihre Kinder nicht einmal für eine Stunde aus den Augen lassen und so bleiben auch die gratis Angebote der Schule wie Tanzkurs oder Nachhilfe ungenutzt.

Die Nicas sind generell sehr beschützend gegenüber ihren Kindern (und generell allen, die sie lieb haben) und wollen sie am liebsten immer in ihrer Nähe haben, gleichzeitig beschäftigen sich die Erwachsenen aber eher wenig mit Kindern, zumindest so wie ich das von meinem familiären Umfeld kenne. Es wird nicht mit ihnen gespielt oder sinnvolle Anregung gegeben sich zu beschäftigen wie etwa Basteln, Zeichnen oder zu Spazieren. Auch gelesen wird sehr wenig in den meisten Haushalten (wie das in der Mittelschicht ist, kann ich nicht beurteilen). Ich kann mich nicht erinnern überhaupt schon einmal irgendjemanden hier mit einem Buch in der Hand gesehen zu haben – Schulbücher ausgenommen. In den ärmeren Vierteln gibt es keine bis wenige öffentliche Plätze wo Kinder und Jugendliche spielen oder Sport betreiben können. Was bleibt ist der Fernseher, der voller Nachrichten ist, die vor Gewalt nur strotzen, wo jedes grausliche Detail genauestens kommentiert und vor allem gefilmt wird. Wenig überraschend, haben die Medien auch kräftig dazu beigetragen, die Panik vor den Erdbeben zu verstärken. Am 10. April war das erste schwere Erdbeben, seit 15. April gab es praktisch keines mehr direkt in Managua, doch viele Leute schlafen weiterhin in den Vorräumen ihrer Häuser.

Auch ich bin nun in eine erzwungene Auszeit versetzt worden, wie lange dieser Zustand anhalten wird weiß niemand. Die Ankündigungen werden immer erst knapp vor Wochenbeginn herausgegeben. Aber mittlerweile bin ich ja gewohnt, dass alles oder nichts passieren kann.

 

 

 

 

Semana Santa in Nicaragua und Guatemala

Ay, que calor, que calor, que calor! It’s summertime in Centralamerica! Furchtbar heiß war es zwar die letzten Monate auch schon, aber erst zur Semana Santa, zur Osterzeit, gibt es das, was man bei uns Sommerferien nennt – wenn auch nur für eine Woche. Während Semana Santa steht ganz Lateinamerika Kopf, nicht nur wegen der Hitze. Neben Urlaubsplänen und Verwandtenbesuchen, ist diese Woche ein katholisches Spektakel das am Palmsonntag beginnt und mit dem wichtigsten Datum, dem Auferstehungs-Sonntag endet. Spätestens am Mittwoch legen die meisten Menschen ihre Arbeit nieder. Jene die es sich leisten können fahren an den Strand oder an die Vulkanlagunen, viele andere gehen in die Kirche und sehen sich die täglichen Prozessionen an.

Das Herzstück der Prozessionen sind die großen ausgiebig geschmückten Holzbühnen („Andas“) die den Leidensweg Jesu Christi darstellen. Seine Figur, gebeugt unter der Last des Kreuzes, ist zentral in fast jeder Prozession. Die Plattformen werden stundenlang auf den Schultern der Büßer, den sogenannten „Cucuruchos“, durch die Gegend getragen. Auch Frauen und ältere Mädchen tragen einen kleineren Anda, der die Figur der Jungfrau Maria präsentiert – sie werden „Cargadoras“ oder „Dolorosas“ genannt. Da die Andas sehr schwer sind (manche bis zu 3150kg) wechseln sich die Träger regelmässig ab.

Die Träger und Trägerinnen tragen für den jeweiligen Anlass die passenden Kostüme – z.B. Männer lange, lila Kutten mit lustigen Kapuzen, Frauen weiße und schwarze Trauerkleidung.

So wie bei uns der Osterhase mitmischt (den man hier nur in den für einen westlichen Markt ausgerichteten Englischbüchern zu sehen kriegt), sind auch in Lateinamerika spanische Tradition mit heimischen Bräuchen und Symbolen vermischt. Jede Region und Stadt hat ihre Eigenheiten im Ablauf der Feierlichkeiten. So finden in Granada die Prozessionen zu Wasser statt, zwischen den verschiedenen Inseln des Nicaraguasees und für Domingo de Resureccción (Ostersonntag) wird empfohlen nach Niquinohomo zu fahren, wo die Prozession am schönsten sein soll, zumindest was Nicaragua betrifft.

Je nach Größe der Gemeinden und Städten unterscheidet sich das Ausmaß der Prozessionen. Viele sind begleitet von Musikkappellen, die Begräbnismusik spielen. Auch in den Kirchen ist die Geschichte der Passion Christi in aufwendigen Figuren und Installationen ausgestellt. Neben dem Farb-Staub, dient auch Obst, Gemüse und Gebäck zur Gestaltung aufwändiger Gemälde.

Ein weiteres Highlight sind die bunten Teppiche (Alfombras) auf den Straßen, die von den Anrainern aus gefärbtem Sägemehlstaub gemacht werden und sich manchmal über mehrere Häuserblocks ziehen. Vergängliche Kunstwerke die solange bestaunt werden können, bis die Prozession über die Straßengemälde schreitet und die Ritzen der Straßen mit bunten Überresten färben.

Alfombras in Guatemala City:

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Der fröhliche Palmsonntag, der die heilige Woche einleitet, unterscheidet sich stark vom Rest der Woche, in dem es um Schmerz, Opfer und Tod geht. In „meinem“ Barrio Walter Ferrety ritt ein Kind als Jesus verkleidet, mit langen Bart und rotem Mantel, auf einem geschmückten Esel durch die Gassen des Viertels. Menschen mit Palmzweigen begleiteten den Zug und riefen „Viva Christo el rey! Viva! Viva!“. Voran gingen Männer, die Kracher in die Luft schoßen – man konnte die Knallgeräusche schon seit den frühesten Morgenstunden in ganz Managua vernehmen – und eine Musikkappelle hinterdrein.

K800_IMG_6608 K800_IMG_6607 K800_IMG_6605                                                        Procesión de la Burrita – Prozession des Eselchens

K800_IMG_6602 K800_IMG_6599 Krach machen

Wer nicht von Anfang an dabei ist, sondern versucht den Umzug, während dieser im Gange ist, zu erwischen, kann sich schnell im Wirrwarr der Straßen verlaufen. In den kleineren Vierteln ist die Route nicht publik, wie in den größeren Gemeinden. Gerüchte, wo sie vorbei laufen könnte gibt es genug. Esmeralda hat gemeinsam mit den Kindern ihr Haus mit Palmzweigen und Luftballons geschmückt, fest davon überzeugt, dass die Prozession hier vorbeiziehen wird. Später wird sie ganz enttäuscht erzählen, dass sie nichts gesehen haben. Gustavo und ich fragen die Leute auf den Straßen, ob sie die Prozession gesehen haben. Eine alte Frau versichert uns, wir sollen hier bei ihr warten, sie sei genauestens informiert, nachdem sie letztes Jahr fast einen Herzinfarkt erlitten hatte, weil sie der Prozession hinterhergelaufen war, ohne sie jemals zu erwischen. Man könnte meinen, so eine Prozession bewege sich sehr langsam, aber ihr Zickzack-Kurs und oft auch die Massen an Menschen, die sich in den Straßen drängen, stellen eine Herausforderung da. Die Straßen Walter Ferretys sind jedoch relativ leer, hierher kommen keine Touristen aus In- und Ausland um das Spektakel zu sehen, wie es der Fall in León oder Granada ist. Mich natürlich ausgenommen.

Doch die Kirche, in der die Prozession mündet und die sich unter zwei großen Mangobäumen befindet ist voll. Nach und nach bringen Helfer mehr weiße Plastikstühle, damit jeder bequem sitzen kann, wie der Pfarrer betont.Welch Ironie, dass man in katholischen Gottesdiensten dann doch erst meiste Zeit steht. Der Gottesdienst unterscheidet sich nicht allzu sehr von europäischen Gottesdiensten – auf die katholische Kirche kann man sich in dieser Hinsicht verlassen. Nur die revolutionär anmutenden „Viva Christo – Viva el rey“ – Rufe und die Tatsache, dass während des Gottesdienstes Kracher abgeschossen werden, weichen etwas von der Norm ab.

K800_IMG_6629 K800_IMG_6628 K800_IMG_6626 K800_IMG_6625 Die Burrita macht Pause

Der Pfarrer ermahnt die Kirchgänger, dass Semana Santa nicht Strandurlaub bedeutet, sondern Besinnung auf die wahre Bedeutung des Todes und der Auferstehung Jesu. Dabei werden die Kirchen Nicaraguas dieses Jahr eine deutlich höhere Besucherzahl verzeichnet haben, da viele wegen der Erdbeben und andauernder Alarmstufe rot, es vorgezogen haben, daheim zu bleiben. Zwar wurde keine Tsunami-Warnung ausgegeben, aber die konstanten Erdbewegungen über mehrere Tage hinweg, haben uns alle ganz schön in Atem gehalten. Auch jetzt, die Woche nach Semana Santa, blieben die Schulen aus Sicherheitsgründen zu.

Im armen Viertel Walter Ferrety jedenfalls, können sich die meisten Menschen sowieso nicht leisten mit ihren Familien an die naheliegenden Strände zu fahren, stattdessen geht man zum nächsten Nachbarn, der sich ein Plastikplanschbecken gekauft hat, und nimmt an den kirchlichen Feierlichkeiten teil, die ein Anlass sind, dass die Leute zusammenkommen.

Ich persönlich hatte eigentlich nicht direkt vor, die religiösen Feierlichkeiten rund um Semana Santa näher zu verfolgen. Stattdessen wollte ich die Zeit nutzen um nach Guatemala zu reisen. Aus gesundheitlichen Gründen konnte ich Nicaragua erst fünf Tage später als geplant verlassen. Zuerst von meinem Pech (bzw. meiner Dummheit Leitungswasser in irgendeinem Dorf zu trinken) verärgert, war es rückblickend gut so wie es gekommen ist. So bekam ich die Gelegenheit den ersten Teil der Semana Santa im erdbebengebeutelten Managua und den zweiten in Guatemala zu verbringen – und dort, selbst wenn ich gewollt hätte, war es unmöglich denn Prozessionen aus den Weg zu gehen. Wäre auch schade gewesen, wenn ich das verpasst hätte.

Mittwochs Prozession in Antigua:

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Donnerstags Prozession in der Altstadt Guatemala Citys:

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Gespanntes Warten und geschäftiges Treiben vor der Prozession

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K800_IMG_7143 Nach einer längeren Jagd durch Seitengassen und Massenansammlungen, haben wir doch noch einen Blick auf die Prozession erhascht.

Freitags Prozessionen während unserer Fahrt zum See Atitlán:

K800_IMG_7175 K800_IMG_7186 K800_IMG_7185  Bei der Kreation eines AlfombrasK800_IMG_7176

 

Prozession am Samstag in Panajachel:

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Und, europäisches Ostern mit neuen Freunden:

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K800_IMG_6943 K800_IMG_6942 K800_IMG_6940 K800_IMG_6939  K800_IMG_6937 Eugenia kommt aus Litauen und ist der Liebe wegen in Guatemala. Hier weist sie ihre lateinamerikanischen Freunde in die Tradition des Eierfärbens ein.

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K800_IMG_7417 K800_IMG_7413 Ostersonntags-Frühstück mit selbstgefärbten Eiern mit Eugenia und Johnathan

Das ganze religiöse Programm

Am Ostersonntag hatte ich schließlich das Kontrastprogramm. Aus Interesse habe ich Eugenia, meine Gastgeberin in Guatemala, in ihre Kirche begleitet, eine offene christlich-angelikale Gemeinde. In einem Raum ohne viel Schnickschnack, dafür mit runden Tischen auf denen Kerzen und Bibeln standen, sowie einem Buffet, an dem man sich während des Gottesdienstes bedienen konnte, wurde eine Messe abgehalten, die vor allem aus christlichen Liedern, die wie Popsongs anmuteten und einer Bibellektüre sowie Reflektion bestand („Was bedeutet es für dich persönlich, dass Jesus vom Tod auferstanden ist?“). Trotz der willkommenden Atmosphäre der hauptsächlich US-amerikanischen Gemeinde, konnte ich mich dennoch dem mulmigen Gefühl nicht entziehen, völlig fehl am Platz zu sein. Der viel direktere Draht zu Gottes Wort, der hier eingefordert wird, als würde er neben dir sitzen und dir verständnisvoll die Hand streicheln, ist schwieriger mit Agnostizismus zu vereinbaren, als die Rituale, den Kult und Prunk der katholischen Kirche in Lateinamerika, bei denen man auch als Atheist einfach mitstaunen kann. Ob nun Osterhase und Eiersuchen oder die Verehrung eines sterbenden Mannes am Kreuz – ich glaube, trotz aller Skepsis gegenüber Kapitalismus und Religionen, Rituale und Traditionen sind etwas Schönes und Erhaltenswertes. Dementsprechend groß war meine Freude darüber, in Guatemala Eier zu färben. Auf einmal ist man gar nicht mehr so weit weg von daheim.

 

 

Die Maisinseln – Nicaraguas behütete Karibik (oder: Reise, Reise Teil 3)

11. Februar 2014. Wir befinden uns in Bluefields, an der Atlantikküste, und haben einige Pangafahrten hinter uns. Zu unserem nächsten Ziel aber, werden wir fliegen und zwar mit einer Cessna, die nicht mehr als 15 Sitze hat. Na gut, einen Teil werden wir fliegen, dann steht uns wieder eine Pangafahrt bevor. Wir wollen nach Little Corn, eine der zwei karibischen Inseln, die zu Nicaragua gehören und im Vergleich zu anderen karibischen Urlaubszielen touristisch noch ein relativer Geheimtipp sind. Wobei zugegebenermaßen auf Little Corn die Anzahl von Amerikanern höher ist, als meine Toleranzgrenze für leeren Smalltalk wie ihn die Amis so lieben. Die Insel ist aber auch so klein, dass man sich schwerer aus den Weg gehen kann, aber dazu später.

Am Nachmittag checken wir also am niedlichen Flughafen von Bluefields ein, werden gemeinsam mit unserem Handgepäck auf die Waage gestellt, gehen durch die Attrappe einer Sicherheitsschleuse und werden daher danach noch mit einem Stab-Scanner überprüft. Wir dürfen alle Flüssigkeiten mitnehmen und was nicht ins Handgepäck soll, fliegt im Gepäcksraum mit. Nur Stefans der Standard Feuerzeug wird konfisziert, genau das darf aus irgendeinem Grund nicht mitkommen. Wahrscheinlich gefällt es den Beamten.

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Die Frau mit Torte hat uns besonders belustigt. Allerdings weiß ich mittlerweile, dass dies ein Tick der Nicas zu sein scheint, ihren „Queque“ auf Reisen mitzunehmen. Ob in der Panga, im Bus, oder eben im Flugzeug, der Kuchen vom Bäcker des Vertrauens muss mit.

Wir haben Glück mit dem Wetter: der 20-minütige Flug wird wie ein Sonntagsausflug mit dem Segelflieger (nicht das ich jemals schon mit einem geflogen wäre, aber zumindest so intim kommt es mir vor). Da merkt man noch die Faszination des Fliegens und sieht sich die Welt wie ein Vogel von oben an.

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K800_DSCN4019 credit: Petra Rosenblattl

K800_IMG_5097 Flug über die Pearlkeys K800_IMG_5102  Big Corn von oben K800_IMG_5101                                                         Einmal den Piloten über die Schulter schauen.

K800_IMG_5103                                                               Die Landebahn auf Big Corn …geht sich gerade aus.

Wir landen sanft auf der kurzen Bahn auf Big Corn Island, warten kurz auf unser Gepäck und müssen dann sofort weiter zum Hafen, um Tickets für die Panga nach Little Corn zu ergattern. Big Corn sehen wir uns erst bei unserer Rückreise an.

K800_IMG_5104    K800_IMG_5105  Unsere Panga                                         Der Hafen in Big Corn

Diese Bootsfahrt ist die ärgste. Wie eine Achterbahnfahrt fühlt es sich an, nur das diese eine halbe Stunde dauert und wir uns nicht in einem gesicherten Vergnügungspark sind, sondern am offenen Meer und die Wellen wild ums unser kleines, überladenes Boot schlagen. Während Stefan und Josef wie kleine Kinder fröhlich aufjauchzen wenn es uns in die Luft hebt und wieder hart auf dem Wasser aufsetzt, ist Petra und mir das ganze nicht Geheuer. Eine junge Mutter mit zwei kleinen Kindern, die auf Little Corn lebt, will uns beruhigen und versucht uns in ein ablenkendes Gespräch zu verwickeln, aber ihr Creole English ist unter diesen Bedingungen noch schwieriger zu verstehen. Ich bemühe mich kommunikativ zu sein und zu lächeln, aber da sie die Plastikplane über sich und uns hält, wird uns erst richtig schlecht. Petra muss sich fast übergeben und mir wird auch immer übler. Völlig mitgenommen kommen wir endlich auf der 500-Einwohner-Insel an. Gerade rechtzeitig zum Sonnenuntergang.

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Jemand von unserer Unterkunft, holt uns ab und wir spazieren 15 Minuten bis wir bei unseren knallgelben Strandhäusern auf der windigen Seite der Insel ankommen. Zwei kleine Holzhütten der Residenz „Elsa’s Place“ gehören uns, eine für Mesfin und Martina und die andere für Josef, Petra, Stefan und mich.

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K800_DSCN4035 credit: Rosenfuchs

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K800_DSCN4070 credit: Josef Fuchs K800_DSCN4068 credit: Rosenfuchs

Mittlerweile ist es dunkel geworden. Wir duschen schnell und gehen dann in das feinste Restaurant der Insel: The Turned Turtle im Beach & Bungalow Resort, das wirklich ausgezeichnete Küche hat (und trotz des Namens keine Schildkröten serviert). Tipp: Unbedingt eine Margarita bestellen – groß, günstig und sehr, sehr gut!

K800_IMG_5111 Beim Ankunftsbier in Elsa’s Place K800_IMG_5113                                                          Wärmste Empfehlung: Ganz viel Fisch und Meeresfrüchte essen

12.2.

Am nächsten Tag spazieren wir zu einem kleinen Comedor zum Frühstücken: Gallo Pinto mit Eiern, frische Früchte und Kokosnussstücke, Granola-Müsli und French Toast und alles zu einem günstigen Preis.

K800_IMG_5121 Mikro-anthropologische Beobachtung: Während die Männchen passiv aggressiv reagieren, wenn man sie beim Essen fotografiert, kooperieren die Weibchen belustigt jedoch bereitwillig.

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Danach auf einen italienischen Espresso oder einen der vielen leckeren (und kaum gesüßten) Gesundheits-Säfte ins Cafe Desideri. Tipp: Die Brotfrucht-Chips sind genial!

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Den Rest des Tages geben wir uns dem Flow der Insel hin, der besagt: Just Relax!

Auf Little Corn gibt es keine Autos und auch sonst nicht viel. Waren müssen per Boot geliefert werden und sind daher auch entsprechend teurer. Auf den schmalen Wegen hat gerade mal ein Fahrrad platz, und „schlafende Polizisten“ (kleine Hügel) sorgen dafür, dass die Radler keine Fußgänger umrasen. Zu Fuß kann man die Insel in ein paar Stunden locker umrunden. Süßwasser auf der Insel ist kostbar und könnte wenn der Tourismus stärker wird, ein ernsthaftes logistisches Problem werden. Bisher haben vor allem Amerikaner Little Corn für sich entdeckt um hier ihren Traum vom Aussteigen zu leben (wenn auch manche nur für ein paar Monate).

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K800_DSCN4087 credit: Rosenfuchs                               Für ein paar Cordoba holen Männer mit ihren Macheten Kokosnüsse von den Palmen

K800_DSCN4082 credit: Rosenfuchs

K800_IMG_5179 Kein Tag in der Karibik ohne Coco Loco K800_IMG_5177

Was uns etwas aus dem „Flow“ brachte:

Am Abend entscheiden wir uns zu „Rosa’s“ Essen zu gehen, da es im Lonely Planet wärmstens empfohlen wurde. Allerdings wird der Abend zu einem Desaster. Eigentlich hätten wir das Unheil schon wittern sollen, als uns die Kellnerin verkündet, dass sie weder Bier noch sonst irgendeinen Alkohol haben. Aber der Abend war noch jung, und wir würden später sowieso genug Zeit haben um Bier zu trinken, also kein Problem. Leider wussten wir da noch nicht, dass unser Abendessen eine längere Angelegenheit wird. Josef, der nach einer Stunde als erste bekommt, registriert zwar, dass das nicht genau das ist was er bestellt hat, aber er hat Hunger und so sagt er nichts und isst. Als Josef fertig ist, bekommt Mesfin seinen Fisch. Nicht das was er erwartet hat, aber er isst brav zusammen. Dann bekommt Stefan sein essen, doch statt der Meeresfrüchtespaghetti hat er Meeresfrüchte mit Reis bekommen. Er macht die Kellnerin darauf aufmerksam, dass er Pasta bestellt hat und auch genau darauf Lust hat, worauf diese ihn genervt den Teller wegnimmt und sich eine Stunde lang nicht mehr blicken lässt. Weder Martina, Petra, noch ich, bekommen unser Essen. Endlich wird Stefan sein Teller vor die Nase gesetzt: Meeresfrüchte ohne jede Beilage. Die Kellnerin meint, in der Karte stehe das Gericht ohne Beilage, sie hätte ihm ja Reis dazu gegeben, aber wenn er nicht wolle… Wir lesen nach und natürlich ist es mit Pasta, aber Stefan ist brav seine Shrimps. Währenddessen kommt das Gericht, dass Josef eigentlich bestellt hat, wieder ein Missverständnis. Während Josef schon seinen zweiten Teller verspeist haben Martina, Petra und ich noch immer nichts bekommen.

Als Martina ihren Fisch bekommt, ist dieser zwar auch keineswegs das was sie bestellt hatte, aber sie hat aus Stefans Erfahrung gelernt. Irgendwann bekommt auch Petz ihr Essen und nach einer gefühlten Ewigkeit darf auch meinen Reis mit Gemüse essen. Abgesehen davon dass das Essen nicht gut ist, ist das ganze ein Witz und wir haben schlechte Laune.

Da endlich zeigt sich die Köchin und erklärt, dass heute kein guter Tag sei, sie sei völlig „descontrolada“ gewesen, wegen einer Gästin zuvor. Sie habe das Lokal gerade übernommen (Urlaubsvertretung?) und niemand vom Personal verstehe die englische Karte. Rosa, du bist von aller Schuld befreit (außer, dass du ruhig deiner Nachfolgerin das Menü hättest erklären können)! Beim nächsten Corn Island Besuch am Besten fragen, ob Rosa heute kocht.

Das die Abrechnung ebenso chaotisch und falsch läuft, wie unser Abendessen, war uns dann eigentlich auch schon egal, nur gut das die Blicke der Kellnerin nicht töten konnten. Zum Glück ist nach diesem Reinfall die nächste Bar nicht weit.

K800_IMG_5208                                                           Warten auf das Ungewisse (Wird mein Essen jemals kommen und wird es das sein, was ich bestellt habe?)

K800_IMG_5203  Happy Hour in der Tranquilo Bar

 

13.2.

Am zweiten Tag spazieren wir ein bisschen durch das bunte Dorf und den Dschungel auf der Insel.

K800_DSCN4061 K800_DSCN4055 K800_DSCN4053 credits: Rosenfuchs

K800_IMG_5263 Nach rechts gehts zu den Bars und Restaurants, nach links ins Dorf, wo die Einheimischen leben

K800_IMG_5217 K800_IMG_5232 K800_IMG_5230 K800_IMG_5229 Die Schule in Little Corn K800_IMG_5228 K800_IMG_5225 K800_IMG_5224 K800_IMG_5223 K800_IMG_5221 K800_IMG_5220

K800_IMG_5152 Mission completed: Zahnpasta gekauft.

14.2. Big Corn

Den letzten Vormittag auf Little Corn verbringen wir im schönen Beach & Bungalow Resort, dessen Strand man gratis nutzen kann, wenn man etwas konsumiert – was wir natürlich immer gerne tun.

K800_IMG_5254 Hängematten, Schatten unter Palmen, super Service (nicht selbstverständlich) und geniales Essen – was will man mehr?

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K800_IMG_5261 K800_IMG_5260 K800_IMG_5258 These pictures are not photoshoped!

Am Nachmittag müssen wir mit der Panga zurück, die diesmal wirklich gefährlich überfüllt ist. Einige müssen stehen, die „Glücklichen“, die einen Sitzplatz ergattert haben, dürfen sich eine Viererbank zu sechst teilen. Auf nur einer Arschbacke sitzend, bin ich sehr dankbar, dass die Rückfahrt richtig sanft und harmlos verläuft.

K800_IMG_5264 Ankunft in Big Corn

Auch „Big“ Corn ist ein überschaubares Inselchen, in dessen Zentrum die Flughafenlandebahn steht, die schon seit einigen Jahren verlängert werden soll, damit auch größere Flugzeuge landen können. Wir bewegen uns hier vor allem mit Taxis, die einen Einheitspreis von 20 Cordoba pro Person haben (umgerechnet 57 Cent). Die (durch die Bank sehr sympathischen) Taxifahrer beschweren sich, dass nichts weitergeht, aber angesichts des fragilen Ökosystems der Insel, frage ich mich, ob es nicht ein Segen ist, das die Mühlen hier noch langsamer mahlen als sonst wo auf der Welt. Dafür gibt es endlos lange, einsame weiße Strände und hin und wieder mal ein paar Urlauber. Außerdem gibt es einen kleinen Berg mit dem schönen Namen Mount Pleasant, den man zwischen Orangenbäumen, Bananen- und Papaya-Plantagen hinaufspazieren kann und eine tolle Aussicht über die Insel bekommt. Trotzdem wollen die meisten Touristen gleich weiter zur kleinen Schwester, wenn sie auf Big Corn gelandet sind. Little wird gerade sehr gehypet, aber Big Corn hat auch seinen Charme. Don’t skip it!

Wir übernachten im Sunrise Hotel – die bisher schönste und luxuriöste Unterkunft unserer Reise (es gibt sogar Warmwasser, was ich allerdings seit ich hier bin vielleicht dreimal vermisst habe). Aber das Beste am Sunrise ist die Rezeptionistin (und wahrscheinlich auch Besitzerin des Hotels): eine liebe, ältere Kreolin, die morgens gratis Kaffee und den besten Lebkuchen, den ich je gegessen habe, anbietet (mit frischen Ingwer und Kokosflocken). Am Abreisetag überlässt sie uns die Zimmer so lange, wie wir sie brauchen, damit wir uns noch einmal das Meerwasser abduschen können, vor dem Abflug. Außerdem hat sie mir ein Buch geschenkt, das ich von ihr ausgeborgt hatte, aber in den zwei Tagen, die wir da waren, nicht fertig lesen konnte. Als ich noch schnell ein spannendes Kapitel zu Ende lesen möchte, während wir auf das Taxi zum Flughafen warten, meint sie mit einem breiten, herzlichen Lächeln: „Take it with you!“. Einfach so. Schon allein deshalb muss ich wiederkommen, um ihr ein Buch für ihre Rezeption mitzubringen.

K800_IMG_5278 Das Sunrise Hotel

K800_IMG_5269 K800_IMG_5271 K800_IMG_5282 K800_IMG_5358 K800_IMG_5353 K800_IMG_5355

Einige Tipps für Big Corn:

In der Karibik wird viel mit Kokosöl gekocht, das nicht nur einen tollen Geschmack hat, sondern auch als Wundermittel gegen eh alles gehandelt wird. Gesund ist es auf jeden fall. Unbedingt eine Flasche davon als sinnvolles Souvenir mitnehmen!

Restaurants und Comedores:

Ganz ok: Abendessen in Spekito’s Place, direkt am Meer: Wieder ewig warten aufs Essen, aber als es da ist, schmeckt es wenigstens. Dazwischen kann man sich die Zeit damit vertreiben, die drei armen Haie zu beobachten und zu bemitleiden, die das Restaurant sich hält. (Besser: freilebende Haie bei einem Schnorcheltrip entdecken)

K800_IMG_5348 K800_IMG_5273 Ein Nurseshark

K800_IMG_5287 K800_IMG_5288       – Das beste an den Islas del Maíz sind die schönen Plätze zum Schnorcheln. Hier im Bild, ein Teil eines riesigen Schiffwracks. Leider nicht im Bild: viel bunte Fische und Korallen in allen Formen und Farben.

Gut: Essen in der sehr hübschen Hotelanlage Paraiso. Dort gibt es außerdem einen sprechenden Papageien, der in mehreren Sprachen „Hallo“ sowie „Burrito“ sagen kann und wie ein Bauarbeiter pfeift. Ich war sehr beeindruckt.

Am Besten: Languste Essen im kleinen Comedor „Relax“ – Languste essen sei generell empfohlen, die gibt es hier wie bei uns Schnecken und sind sogar günstiger als Garnelen.

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Bester Coco Loco der Welt: Am Strand „Long Bay“ in der einzigen Strandbar, die wir dort entdecken konnten.

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Ein paar Eindrücke von Big Corn:

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Das Öl-Schiff aus Venezuela

K800_IMG_5317 Mount Pleasant K800_IMG_5342 K800_IMG_5344 K800_IMG_5345 K800_IMG_5347 K800_IMG_5366

K800_IMG_5369 Das Flughafen Café K800_IMG_5373

Die Erde bebt

Seit gestern und einer langen unruhigen Nacht, weiß ich, was es bedeutet dem Boden unter den eigenen Füßen nicht zu trauen.

17.27 Uhr: Die Erde bewegt sich, schüttelt sich fast eine ganze Minute lang. Ich renne barfuss auf die Straße, wo sich auch alle Nachbarn versammeln. Ungläubige, verschreckte Gesichter. Ist es vorbei?

Schon seit Tagen ist von einem möglichen Erdbeben die Rede. Kritisch wurde das Wetter analysiert, und viele Nicas meinten, dass es bald soweit sei. In der Schule wurde darüber diskutiert, was in einem Notfall zu tun wäre, eine Exkursion nach Diriamba wurde abgesagt, weil die Eltern ihre Kinder nicht weglassen wollten, aus Angst vor einem möglichen Erdbeben.

Jetzt ist es da.

Ich bin gerade wieder im Haus von Mesfin und Martina (die gerade in Österreich ist) und froh darüber, denn es ist neu und im Gegensatz zu vielen Nicahäusern stabil gebaut. Trotzdem möchte ich es im Ernstfall nicht darauf ankommen lassen. Wir warten.

17.40. (ab jetzt ist jede Zeitangabe eine ungefähre Schätzung): Mesfin und ich checken das Internet. Gibt es noch keine Informationen? Der Strom ist ausgefallen, aber der Laptop hat noch Batterie.

Zittern unsere Beine so, oder bebt die Erde noch immer? Kommt es uns nur so vor, oder war es wirklich Windstill als die Erde bebte?

Der Wind ist zurück, aber es ist noch nicht vorbei, der Boden bewegt sich in sanften Wellen. Immer wieder ein starker, kurzer Ruckler.

18.00. Das Wasser wurde abgedreht. Dann funktioniert das Internet nicht mehr. Mesfin geht spazieren um etwas zu erfahren.

Der Strom kommt zum Glück schnell zurück.

18.30. Ich checke das Internet: Endlich, La Prensa, die größte Tageszeitung berichtet, es gab ein Erdbeben Stärke 6,2 der Richterskala, Zentrum in der Nähe Léons. Mehr nicht.

19.15. Immer wieder gibt es kurze, aber starke Nachbeben, die mich aufschrecken lassen, immer bereit zum weglaufen.

Es hört sich an als würde ein Zug unter deinem Haus hindurchfahren und das Gebäude so erschüttern, dass es wackelt. Oder als würde man selbst in einem alten Wagen sitzen, der über eine holprige Straße fährt, nur ist es eigentlich die Straße, die sich bewegt und der Wagen steht. Eine eigenartige Sensation.

Mehrmals springe ich auf und laufe zur Tür, kehre aber immer wieder ins Bett zurück, meine Beine zu schwach sind zum Stehen. Ich liege krank im Bett, weil ich die goldene Regel gebrochen habe und in einem unbedachten Moment Wasser aus der Leitung getrunken hab (nicht in Managua, sondern in einer Ortschaft, die ihr Wasser aus einem Brunnen schöpft). Da gehen meine Ferien-Pläne für Semana Santa die Klospülung hinunter. Ich wollte heute Nacht nach Guatemala fahren, aber 16 Stunden im Bus, mit Durchfall und Erbrechen möchte ich weder mir noch meinen Mitreisenden antun.

Am Nachmittag noch habe ich meine Eltern beschwichtigt, was für ein sicheres Land Nicaragua ist. Und meine Eltern waren erleichtert, dass ich nicht nach Guatemala gefahren bin, jetzt wird mir selber etwas mulmig.

Ich erinnere mich an meinem Traum, heute Nacht: Es gab ein starkes Erdbeben, aber ich konnte nicht weglaufen, ich war wie ans Bett geklebt, als wäre die Schwerkraft stärker geworden.

20.30. Ich bin erschöpft aber auch alarmiert. Wie soll man da schlafen, wenn jederzeit ein stärkerer Stoss folgen könnte? Was ist, wenn ich nicht rechtzeitig aus dem Haus käme? Vielleicht ist es aber auch harmlos? Wahrscheinlich ist es harmlos.

Mesfin meint, er habe sich schon an die Nachbeben gewöhnt. Er hat ja recht, nicht einmal ein Glas ist umgefallen, aber eigenartig ist das alles schon.

21.00. Ich lege meinen Pass und Haustürschlüssel griffbereit neben das Bett. Die Erde will einfach nicht stillhalten.

22.30. Ich hätte mitzählen sollen, wie viele Nachbeben es sind. Heute wird wohl ganz Managua kein Auge zutun.

07.00. Ich wache auf und mein erster Gedanke ist: Alles ok. Kurz bleibe ich noch liegen und da ruckelt es wieder. Es ist als würde die Erde schlecht schlafen, und sich unruhig hin und her wälzen.

07.15. Ich stehe auf und checke die Nachrichten. Die Prensa berichtet, dass es 350 Nachbeben waren, Stärke 4.4 – 5.4. Das Epizentrum des großen Erdbebens befand sich ungefähr 50 Kilometer nördlich von Managua in einer Tiefe von 10 Kilometern. Im Dorf Nagarote, am Managua-See, gab es die meisten Schäden. 700 Wohnungen wurden teilweise oder schwer beschädigt. In Managua wurde hingegen nur von drei Beschädigungen berichtet, wahrscheinlich weil die Gebäude sowieso baufällig waren. Viele Menschen haben auf der Straße übernachtet. Laut Erdbeben-Report.com gab es 33 Verletzte und einen Todesfall.

8.51. Noch sind alle Zahlen etwas unsicher. Aber es wird weitere Nachbeben geben. Die Regierung fordert die Menschen auf, Ruhe zu bewahren. Und wieder ruckelt es, nur ganz kurz. Bevor ich meinen Laptop weggelegt habe, ist es schon wieder vorbei.

Terremoto de 6.2 sacude Nicaragua

„Hola Teacher!“ – Erster Bericht aus dem Feld

Seit sechs Tagen lebe ich nun im Barrio Walter Ferrety. Eines der Viertel Managuas in das viele Taxifahrer abends nicht oder nur unwillig fahren.

Ich wohne gemeinsam mit Ana, der Schwiegertochter Esmeraldas (die Chefin des Amucobu-Projektes), und mit ihren zwei 10- und 11-Jährigen Kindern Itzia Sky und Ledys Janitzia, die auch meine Schülerinnen sind, sowie mit Anas jüngeren Geschwistern die 23-jährige Daniela und der 21-jährige Daniel (welche politische Einstellung ihre Eltern haben, ist damit auch kein Geheimnis).

Das Haus ist typisch Nica: natürlich, alles ist sehr einfach, alles etwas improvisiert (Bierkapseln als Mutter für Schrauben), aber mit viel Liebe, Farbe und Krims-Krams verziert. Es gibt wenig Privatsphäre da es keine wirklich geschlossenen Räume gibt (aber immerhin muss ich mir mit niemanden das Bett teilen). Im Gegensatz zu den anderen, habe ich einen kleinen Raum für mich, mit Bett, Tisch, Sessel und Ventilator. Ana ist sehr darauf bedacht, dass ich mich wohl fühle und das ist gelungen.

Fließendes Wasser gibt es nur von 1 Uhr morgens bis 12 Uhr mittags, danach wäscht man sich mit Kübeln. Das Klo wird sowieso immer mit einem Eimer gespült. Leider lässt sich die Tür zum Klo nicht schließen, so dass – wie bei vielen Nica-Klos – immer ein Spalt offen bleibt, aber auch daran gewöhnt man sich.

Es gibt einen kleinen Hinterhof in dem die Wäsche gewaschen wird und in dem ein Mangobaum steht, der uns ständig mit frischen Früchten versorgt (die kleine orangen Mangos, die am besten schmecken) und natürlich – sonst wäre das Haus nicht komplett – eine Hundin, die wahrscheinlich niemals in ihrem Leben Gassi gehen wird. Meistens wird die kleine „Perraita“ im Hof eingesperrt, ich vermute, sie soll sich an das Haus gewöhnen bis sie groß genug ist um allein spazieren zu gehen.

K800_IMG_6478 K800_IMG_6477                     Die Klospülung                                     Mein Zimmer

 K800_IMG_6479 Ledys mit Terri

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K800_IMG_6424                                                                                Itzia ist supergescheit und an allem interessiert – hier erklärt sie mir gerade warum es Tag und Nacht gibt

K800_IMG_6443 Jireh und Britany

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Ich mit Daniela und Daniel (und meinem neuen Kleid)

K800_IMG_6519                                                              Mein Bett und mein persönlicher Held: der Ventilator

Gleich um die Ecke von Ana’s Haus wohnt la Doña Esmeralda selbst, gemeinsam mit ihrer Tochter, ihrem Schwiegersohn Gustavo (vom Amucobu-Projekt) und deren 5-jährigen Tochter Jireh. Abgesehen davon sind aber immer ein Haufen andere Familienmitglieder da, sodass ich schon völlig den Überblick verloren habe. Abends sitzen alle vor dem Haus wo ein frisches Lüftchen weht und genießen, dass es etwas abgekühlt hat. Gleich nebenan hat Esmeralda ihr Kleidergeschäft, in dem sie Ware, zweiter Hand verkauft. Jeder geht hier unterschiedlichsten Geschäften nach um sich sein Einkommen zu sichern.

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K800_IMG_6446                                                                Wie meine Mama ist Esmeralda auch „Floristin“

K800_IMG_6452                                                                             Leydis in ihrem Kostüm als Königin der Natur für den „Día de Reyes“ (Tag der Könige)

In unmittelbarer Nähe wohnen auch María vom Amocobu-Projekt und Brenda, die Direktorin des Colegios, gemeinsam mit ihren Familien. Ich bin also schon gut vernetzt.

Die ersten Tage hat mich Gustavo vom Haus abgeholt und mich auf den Weg in die Schule begleitet, aber mittlerweile gehe ich auch alleine zum Colegio oder zur Bushaltestelle. Wie gefährlich das Viertel wirklich ist, ist sehr schwer einzuschätzen für mich, denn ich sehe einfach nur Menschen, die ihren täglichen Arbeiten nachgehen. Außerdem fühle ich mich gar nicht so fremd, wie ich aussehe. Wenn ich durchs Dorf gehe, tönt es von überall her: „Hola teacher!“, so dass ich fast das Gefühl habe, ich würde hier schon ewig leben und jeden kennen. Natürlich, alle meiner fast 250 Schüler und Schülerinnen wohnen ja schließlich auch hier.

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Essen ist in dem Preis den ich zahle (100 Dollar für 2 Wochen) inkludiert. Dieses besteht immer aus dem obligatorischen Gallo Pinto, Reis und rote Bohnen (jegliche Bohnen anderer Farben sind verpönt), frittierten Kochbananen und einem „Fresco“ (ein Fruchtsaftgetränk). Mindestens zweimal, oft dreimal am Tag. Dazu gibt es entweder ein Stück Käse, Eier oder etwas Fleisch. Zum Glück liebe ich Reis und Bohnen, mir kann also nichts passieren – außer dass ich zunehme, aber dafür hab ich auch schon einen Plan: Raggaeton.

Die Mädels haben mich gleich in die große Kunst des schweißtreibenden Lateinamerikanischen Tanzes eingewiesen. Die Kinder hier fangen ja oft schon mit 5-Jahren an eine Simulation des Geschlechtsverkehrs zu tanzen, wie ich es jetzt einmal geschönt ausdrücken möchte. Ich glaube, bei uns würde ein Kind geschimpft werden, wenn es sich so bewegen würde. Wäre ich nicht sowieso immer rot von der Hitze, würde es mir die Schamesröte ins Gesicht treiben. Nichtsdestotrotz bin ich entschlossen wenigstens einen Tanz zu lernen. Mit etwas Training (und dem Abwerfen aller Hemmungen) bringe ich meinen europäischen Hintern schon noch zum wackeln. Daniela hat mir dann gleich auch noch die Nägel dekoriert, wie es sich für eine Nica gehört.

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K800_IMG_6493  K800_IMG_6501

Die Familie ist das Wichtigste                                                                                         Von der ersten Sekunde an, haben mich die Kinder „adoptiert“, mich mit Zuneigung überschüttet, mir 1000 Fragen gestellt, über alles mögliche geredet und mir auch gleich ein Kartenspiel beigebracht. Vor allem Daniela möchte alles über mein Leben in Europa wissen, sie ist noch nie weiter als bis zum Pazifikstrand gereist und meine Welt muss ihr so unfassbar fremd vorkommen. Vieles ist schwer zu erklären – nicht nur wegen meines Anfänger-Spanischs, sondern auch, weil mir immer klarer wird, wie anders die Mehrheit der Menschen in Europa lebt.

Dass ich Kontaktlinsen trage zum Beispiel oder dass ich mit meinem Freund zusammenlebe, obwohl wir nicht verheiratet sind. Aber vor allem, dass ich so weit weg von meinen Eltern lebe. Die Familien hier sind sehr stark verstrickt, teils aus kulturellen, teils aus finanziellen Gründen.

In Nicaragua gibt es sogar ein Gesetz, dass Kinder verpflichtet für ihre Eltern zu sorgen, wenn sie alt sind. Niemand wird ins Altersheim aufgenommen, wenn er eine Familie hat, die sich kümmern kann. Deshalb sind die Altersheime auch eher leer.

Familiäre Beziehungen sind den Leuten hier heilig, aber wenn du arm bist – und die überwältigende Mehrheit lebt finanziell stark am Limit – dann bedeutet Familie vor allem auch Sicherheit, denn ohne familiäre Unterstützung bist du verloren. Ja, es gibt die Kirchen, sie stehen an jeder Ecke, aber die meisten tun nicht viel außer predigen. Im Barrio gibt es glücklicherweise Esmeralda und ihr Amocobu Team, die auch eine Art Anlaufsstelle für allerlei Sorgen der Leute sind, sei es nun wegen Drogenabhängigkeit, Missbrauch in der Familie oder anderen Problemen.

Die Nicas spenden auch: Immer wieder steigen Menschen in den Bus ein und erklären in einer Ansprache warum sie Geld brauchen (meist weil sie oder ein Familienmitglied eine Krankheit haben) und im Vergleich zu Wiener U-Bahnen suchen doch sehr viele Menschen nach ein paar Cordobas in ihren Taschen.

Ohne Familie kann man in Nicaragua überleben, aber menschenwürdig leben kann man so nur mit einem der raren gut bezahlten Jobs.

Niemals werde ich die Verzweiflung und Einsamkeit jener jungen Frau vergessen, die bei Esmeralda um Hilfe angesucht hat. Am ganzen Körper zitternd, bemüht die Tränen zurückzuhalten, erzählte sie von ihrer Krankheit und dass sie an Selbstmord denke, weil sie die Schmerzen nicht mehr aushalte. Selbstmord ist bei den religiösen Nicas noch viel mehr undenkbar, als bei uns. Doch die Frau leidet an einer Form der Epilepsie und wenn sie nicht regelmäßig Medikamente gibt, wird ihr ganzer Körper von schrecklichen Krämpfen gebeutelt. Ihre eigene Mutter hat sie hinausgeworfen, sonst gibt es niemanden. Aber sie selber hat eine kleine Tochter um die sie sich kümmern muss. Ich habe keine Vorstellung davon, wie diese Frau ihren Alltag meistert. Die linke sandinistische Regierung hat zwar ein gratis Gesundheitssystem errichtet, aber das ist nur für akute Fälle zuständig. Die Behandlung chronischer Krankheiten kann damit nicht abgedeckt werden.

Insofern erscheint mir Esmeraldas Familienclan nicht „arm“, auch wenn es Geldsorgen gibt, denn sie sind reich an starken sozialen Beziehungen. Ein Grund warum ich ins Barrio gezogen bin, ist, weil ich verstehen möchte, wie die Leute mit ihrem geringen Gehalt zurecht kommen und diese starke Vernetzung scheint eine Antwort zu sein.
Ich finde es schön, das alles aus nächster Nähe miterleben zu können. Teilweise ist die Unsichtbarkeit und das Fehlen der Väter auffällig. Manche Dinge kann ich noch nicht beurteilen. Aber wie ein Schwamm sauge ich all die Eindrücke auf, versuche sie einzuordnen und zu lernen.

Managua – Eine Annäherung

Die Geräusche Managuas
Länger als bis sieben Uhr schlafe ich nie. Dann weckt mich der Gesang der Vögel auf, oder ein Hahn der immer irgendwo kräht, das Hupkonzert der Autos, das nur zwischen zwei und fünf Uhr Morgens aussetzt. Vertraut ist mir auch der Singsang der Verkäufer, die von Haus zu Haus gehen und ihre „Mandarinas-Cebollas-Platanos-Jacotes“ oder Meeresfrüchte und Fisch anbieten und das Klingeln des Eisverkäufers, der mit einem kleinen Wäglein, nicht größer als eine Schiebtruhe, herumfährt.
Im Moment wird alles übertönt vom Wind, der wohltuende Kühle bringt, aber auch alles mit einer braunen Staubschicht überzieht. Ich spüre die kleinen Teilchen auf der Tastatur unter meinen Fingern, sie kitzeln mich in der Nase, sie fliegen mir in die Augen, sie verbinden sich mit dem Papier meiner Bücher und werden langsam aber sicher, den sicheren Tod für meinen Laptop bedeuten, der schwer genug allein mit der Hitze zu kämpfen hat.
Doch das Rascheln, Kreisen und Aufbäumen der Luft hat eine beruhigende Wirkung auf mich, die leider immer wieder vom Schreckmoment unterbrochen wird, wenn eine Baseballgroße Mango mit einem lauten Knall auf unser Blechdach fällt.
Am Abend melden sich dann die Geckos zu Wort, die überall in Haus und Garten verteilt sind und die lästigen Moskitos fressen. Ihr schnalzendes Gackern ist mir das liebste Geräusch von allen und werde ich wohl immer mit meiner Zeit hier verbinden.

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Die Stadt im Bus „erfahren“
Ich habe das Gefühl Managua schon besser durchs Hören als durchs Sehen kennengelernt zu haben, aber diese Stadt erarbeitet man sich auch nur Stück für Stück.
Ich hab mir vorgenommen mehr zu Fuß zu gehen, aber lieber fahre ich mit dem Bus, denn jede Fahrt hat ihren eigenen Charakter. Die meisten Busse sind liebevoll verziert und jedes Mal tönt dir eine andere Musikrichtung entgegen. Oft singen die Fahrgäste mit. Schön finde ich auch Hinweise an den Fensterscheiben wie: „Bitte nicht in den Bus kotzen“.
Außerdem bin ich ja stolze Besitzerin einer „Tarjeta Tuc“, die praktische elektronische Fahrkarte, mit der man in ganz Managua für 2,50 Cordoba mit dem Bus herumtuckern kann.
Manchmal ergab sich schon ein kurzes Gespräch mit einem Fahrgast, der sich fragt was mich wohl in diese Gegend verschlägt, wohin sich offensichtlich niemals ein Tourist verirrt. Es wurde mir abgeraten mich in dem Viertel in dem ich arbeite, zu Fuß zu bewegen. Daran halte ich mich bis jetzt auch, denn obwohl ich mich mittlerweile dem Kleidungsstil der Nicas angepasst habe und dunkle lange Jeans trage, falle ich doch sehr auf, egal wo ich hingehe. Dabei gibt es viele hellhäutige oder blauäugige Nicas, aber blonde, hellhäutige und grünäugige Menschen sieht man, zumindest in der Gegend wo ich arbeite, so gut wie nie. Mittlerweile weiß ich auch, dass der Versuch mit „Ts,ts,ts“ meine Aufmerksamkeit zu erregen so normal ist, wie der Ausdruck „Chele“ oder „Chelita“, was soviel wie „Fremdaussehende“ bedeutet (und nicht unbedingt „Weiße“, wie oft in den Reiseführern steht). Solche Ausdrücke sind nicht abfällig gemeint, sondern völlig normal, denn die Leute sprechen sich hier auch mit Ausdrücken wie „Gordo“ (Dicker), „Flaca“ (Dünne) oder „China“ (Asiatischaussehende) an.

K800_IMG_5402 - Kopie                                                                 Die beleuchteten (und von einem Security-Mann bewachten) Kreisverkehre sind charakteristisch für Managua und prägen das Stadtbild. Die Bäume wurden von der einflussreichen Präsidenten-Gattin Rosario Murillo designt und stehen für das Motto des Jahres: „Construyendo patria“ (Schaffen wir das Vaterland).

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Wie die Streichhölzer in der Schachtel
Zu den Peak-Times sind die Busse so voll, dass es schon vorkommen kann, dass sich ein paar Leute aus den offenen Fahrtüren hängen müssen. An die Windschutzscheibe gepresst, die Schultasche eines Schülers gegen den Bauch gedrückt und meinen Fuß unter jemandes Schuh, sind die Busfahrten zwar eine akrobatische Herausforderung, aber auch das ist eine Erfahrung (die sicher bald zur Gewohnheit wird).
Normalerweise kommen die Busse recht häufig, aber es kann auch vorkommen, dass stundenlang überhaupt kein Bus mehr fährt, dann hat Herr Ortega, der Präsident des Landes, alle öffentlichen Busse für sich und seine Parteigenossen reserviert um zu irgendeiner Veranstaltung zu fahren.
Wenn es mir zu dumm wird mit dem Warten, nehme ich lieber eines der Taxis, die gleich 16 Mal teurer sind, aber umgerechnet trotzdem nicht viel mehr 1 Euro 15 Cent kosten. Für jene Einheimische jedoch, die normalerweise mit dem Bus fahren, ist das natürlich eine große Ausgabe. Verständlich also, dass solche Extravaganzen des Präsidenten nicht gut ankommen bei den Menschen in Managua.
Auch die Taxis sind leichter durchs Hören, als durchs sehen zu erkennen, da sie jeden anhupen, der verdächtig danach aussieht eine Fahrgelegenheit zu brauchen.
Es ist für mich ein Rätsel wie die Taxifahrer überhaupt Adressen finden, wo doch jede Ortsangabe ungefähr nach folgenden Schema klingt: Da wo einmal die ‚Name eines Gebäudes’ stand, zwei Blocks Richtung See, einen Block hinauf, bis ans Ende, gelbe Tür.

Keine Bilderbuchstadt, aber ein großes Kapitel Geschichte
Managua hat kein wirkliches Zentrum an dem man sich orientieren kann, keine Einkaufstraße und kein Ausgehviertel.
Erdbeben, nicht Architekten, haben diese Stadt geprägt. 1972 wurde die gesamte Stadt innerhalb weniger Minuten völlig zerstört.
Dort wo früher das Zentrum war, ist heute ein riesiger leerer Platz, der nun für Veranstaltungen genutzt wird. Zu Ehren Papst Johannes Paul II. wurde er zum „Plaza de la Fe“ benannt, obwohl dessen Besuch 1983 ein Desaster war. Nicaragua fand sich gerade mitten im blutigen Konflikt zwischen den linken sozialdemokratischen Sandinisten und den sogenannten Contras. Man hoffte auf Worte des Friedens, stattdessen hielt der Papst eine sowohl kulturell als auch politisch völlig unsensible Predigt, welche auf große Empörung stieß. Der Papst wurde mehrmals in seiner Rede unterbrochen und verließ die Bühne verärgert.
Heute wird der Platz auch für Veranstaltungen genutzt, vor allem jener der sandinistischen Regierungspartei, der Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN), zu denen dann die halbe Bevölkerung Nicaraguas busweise angekarrt wird.

K800_IMG_5459 K800_IMG_5456  Plaza de la Fe
Die Menschen haben sich nach der Katastrophe 1972 eher am Rande der Stadt rund um verschiedene Wasserquellen angesiedelt. Die Panik vor Erdbeben ist den Menschen geblieben. Jeder Ruckler den die Erde irgendwo in Nicaragua oder im Pazifik macht, wird aufgeregt diskutiert. Erst gestern gab es wieder einen starken Erdstoß (5,3) in der Nähe Managuas. Während ich es noch gar nicht einordnen kann, laufen die Nicas schon alle auf die Straße, nur um dort festzustellen, dass über ihnen Stromleitungen hängen, deren Masten keineswegs stabiler als die Hausmauern sind.
Natürlich wurde Managua auch von seiner Geschichte der sandinistischen Revolution stark geprägt.
Am Loma de Tiscapa – eine Hügel der die Stadt überblickt und eine schöne Aussicht auf die umliegenden Vulkane bietet – thront in gewaltiger Größe der schwarze Umriss des Mannes, der jedem hier bekannt ist: Augusto C. Sandino. Das Symbol für Nicaraguas Widerstand gegen die amerikanische Besetzung in den 1920 und -30er Jahren und Leitfigur der sandinistischen Revolution in den 1970er Jahren gegen die Diktatur des Somoza-Clans.

Vergesst Che!
Der Hügel beherbergt auch die Überreste des Palastes des Diktators Anastasio Somoza Debayle, der durch die sandinistische Revolution 1974 gestürzt wurde, sowie ein Museum über Sandinos Leben.
Hier kann man die filmreife Geschichte des sieben-jährigen Kampfes in den Jahren 1927-1933 Sandinos kennenlernen. Ich frage mich ernsthaft warum Hollywood das Leben dieses Mannes noch nicht verfilmt hat. Der Stoff ist genial: ein Junge aus armen Verhältnissen sieht, dass seinem Volk durch die amerikanische Besetzungsmacht grausames Unrecht geschieht, wird glühender Patriot, wagt das Unmögliche. Startet eine Revolution. Einfache Bauernfamilien formieren sich zur Stütze der Guerillas. Der scheinbar Schwache wehrt sich erfolgreich gegen den übermächtigen Starken durch jede Menge List und Tricks. Geheimnisvolle Geldgeber und Geheimbünde haben ihre Finger im Spiel. Für jede Menge Action sorgen die Kampfszenen im Wald. Natürlich auch viel Potenzial für eine kitschige Liebesgeschichte. Szenen von Frauen die mit Kindern an den Brüsten kämpfen, von Frauen, die amerikanische Soldaten verführen und damit in eine tödliche Falle locken. Dann endlich ein Friedenspakt, man denkt, alles gut.
Doch (Achtung, Spoiler-alert!) in einem hinterhältigen Manöver werden Sandino und vier seiner engsten Mitstreiter von jenen Menschen, die ihnen auf Fotos lächelnd die Hand schütteln, kaltblütig ermordet.
Wie durch ein Wunder kann der fünfte im Bunde lebend entkommen und gründet die sandinistische Partei, die Jahre später, 1979, in einer Revolution das grausame Nachfolger Regime stürzt.

Sandino ist noch immer der Held der Nation. Auch die Sandinisten hatten Anfangs einige gute Initiativen (wie eine Alphabetisierungskampagne und Verbesserung des Gesundheitssystems) aber von den Idealen der Revolution ist nicht viel geblieben. Wie das immer so ist, bereichert sich der neue Präsident Daniel Ortega und verteilt das Geld an seine Familie und Verbündete während der Großteil der Bevölkerung sich abstrudelt, improvisiert und gegenseitig unterstützt um gerade mal so zu überleben.

K800_IMG_5452 - Kopie       K800_IMG_5450 - KopieDie Treppe zu Somozas nicht mehr vorhandenen Palast und das Sandino Museum   K800_IMG_5445 - Kopie Ein Eisverkäufer am Lomo de TiscapaK800_IMG_5438 - Kopie K800_IMG_5433 - Kopie  K800_IMG_5430 - Kopie Panzer: Geschenk von Mussulini an Somoza & die alles überragende Silhouette Sandinos

K800_IMG_5424 - KopieK800_IMG_5421 - Kopie  K800_IMG_5423 - Kopie   Die schöne Aussicht auf Managua & Spielplatz für Eltern, die ihren Kindern das fürchten beibringen wollen, nicht weit von den ehemaligen Folterkammern Somozas

K800_IMG_5422 - Kopie  K800_IMG_5419 - Kopie    K800_IMG_5417 - Kopie                                                     Informationstafeln über die Geschichte der Revolution

Wenn Sozialdemokraten pink tragen…                                                                        Was bleibt sind große Worte, viel Kampagne und Trara in bunten Farben – 2014 ist das Jahr in pink, das sich mit den Parteifarben Rot-Schwarz grausam schlägt.
Brot und Spiele für das Volk, aber keine langfristigen strukturellen Maßnahmen um etwas an der Situation der Menschen dauerhaft zu verändern. Die Gattin des Präsidenten Daniel Ortega hat eine barbiebunte Promenade am Rande des Managua Sees bauen lassen. Eine Freizeitmeile, wenn man so will, mit Vergnügungspark, Spielplätzen für Kinder und Bars für die Erwachsenen.
K800_IMG_5469 K800_IMG_5468 K800_IMG_5467 K800_IMG_5464                                                               Sandino Statue wie es sie überall im Land gibtK800_IMG_5463 K800_IMG_5456 K800_IMG_5455 - Kopie
Bunte Fahnen flackern entlang des perfekt asphaltierten Geländes (das soll hier erwähnt sein, da in der Regel, die Straßen kaputt und aufgebrochen sind), kleine Sitzkreise mit Strandschirmen vermitteln ein Urlaubsfeeling, auch wenn der schöne See leider so verunreinigt ist, dass man nicht einmal einen Zehen ins Wasser stecken möchte.
Hunderte Themen-Restaurants und Bars mit Namen wie Kuba oder Venezuela laden zum Verweilen ein, auch wenn das Essen hier für die meisten Nicas natürlich zu teuer ist. Trotzdem fahren Familien gerne hier her um abzuhängen. Wohin auch sonst?
Auch das moderne Theater Ruben Dário ist prachtvoll und bietet sogar immer wieder gratis Konzerte an. Geld ist da, aber wo fließt es hin? Nicht in das Viertel in dem ich arbeite, wo die Leute Probleme mit Wasser- und Strommangel haben. Auch nicht in die Straßen, wo Anarchie und Chaos herrschen und jeder Verkehrteilnehmer ein Fatalist ist.
Wie gesagt, Managua muss man sich Stück für Stück erarbeiten. Ich habe ja noch nicht einmal die Hälfte des riesigen Marktes Roberto Huembes ganz in meiner Nähe gesehen, in dem man wirklich alles kaufen kann.

Managua ist bestimmt nicht schön und der Lebensstandard ist niedrig, aber eines bietet die Stadt auf jeden Fall: gute Geschichten. Ich bin genau richtig hier.

 

K800_IMG_5494 K800_IMG_5493 K800_IMG_5492  Unreife Jacotes K800_IMG_5491 K800_IMG_5490 K800_IMG_5488 K800_IMG_5486 K800_IMG_5482 K800_IMG_5480                                                             Den Figuren und Formen der Piñatas sind keine Grenzen gesetzt

 

 

 

Der Weg ist das Ziel, aber das Ziel ist auch nicht schlecht… Teil 2

Bluefields – Pearl Lagoon – Pearl Keys

Ich komme viel zu wenig zum Schreiben, dabei gibt es noch soviel zu erzählen. Nicaragua hat mein anthropologisches Interesse wiedererweckt und am liebsten würde ich mich in eine Bibliothek setzen und über all die Orte recherchieren, die ich hier in Nicaragua besucht habe. Vor allem würde ich gerne Gespräche mit den Leuten führen können. Aber für beides brauche ich neben Zeit vor allem besseres Spanisch.
Aber wo war ich letztes Mal stehen geblieben? In Bluefields, die Hauptstadt der karibischen Atlantikküste, die praktisch nur über den Wasserweg mit Panga erreichbar ist.
Aufgrund meines sehr kurzen Aufenthalts in der Hafenstadt, kann ich nur berichten, was mir die hiesigen Expats mit denen wir für ein paar Tage unterwegs waren, erzählt haben sowie was ich bisher über Bluefields lesen konnte.

Buntes Bluefields
Bluefields ist die Hauptstadt der Región Autónoma del Atlántico Sur (RAAS). Seine Bevölkerung (ca. 60.000Ew.) ist sehr durchmischt. Die größte Gruppe stellen die spanischsprechenden Mestizo – Nachfahren der indigenen Bevölkerung, die sich mit den spanischen Kolonialisten vermischt haben und die Mehrheitsbevölkerung in ganz Nicaragua darstellen. Die zweitgrößte Gruppe ist jene, der englischsprechenden Kreolen, die vermischte (west)afrikanische, europäische (vor allem britische) und natürlich amerikanisch-indigene Wurzeln haben. Aber auch kleinere Gemeinschaften von Miskito (indigene Bevölkerung, die sich mit den Briten verbündet hat), Garifuna (afrikanisch-karibischer Abstammung), Chinesen, sowie die kleinste Gruppe, der indigenen Völker wie die Sumu und Ramas.

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Eine Statue aus dem Historical Museum of the Atlantic Coast welche die verschiedenen Kulturen Bluefields darstellt.

Isoliert aber in einen Haufen Probleme verstrickt
Viele Bewohner der Pazifikküste meiden die Karibikküste, deren Bevölkerung als gefährlich verrufen ist. Die beiden Küsten unterscheiden sich nicht nur kulturell, sondern auch strukturell. Während auf der Pazifikküste Nicaraguas laut Martina in den letzten 10 Jahren die Straßeninfrastruktur beträchtlich ausgebaut wurde, wurde sowohl die Süd- als auch in der Nordregion der Atlantikküste strukturell vom Staat vernachlässigt.
Bluefields hat mit vielen Problemen zu kämpfen, die zwar dem Rest des Landes auch nicht fremd sind, doch die Region ist Spitzenreiter im Drogenhandel und was (die daraus resultierende) Gewalt betrifft. Hinzu kommen Konflikte über Land, da immer mehr Mestizos an die Atlantikküste ziehen, Bedrohung der Sprache und Kultur der kleineren ethnischen Gruppen, großflächige Armut und Arbeitslosigkeit, die höchste Rate an Schwangerschaften bei unter 15-Jährigen (generell ein großes Problem in Nicaragua), die zweit-höchste Rate an HIV/AIDS Erkrankungen und seit den 70ern Jahren hält Bluefields Platz eins bei den sexuell übertragbaren Geschlechtskrankheiten. Ein schockierend offener und resignierender Bericht von 2003, eines damaligen Bürgermeisters von Bluefields in der Zeitschrift Envio, zeigt die im wahrsten Sinne verzwickte Situation der vom Rest des Landes so Isolierten Stadt auf: http://www.envio.org.ni/articulo/2109
Seine Lage hat die Karibikküste zu einem Hotspot des Drogenhandels gemacht.
Wenn kolumbianische Drogenhändler merken, dass ihnen Interpol auf den Fersen ist, werfen sie ihre in Plastiksäckchen verpackte Wahre ins Meer. Die Päckchen, auch „White Lobster“ genannt, werden an die Karibikküste gespült oder von den Fischern gefangen und so werden arme Leute über Nacht reich. Angesichts der fehlenden beruflichen Perspektiven, selbst mit einem Universitätsabschluss, und einer (angeblichen) Arbeitslosigkeitsrate um die 70 Prozent (wobei solche Statistiken schwierig zu beurteilen sind, weil es unzählige inoffizielle, legale Beschäftigungen gibt) ist das Geschäft mit der Sucht ein wichtiger Wirtschaftszweig der RAAS geworden. Drogen werden natürlich nicht nur an der atlantischen Küste verkauft und konsumiert, aber das Problem scheint in diesen Gegenden mittlerweile unlösbar.
Unsere eigenen Eindrücke sind allerdings vor allem von Müdigkeit, schwüler Hitze, dem lustigen Creole English, Lärm und vielen bunten Farben bestimmt.
In Bluefields sehe ich auch den ersten von einer Reihe an Begräbniszügen, die sich alle sehr von unseren unterscheiden. Dieser war vermutlich für einen verstorbenen Taxifahrer. 20 Taxis fahren langsam vor einer Trauergemeinschaft, die zu Fuß folg. Sie stoppen an der Stelle seines Todesortes, was wir dadurch erfahren, da einer der Taxifahrer schreit: „Aquí se murió. Aquí“ (Hier starb er, hier), und einen anderen Mann auffordert, noch einen Schuss Böller abzufeuern und noch einen: „Otro! Otro!“
Die Szene zieht wieder an uns vorbei, gefolgt von einem Eisverkäufer, der sein kleines Wäglein vor sich herschiebt, dessen Glocken unermüdlich und hell klingeln.
Auch das Bild ausgehöhlter Panzer von Riesenschildkröten, deren Fleisch an den Straßen verkauft wird, drängt sich mir auf, wenn ich an Bluefields denke.
Ich selber fühle mich als Fleischesserin nicht berechtigt, zu diesem Thema eine Meinung abzugeben – es hat mich schon geschockt, gleichzeitig ist es die Lebensgrundlage der Miskitos. Doch ich habe einen interessanten, kurzen Bericht zu dem Thema gefunden: http://www.greenpeace-magazin.de/magazin/archiv/5-98/vom-leben-eines-fischervolkes-und-vom-sterben-einer-bedrohten-art/
Den Abend verbringen wir gemeinsam mit den Freunden von Martina, die hier wie fast alle anderen Expats in einer NGO oder ähnlichen Organisation, arbeiten. In dem Restaurant, in dem wir Abendessen, wird gleichzeitig Disco und Karaoke gemacht und das natürlich in der Lautstärke einer dreistöckigen Großraumdisco. Wenn die Nicas Party machen, dann soll das auch jeder hören. Wir sind fast 24 Stunden wach, uns dröhnt der Schädel und wir müssen am nächsten Tag wieder früh raus, deshalb widerstehen wir den Tanzaufforderungen der Nicas.

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K800_IMG_4812 K800_IMG_4810 K800_IMG_4809 K800_IMG_4808 K800_IMG_4807 K800_IMG_4806 K800_IMG_4805 K800_IMG_4802 K800_IMG_4798 K800_IMG_4796 K800_IMG_4795 K800_IMG_4794 K800_IMG_4793 K800_IMG_4792 K800_IMG_4790 K800_IMG_4788 K800_IMG_4787 K800_IMG_4786

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Von Bluefields über Pearl Lagoon zu einer Perle der karibischen Inseln

Am nächsten Tag um 7.30 Uhr geht es weiter. Gestärkt mit dem Nationalgericht Gallo Pinto (rote Bohnen mit Reis) und Eierspeise machen wir uns auf nach Pearl Lagoon. Auch dieser Ort ist nur mit dem Boot erreichbar.
Pearl Lagoon ist ein kleines karibisches Dorf mit bunten Häusern, Fischerbooten, einigen Kirchen, einem knallblaubemalten Baseballstadium (Baseball ist der Lieblingssport der Nicas), keinem einzigen Supermarkt, dafür viele kleine „Pulperías“, Minimärkte, welche Teil der Wohnhäuser sind. Wir decken uns mit Rum und Bier ein, speisen ganz ausgezeichnet im „Queen Lobster“ (frischgefangenen Sägefisch und meine Lieblinge: Brotbaumfruchtchips) und fahren dann mit der Panga weiter zu unserem eigentlichen Ziel: den paradiesischen Pearl Keys – eine tropisch-karibische Inselkette mit – aufgrund des steigenden Meeresspiegels nur mehr – 12 kleinen Inseln.

K800_IMG_4776 Von Bluefields Richtung Pearl Lagoon

k-IMG_4834k-K1024_IMG_5040k-K1024_IMG_5039 Kinder beim Baseball spielen in Pearl Lagoon

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k-IMG_4883 Muy rico, la comida criolla!

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K800_DSCN3890 K800_DSCN3902 K800_DSCN3893 credit: Rosenfuchs

K800_DSCN3891 credit: Rosenfuchs K800_DSCN3906 credit: Rosenfuchs K800_DSCN3905 credit: Rosenfuchs

Wieder steht uns eine rasante Fahrt bevor, noch dazu geht es diesmal ins offene Meer hinaus und das Boot klatscht hart am Meer auf, wenn es über die hohen Wellen springt. Wir lassen die braune Suppe, die Bluefields und Pearl Lagoon umgibt, hinter uns und fahren immer weiter ins dunkle Blau.
Bei einem Militärstützpunkt müssen wir halten und zwei Soldaten durchsuchen aufs Peinlichste genau unser gesamtes Gepäck – wir sind 10 Leute, daher dauert das Ganze fast eine Stunde. Dick eingepackt wegen der Bootsfahrt, die hier normalerweise recht kühl ist, stehen wir in der prallen Sonne, während uns die aggressiven Hunde der Soldaten misstrauisch beknurren, und beobachten wie die beiden Männer jedes Kontaktlinsendöschen öffnen und Socken einzeln aufrollen. Das ganze dauert eine Stunde!

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La Isla Bonita

Als wir endlich am Ziel angelangt sind, weiß ich, dass sich alles gelohnt hat.
Weißer Strand, Palmen, türkises Meer – Absolut Postkartentauglich, keine Frage.
Die Insel ist so klein, dass man sie in 15 Minuten umrunden kann und sie gehört quasi uns. Nur ein Miskito, der die Insel bewacht, lebt hier dauerhaft in einem kleinen Verschlag. Ein Hund, eine Katze und ein paar Hühner leisten ihm Gesellschaft, wenn gerade keine Touristen die Insel besuchen. Seine Frau und sieben Kinder in Bluefields besucht er alle drei Monate.

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Beware of the coconut

Die zwei Männer, die diese Tour organisieren, schlagen die Zelte auf und wir widmen uns dem süßen Leben, mit schwimmen, chillen und ausgiebigen „Coco Loco“ trinken. Wir haben Rum, eine Machete und Kokosnüsse gibt es hier soviel wie Sand. Weswegen wir auch ein Formular unterschreiben mussten, in dem wir davor gewarnt werden, uns nicht unter die Kokospalmen zu stellen – eine schier unmögliche Aufgabe, da die Insel praktisch aus Palmen besteht.
Wir versuchen trotzdem so gut es geht, nicht direkt unter einer zu stehen, niemand möchte an so einem Traumort von einer Kokosnuss erschlagen werden.

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K800_DSCN3954 credit: Josef Fuchs K800_DSCN3961 credit: Josef Fuchs

Um unsere kleine Robinson Crusoe Insel liegen in Sichtweite vier andere Pearl Keys. Eine besteht aus nur vier Palmen. Auf einer wird die spanische Version des Dschungelcamps gedreht. Eine andere gehört angeblich einem Drogenboss. Auch unsere Insel wurde eigentlich von einem reichen Ausländer gekauft, der sich dort ein Haus bauen wollte. Aber die Einheimischen haben sein Vorhaben so erfolgreich boykottiert, dass er irgendwann aufgeben musste. Die zweistöckige Villa steht halbfertig inmitten der Insel.

k-IMG_4995   k-IMG_4994 Züchtig bedeckte Venusstatue

Als die Sonne untergeht, gibt es kein Licht außer das der Sterne über uns. Wir liegen in den Hängematten, lauschen den Wellen und leeren die 2Liter Flasche Rum während unsere Guides Spaghetti kochen.
Da kann man schon sehr, sehr zufrieden sein.
Bevor wir in den Hängematten oder im Sand einpennen, schaffen wir es noch ins Zelt und schlafen glücklich ein.

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K800_DSCN3926  credit: Rosenfuchs

K800_DSCN3931 credit: Rosenfuchs

k-K1024_IMG_4964 Cracking the Coconut

K800_DSCN3941 K800_DSCN3939 Dinner in the Dark (credit: Rosenfuchs)

K800_DSCN3938 K800_DSCN3937 credit: Rosenfuchs

Friedlich einschlafen, stürmisch erwachen

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Um drei Uhr früh werden wir unsanft aus dem Schlaf geweckt. Über Nacht hat sich ein tropischer Sturm gebildet, der wild an unserem Zelt rüttelt. Noch dazu ist das Gemeinschaftszelt, dass Petra, Josef, Stefan und ich, uns teilen, völlig undicht. Auf Petras und Josefs Seite ist schon ein kleiner See entstanden. Stefan und ich sind zu müde um uns aufzuregen und bleiben teilnahmslos im Regen liegen. Es stürmt und wettert bis zum Morgen. Alle unsere Sachen sind nass oder feucht, aber zum Glück klärt es gegen 9 Uhr auf und bei der Hitze trocknet alles schnell.

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k-IMG_5018 Die Inseltoilette

Zum Frühstück gibt es Eierspeise, Bohnen und Kaffee. Danach gehen ein paar von uns Schnorcheln. Es gibt viele Korallen, die leider von einer schlammartigen Schicht überzogen sind, dafür aber auch riesige leuchtend rote, gelbe und orange Seesterne. Fische entdecke ich erst beim zweiten Versuch an einer anderen Stelle.

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K800_DSCN3966  credit: RosenfuchK800_DSCN3975 credit: Rosenfuchs

K800_DSCN3977 credit: Rosenfuchs

Wir verbringen den Tag damit in der Hängematte zu entspannen und auf Petras Geburtstag anzustoßen.

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Zum Mittagessen gibt es die traditionelle kreolische Fischsuppe „Rondon“ aus Kokoswasser, ganzen Krebsen, Languste, Schrimps, Fischstücken, Yucca, Kochbananen, Kartoffeln, Quequiste (ein Wurzelgemüse), Limette, Zwiebeln und vielen feinen Gewürzen. Muy rico!

k-IMG_5014  k-IMG_5015     Dieses Huhn hat keine Eier gelegt und wurde zur Strafe angebunden.

k-IMG_5013 k-IMG_5012 k-IMG_5008 „Rondon“ – Run down

Leider müssen wir unsere Insel auch wieder verlassen. Wir übernachten diesesmal in Pearl Lagoon im Casa Ulrich und feiern Petras Geburtstag. Bei einem lokalen Bäcker – ein Basketballspielergroßer, pummeliger Rastaman – bestellen wir eine der schön kitschigen Torten, welche die Nicas alle so lieben. Wenn das mal kein gelungener Geburtstag war.

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Qué Suerte!

Hier ein superschneller Beitrag für jene, die sich fragen, wie es mir so ergangen ist.

Mir geht es gut. Meine Nebenhöhlen sind zwar vom Staub völlig verstopft und deswegen fühl ich mich ein bisschen krank, aber das ist hier so normal wie bei uns eine Verkühlung.

Ich habe die Woche versucht wie die Nicas einfach alles ein bisschen cooler zu nehmen. Das ist mir mal besser, mal schlechter gelungen. Wo ich in der einen Klasse kapitulieren musste und einfach so lange ein Lied mit dem Text „Hello, Hello, Hi, Hi, Hi, Hi“ spielte bis die Stunde vorbei war, konnte ich in einer anderen die Kinder mit meiner Methode des aktiven Lernen wieder mitreißen. Es ist wie es ist, einmal ist der Unterricht mies, dann wieder gut.

Aber solang die Kinder mich weiterhin mit Liebesbekundungen, kleinen Geschenken wie Jacote-Früchte, Stifte und vor allem Zeichnungen überhäufen habe ich beschlossen, diese Wertschätzungen einfach als solche anzunehmen. Auch wenn sie wahrscheinlich nicht auf meine Qualitäten als Lehrerin beruhen, sondern auf meine pure Existenz, was eigentlich auch schön ist.

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Das bin dann wohl ich (auch die Rose – ein Kugelschreiber – im Haar ist ein Geschenk)

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„Todos los dias pienso en tí profesora“

K800_IMG_6283  Bald mach ich eine Galerie auf

Vielleicht hat auch der Glücksbringer, den ich von Maria, aus dem Amucobu-Team, bekommen habe, schon seine Wirkung gezeigt. Ein Armand auf dem der Heilige Judas Tadeo abgebildet: „el Santo de las causas imposibles“ – für schwierige Situationen. Äußerst praktisch, ich muss mal nach dem Heiligen suchen, der für Unsicherheit und  ungesunden Perfektionismus zuständig ist.

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Auch wenn es in meinen bisherigen Posts vielleicht nicht durchgeklungen ist, ich bin wirklich froh, dass ich in dieser Schule gelandet bin. Die Leute dort sind die pure Herzlichkeit und Heiterkeit. Immer wird gelacht und gescherzt, dabei ist ihr Leben nicht leicht. Sie sind so schlecht bezahlt, dass sie teilweise auch noch an einer anderen Schule arbeiten, sie wohnen praktisch ohne Privatsphäre oft mit ihren Kindern und deren Kindern und sehen die Probleme im Viertel jeden Tag.

Und alle kümmern sich um mich. Als ich von meinen Schlafproblemen erzählt habe, hat mir Gustavo, vom Amucobu-Team, ein paar Blätter von einem bestimmten Baum einer Orangenart gepflückt und mir gesagt, wie ich einen Tee zubereiten kann, damit ich besser schlafe (es hat geholfen).

Brenda und Jorge, die Direktoren, betonen jeden Tag, dass ich mich nicht stressen soll und wenn ich ihnen nur ein paar Wörter beibringe, sei das schon ein Erfolg.                    Sie versorgen mich mit Nicaslangwörtern und einigem schmutzigen Vokabular, und freuen sich wie die Kinder, wenn ich diesen Wortschatz anwende.                                                Ich darf dabei sein, wenn sie Geburtstag feiern mit viel Rum und Gitarrenmusik und schönen alten Liedern über Frauen und die Revolution; und wenn sie wichtige Themen besprechen, zum Beispiel, wenn sie eine Reflexionsgruppe für Drogenabhängige im Viertel gründen wollen.

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Das Team von Amucobu ganz konzentriert beim Workshop zur Gründung einer Reflexionsgruppe. (Tanja vorne, von hinten nach vorne: Brenda, Gustavo, Maria, Fátima und Esmeralda)

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Von Links nach Rechts: Brenda, Gustavo, Maria, Esmeralda und Jorge.

Esmeralda, die Chefin der Schule und des Projektes, lädt mich zum Essen ein, obwohl sie selber keineswegs viel Geld besitzt, nur weil sie eine leitende Position inne hat. Und sowohl sie als auch Brenda haben mir angeboten, dass ich bei ihnen wohnen kann, damit ich mehr Gelegenheit habe Spanisch zu reden und das Barrio Walter Ferrety sowie die Kultur richtig kennenlernen kann.                                                                                        Am Dientag werde ich mit Brenda einen Ausflug durchs Barrio machen und mich dann entscheiden, ob bzw. wie lange ich zu einer der beiden ziehe. Im Moment wohne ich ja im relativen Luxus, den man in Nicaragua auch haben kann. Bei meiner quasi Schwägerverwandtschaft Martina und Mesfin gibt es einen Tank falls mal das Wasser ausgeht, luftige Hausstruktur mit kleinem Garten und Hängematten, Internet, Kühlschrank und außerdem wohnen wir in einer sicheren Gegend wo ich mich tagsüber problemlos bewegen kann. Aber sobald ich daheim bin kriege ich nur wenig vom Leben der Nicas mit – zumindest nicht von der Innenperspektive. Natürlich haben die NGO-Mitarbeiter, die ich durch die beiden zahlreich kennenlerne, auch sehr viele spannende Geschichten über ihre Arbeitserfahrungen hier zu erzählen. Viele sind desillusioniert, manche haben sich verliebt, einige werden länger bleiben, alle haben sie ihren Perfektionismus abgelegt. Alle!

Aber meine Zeit ist so kurz und ich hab noch soviel vor hier!

Wohnen unter dem Mangobaum:

K800_IMG_6299 K800_IMG_6296  K800_IMG_6284 K800_IMG_6297 Die Straße in der ich wohne K800_IMG_6276 Ein Gecko – meine Lieblingshaustiere K800_IMG_6278 Beim MangopflückenK800_IMG_6277 K800_IMG_6281 Die Ernte

Einen Schritt zurück

Das war eine schwierige Woche für mich. Gleich am Montag hatte ich einen totalen Einbruch, der mich ziemlich viel Kraft und Mut gekostet hat. In einer Unterrichtsstunde ging so ziemlich alles schief, was schief gehen kann. Auf einmal – im Angesicht des puren Chaos und Kontrollverlustes – habe ich sogar die Sprache buchstäblich verloren, so dass eine übereifrige Schülerin mein Gestottere in „richtiges“ Spanisch übersetzt hat: „Die Lehrerin sagt: Ihr sollt euch hinsetzen!“ Selten habe ich mich so hilflos und gedemütigt gefühlt.
Dazu kamen all die Frustrationen. Es ist frustrierend, soviel nicht zu verstehen. Es ist frustrierend, mich nicht ausdrücken zu können. Und nicht immer zu wissen was gerade vor sich geht. Es ist anstrengend, aufzufallen wie ein bunter Hund. Schlafmangel, Hitze und Staub tun ihr übrigens, ich war wahnsinnig erschöpft.
Nach einer Woche grübeln, denke ich, dass ich die Lektion verstanden habe: ich kann nichts erzwingen (weder, dass ich schneller Spanisch lerne, noch, dass ich hier jetzt auf einmal den Wahnssinnsunterricht absolviere). Ich muss wohl den Dingen ihren Lauf lassen.

Nachdem es mir wirklich sehr schlecht ging am Montag, habe ich für den Rest der Woche nicht mehr unterrichtet, sondern beobachtet und gelernt:

1. Chaos ist Programm

Ich habe großen Respekt vor den LehrerInnen im „Colegio Solidario entre los Pueblos“. Abgesehen von der großen Anzahl an SchülerInnen in einer Klasse, müssen sie auch noch mit völlig begrenzten Mitteln zurecht kommen. Stimme und Tafel sind die einzigen Übermittlungsmedien. Es gibt keinen Drucker um Übungszettel zu verteilen, nur eine Klasse hat Strom um z.B. einen CD-Player anzuschließen, die meisten Kinder haben keine Schulbücher, weil die Eltern dafür bezahlen müssen und auch sonst kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle SchülerInnen Buntstifte, Schere, Kleber oder ähnliches besitzen. Keine unwesentlichen Utensilien in Vor- und Volksschulen.
So muss die Lehrerin beim Basteln von einem Schüler zum nächsten um Klebstoff für die Bastelaufgabe zu verteilen, was zur Folge hat, dass ungefähr 5 Kinder arbeiten, während die anderen 45 warten und irgendetwas anderes machen, das nichts mit dem Unterricht zu tun hat. Natürlich ist der Unterricht daher besonders bei den kleinsten, sehr chaotisch.
„Ay, Ay, Ay, chico!“ ist da noch der mildeste Ausdruck, denn man braucht um die Meute zur Aufmerksamkeit zu ermahnen.
Aber die Lehrer bleiben cool, was sollen sie auch tun? Sie machen ihr Ding und versuchen das Chaos in einem gemäßigten Grad zu halten, ob alle Kinder mitmachen liegt nicht in ihrer Macht.
Trotzdem, um mich für die nächsten Stunden zu wappnen, habe ich meinen Spanischunterricht diese Woche vor allem dazu genützt, sämtliche „Tu das“/“Tu das nicht“-Imperative zu lernen.

2. Tranquilo! – Alles nicht so tragisch

Während ich mich schuldig gefühlt habe, dass die Kinder nun eine Woche lang keinen Englischunterricht haben, ist es in Wahrheit nur halb so schlimm. Ohne mich würde es überhaupt keinen Unterricht geben und dann würde die Welt sich trotzdem weiterdrehen.
Es war der Vorschlag der Direktorin und des Vizerektors, dass ich vorerst einmal nur hospitiere. Schön wäre natürlich gewesen, wenn sie das auch an die anderen Lehrenden und den Kindern weitergeleitet hätten, aber irgendwie sind große Ankündigungen und Klarstellungen ihre Sache nicht. Weshalb ich auch eine Woche lang gefühlte tausendmal erklären musste, warum ich einfach nicht zu meiner eigenen Englischstunde erschienen bin.
Mir war das natürlich furchtbar unangenehm, aber überraschenderweise hat mir niemand diese Verwirrung übel genommen. Es wird akzeptiert wie es ist, niemand regt sich auf, „tranquilo, tranquilo“ – stattdessen wurde mir – sowohl von den Kids, als auch von den Lehrerinnen – unglaublich viel Herzlichkeit und Verständnis entgegen gebracht.

3. Lass dir helfen!

Die Direktion hat mir ein Treffen mit dem ehemaligen profesor de inglés organisiert hat, der zwar kaum Englisch spricht, dafür aber umso besser weiß, wie man in Nicaragua einen Unterricht effektiv plant und auf was man achten muss.
Ich muss zugeben: Ich hatte keine Ahnung!
Walter (kein ungewöhnlicher Name für einen Nica, denn von russischen über Hollywood- bis zu Fantasienamen ist wirklich alles dabei) ist eigentlich Mathematiklehrer, aber EnglischlehrerInnen sind rar – besonders wenn die Schule in einem so armen und verrufenen Viertel liegt. So hat Walter diese Aufgabe übernommen, bis es ihm aufgrund seines Studiums nicht mehr möglich war.

Gemeinsam haben wir den Unterricht für die nächsten Stunden vorbereitet und dank seiner Hilfe fühle ich mich bereit, nächste Woche wieder zu unterrichten.

4. Hab Spaß!

Die kommende Woche werde ich dazu nützen mir wieder zu verinnerlichen warum ich eigentlich da bin, nämlich um mich auszuprobieren, um Neues zu lernen, um Spaß zu haben und mich eben genau nicht zu stressen. Am Tag meines kleinen Nerven Zusammenbruchs hatte ich das schon wieder vergessen. Ich muss niemanden blenden, ich muss nichts beweisen, ich darf einfach Freude an meinen Aufgaben haben und das Privileg genießen, hier sein zu dürfen. Spaß kann man nur haben, wenn man nicht alles so ernst nimmt und vor allem in dieser Hinsicht,  kann ich mir einiges von den Nicas abschauen.

Aber davon ein andermal mehr.

Der Weg ist das Ziel, aber das Ziel ist auch nicht schlecht… Teil 1

Wenn man von der Hauptstadt Nicaraguas, Managua, in die Stadt Bluefields an der Atlantikküste möchte, kann man auch fliegen. Aber Flüge sind relativ teuer und wer wirklich verstehen möchte, wie die Menschen in einem Land leben, dem ist zu empfehlen, das billigste Transportmittel zu wählen: den Bus. Zum Beispiel kostet die Fahrt zu meiner Schule mit dem sogenannten „Chicken bus“ (da die Passagiere oft wie Hendl hineingepfercht sind) umgerechnet 30 Cent.

Wenn man also den Bus nimmt, kreuzt man Nicaragua von links nach rechts, allerdings nur bis zum Ort El Rama, ab dort wird die asphaltierte Straße von einem Flussweg abgelöst. Bis vor kurzem war der Rio Escondido („Versteckter Fluss“) die einzige Verbindung nach Bluefields. Mittlerweile gibt es eine Schotterstraße, die durch den dichten Dschungel führt. Auf dem Strom des Escondido fährt man mit kleinen, offenen Booten, Pangas, den kurvigen Fluss entlang bis er ins karibische Meer mündet und man an den Hafen Bluefields gelangt.

Meine fünf Reisegefährten (Stefan, Martina, Mesfin, Petra und Josef) und ich stehen um zwei Uhr morgens auf und fahren mit Taxis zum Busbahnhof, um den Chicken-Bus um 3 Uhr zu nehmen. Wir kommen extra etwas früher, um uns Sitzplätze zu sichern.

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Es gäbe auch einen späteren Überlandbus, der einen direkteren Weg gefahren wäre, aber die begehrten Tickets (die man erst einen Tag vor Abreise kaufen kann) waren sofort weg. So müssen wir die langsamere Variante nehmen, einmal umsteigen und folglich auch früher los, um rechtzeitig bei der Panga in El Rama zu sein.

Wir hoffen, dass wir während der Busfahrt etwas schlafen können. Doch diese Hoffnung wird jäh zerstört, als sich der Bus in Bewegung setzt und der Fahrer volle Lautstärke Technomucke aufdreht, die bald von christlichen Liedern, die wie Liebesschnulzen klingen, abgelöst werden. Vor, nach und während jedem Stopp lehnt sich der Schaffner des Buses aus der Tür und ruft im Stakkato „Ramaramarama“ und VerkäuferInnen strömen in den Bus und bieten ihre Waren an: Kochbananenchips, Säfte und Wasser in Plastiksäckchen, frisch aufgeschnittene Fruchtplatten, Tennisballgroße Kokoskugeln, Backwaren und Cashewnüsse. Martina warnt uns den Versuchungen zu widerstehen, schließlich sind wir acht Stunden unterwegs und eine Klopause ist nicht garantiert.       Auch während der Fahrt versucht ein junger Mann Geschäfte zu machen. Eine halbe Stunde preist er wie ein gelernter Fernsehverkäufer seine Waren an: Scheren und Messer bester Qualität, Kleiderbügel, praktische Löffel zum immer dabeihaben, Zuckerl gegen Husten in verschiedenen Geschmacksrichtungen und 1A Kugelschreiber. Stefan kauft ihm einen Kuli mit integriertem Kalender ab.

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    Wie sich herausstellt gibt es doch eine Pause in der unser Busfahrer und sein Assistent schnell ein Hähnchen verspeisen.

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Die in Zungen reden

In Juiagalpa müssen wir umsteigen, nur knapp erwischen wir unseren Anschluss nach El Rama. Der zweite Bus ist zwar bequemer, dafür versucht der Bus-Chauffeur leider seine Fahrgäste zu missionieren bzw. zu exorzieren: Eineinhalb Stunden hören wir in ohrenbetäubender Lautstärke die Lifeaufnahme des Gottesdienstes einer Pfingstkirche, der eine Mischung aus Teufelskult, Popkonzert und Hasspredigt ist. Die amerikanischen Pfingstbewegungen, evangelikale Sekten, die unterschiedlichste Ausformungen haben, erfreuen sich wachsender Beliebtheit in Nicaragua. Vor allem die Glaubensrichtung Assemblies of God ist populär. Ihre Predigt-Shows wirken besonders faszinierend auf die Menschen, die oft in Gegenden leben, wo es keine oder wenig kulturelle Unterhaltung wie Theater, Musikkonzerte oder Kino gibt. Der Prediger in der Aufnahme scheint dieser Richtung anzugehören.

Martina übersetzt für uns seine hysterische Rede. Er beschwört seine Gemeinde, dass nicht Gott, sondern der Teufel schuld daran ist, dass die Menschen arm sind und dass jene, die auf Gott vertrauen und der Kirche das Geld geben, am Ende mit Geld überhäuft werden. Er droht, dass es jenen, die sich von der Kirche abwenden, schlecht ergehen wird. Zwischendurch aber versteht selbst Martina, trotz ihres perfekten Spanischs, überhaupt nichts mehr und Mesfin erklärt ihr, dass der Prediger immer wieder „in Zungen spricht“, also einfach irgendetwas dahinbrabbelt, damit die Leute glauben, er wäre vom Heiligen Geist erfüllt. Mesfin kennt das von den Predigern in Äthiopien, die es genauso machen und er vermutet, dass die alle in die gleiche Schule gehen.

Es ist eine riesige, wilde Performance und die Leute in der Aufnahme klatschen und johlen. Ich versuche mich auf die schöne Landschaft zu konzentrieren, schließlich ist es mittlerweile hell geworden, aber es will mir bei dem extatischem Geschrei des Predigers nicht ganz gelingen.

Als die Aufnahme endlich zu Ende ist bittet der Assistent des Busfahrers um eine Spende für die Kirche. Nein danke, ich habe kein Interesse daran von Gott mit Geld überhäuft zu werden. Wenn er soviel davon hat, soll er es gefälligst besser verteilen.

In El Rama müssen wir auf den Seeweg wechseln. Da wir den Hafen nicht sofort sehen, drehen wir eine Ehrenrunde mit den Motorradtaxis („caponeras“), die sich spontan ein Wettrennen liefern. Der Fahrer lacht laut auf, als mir ein kleiner Angstschrei entfährt, als er einen steinigen Abhang hinunterprescht um „eine Abkürzung“ zu nehmen.

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    Die Busse in Lateinamerika sind meist ausrangierte amerikanische Schulbusse und werden von ihren Besitzern herrlich bunt verziert und geschmückt.

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Eine Bootsfahrt die ist ruppig…

Die 20-sitzige Panga fährt erst wenn alle Plätze voll sind, ein Problem das ich bisher noch nicht erlebt habe – eher wurden die Boote mit zwei, drei Passagieren mehr überladen. Im Gegensatz zu den Bussen, sind Pangas jeddoch nicht billig, denn sie brauchen sehr viel Sprit und umweltfreundlich sind sie natürlich auch nicht, aber ohne die kleinen Schnellboote kommt man nicht weit.
Wer sich eine gemütliche Bootsfahrt vorstellt liegt falsch – bequem ist es definitiv nicht – schon gar nicht, wenn es regnet und man mit einer Plastikplane abgedeckt wird. Dafür bekommt man ein sehr authentisches Reiseerlebnis und lernt nach einigen Fahrten auch, das vorne sitzen ruppiger ist, man hinten dafür nasser wird.

Im Boot bekommen wir Schwimmwesten und rüsten uns mit warmen Jacken und Schals aus, denn gleich wird der Fahrtwind ziemlich stark und kalt.

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Eineinhalb Stunden rasen wir über die Wasserstraße durch den Dschungel vorbei an den Mangrovenbaumwäldern, die eine wichtiger Teil des lokalen Ökosystems sind. Unsere Pässe haben wir wasserdicht verpackt, nur für den Fall, dass das Boot kentern sollte, weil der Fahrer eine Kurve zu scharf nimmt. Doch der Kapitän bringt uns sicher in die kreolische Hafenstadt, die nach dem holländischen Piraten Abraham Blauvelt (d.h. Bluefields) benannt wurde.
In 12 Stunden und mit fünf Transportmitteln haben wir eine Strecke von ca. 315km zurückgelegt und dabei nicht mehr als 20 Dollar pro Person ausgegeben.
Viel pausiert wird aber nicht, denn es gilt die Stadt und seine multi-ethnische und multi-linguale Bevölkerung zu entdecken.

Fortsetzung folgt…