Ay, que calor, que calor, que calor! It’s summertime in Centralamerica! Furchtbar heiß war es zwar die letzten Monate auch schon, aber erst zur Semana Santa, zur Osterzeit, gibt es das, was man bei uns Sommerferien nennt – wenn auch nur für eine Woche. Während Semana Santa steht ganz Lateinamerika Kopf, nicht nur wegen der Hitze. Neben Urlaubsplänen und Verwandtenbesuchen, ist diese Woche ein katholisches Spektakel das am Palmsonntag beginnt und mit dem wichtigsten Datum, dem Auferstehungs-Sonntag endet. Spätestens am Mittwoch legen die meisten Menschen ihre Arbeit nieder. Jene die es sich leisten können fahren an den Strand oder an die Vulkanlagunen, viele andere gehen in die Kirche und sehen sich die täglichen Prozessionen an.
Das Herzstück der Prozessionen sind die großen ausgiebig geschmückten Holzbühnen („Andas“) die den Leidensweg Jesu Christi darstellen. Seine Figur, gebeugt unter der Last des Kreuzes, ist zentral in fast jeder Prozession. Die Plattformen werden stundenlang auf den Schultern der Büßer, den sogenannten „Cucuruchos“, durch die Gegend getragen. Auch Frauen und ältere Mädchen tragen einen kleineren Anda, der die Figur der Jungfrau Maria präsentiert – sie werden „Cargadoras“ oder „Dolorosas“ genannt. Da die Andas sehr schwer sind (manche bis zu 3150kg) wechseln sich die Träger regelmässig ab.
Die Träger und Trägerinnen tragen für den jeweiligen Anlass die passenden Kostüme – z.B. Männer lange, lila Kutten mit lustigen Kapuzen, Frauen weiße und schwarze Trauerkleidung.
So wie bei uns der Osterhase mitmischt (den man hier nur in den für einen westlichen Markt ausgerichteten Englischbüchern zu sehen kriegt), sind auch in Lateinamerika spanische Tradition mit heimischen Bräuchen und Symbolen vermischt. Jede Region und Stadt hat ihre Eigenheiten im Ablauf der Feierlichkeiten. So finden in Granada die Prozessionen zu Wasser statt, zwischen den verschiedenen Inseln des Nicaraguasees und für Domingo de Resureccción (Ostersonntag) wird empfohlen nach Niquinohomo zu fahren, wo die Prozession am schönsten sein soll, zumindest was Nicaragua betrifft.
Je nach Größe der Gemeinden und Städten unterscheidet sich das Ausmaß der Prozessionen. Viele sind begleitet von Musikkappellen, die Begräbnismusik spielen. Auch in den Kirchen ist die Geschichte der Passion Christi in aufwendigen Figuren und Installationen ausgestellt. Neben dem Farb-Staub, dient auch Obst, Gemüse und Gebäck zur Gestaltung aufwändiger Gemälde.
Ein weiteres Highlight sind die bunten Teppiche (Alfombras) auf den Straßen, die von den Anrainern aus gefärbtem Sägemehlstaub gemacht werden und sich manchmal über mehrere Häuserblocks ziehen. Vergängliche Kunstwerke die solange bestaunt werden können, bis die Prozession über die Straßengemälde schreitet und die Ritzen der Straßen mit bunten Überresten färben.
Alfombras in Guatemala City:
Der fröhliche Palmsonntag, der die heilige Woche einleitet, unterscheidet sich stark vom Rest der Woche, in dem es um Schmerz, Opfer und Tod geht. In „meinem“ Barrio Walter Ferrety ritt ein Kind als Jesus verkleidet, mit langen Bart und rotem Mantel, auf einem geschmückten Esel durch die Gassen des Viertels. Menschen mit Palmzweigen begleiteten den Zug und riefen „Viva Christo el rey! Viva! Viva!“. Voran gingen Männer, die Kracher in die Luft schoßen – man konnte die Knallgeräusche schon seit den frühesten Morgenstunden in ganz Managua vernehmen – und eine Musikkappelle hinterdrein.
Procesión de la Burrita – Prozession des Eselchens
Wer nicht von Anfang an dabei ist, sondern versucht den Umzug, während dieser im Gange ist, zu erwischen, kann sich schnell im Wirrwarr der Straßen verlaufen. In den kleineren Vierteln ist die Route nicht publik, wie in den größeren Gemeinden. Gerüchte, wo sie vorbei laufen könnte gibt es genug. Esmeralda hat gemeinsam mit den Kindern ihr Haus mit Palmzweigen und Luftballons geschmückt, fest davon überzeugt, dass die Prozession hier vorbeiziehen wird. Später wird sie ganz enttäuscht erzählen, dass sie nichts gesehen haben. Gustavo und ich fragen die Leute auf den Straßen, ob sie die Prozession gesehen haben. Eine alte Frau versichert uns, wir sollen hier bei ihr warten, sie sei genauestens informiert, nachdem sie letztes Jahr fast einen Herzinfarkt erlitten hatte, weil sie der Prozession hinterhergelaufen war, ohne sie jemals zu erwischen. Man könnte meinen, so eine Prozession bewege sich sehr langsam, aber ihr Zickzack-Kurs und oft auch die Massen an Menschen, die sich in den Straßen drängen, stellen eine Herausforderung da. Die Straßen Walter Ferretys sind jedoch relativ leer, hierher kommen keine Touristen aus In- und Ausland um das Spektakel zu sehen, wie es der Fall in León oder Granada ist. Mich natürlich ausgenommen.
Doch die Kirche, in der die Prozession mündet und die sich unter zwei großen Mangobäumen befindet ist voll. Nach und nach bringen Helfer mehr weiße Plastikstühle, damit jeder bequem sitzen kann, wie der Pfarrer betont.Welch Ironie, dass man in katholischen Gottesdiensten dann doch erst meiste Zeit steht. Der Gottesdienst unterscheidet sich nicht allzu sehr von europäischen Gottesdiensten – auf die katholische Kirche kann man sich in dieser Hinsicht verlassen. Nur die revolutionär anmutenden „Viva Christo – Viva el rey“ – Rufe und die Tatsache, dass während des Gottesdienstes Kracher abgeschossen werden, weichen etwas von der Norm ab.
Der Pfarrer ermahnt die Kirchgänger, dass Semana Santa nicht Strandurlaub bedeutet, sondern Besinnung auf die wahre Bedeutung des Todes und der Auferstehung Jesu. Dabei werden die Kirchen Nicaraguas dieses Jahr eine deutlich höhere Besucherzahl verzeichnet haben, da viele wegen der Erdbeben und andauernder Alarmstufe rot, es vorgezogen haben, daheim zu bleiben. Zwar wurde keine Tsunami-Warnung ausgegeben, aber die konstanten Erdbewegungen über mehrere Tage hinweg, haben uns alle ganz schön in Atem gehalten. Auch jetzt, die Woche nach Semana Santa, blieben die Schulen aus Sicherheitsgründen zu.
Im armen Viertel Walter Ferrety jedenfalls, können sich die meisten Menschen sowieso nicht leisten mit ihren Familien an die naheliegenden Strände zu fahren, stattdessen geht man zum nächsten Nachbarn, der sich ein Plastikplanschbecken gekauft hat, und nimmt an den kirchlichen Feierlichkeiten teil, die ein Anlass sind, dass die Leute zusammenkommen.
Ich persönlich hatte eigentlich nicht direkt vor, die religiösen Feierlichkeiten rund um Semana Santa näher zu verfolgen. Stattdessen wollte ich die Zeit nutzen um nach Guatemala zu reisen. Aus gesundheitlichen Gründen konnte ich Nicaragua erst fünf Tage später als geplant verlassen. Zuerst von meinem Pech (bzw. meiner Dummheit Leitungswasser in irgendeinem Dorf zu trinken) verärgert, war es rückblickend gut so wie es gekommen ist. So bekam ich die Gelegenheit den ersten Teil der Semana Santa im erdbebengebeutelten Managua und den zweiten in Guatemala zu verbringen – und dort, selbst wenn ich gewollt hätte, war es unmöglich denn Prozessionen aus den Weg zu gehen. Wäre auch schade gewesen, wenn ich das verpasst hätte.
Mittwochs Prozession in Antigua:
Donnerstags Prozession in der Altstadt Guatemala Citys:
Gespanntes Warten und geschäftiges Treiben vor der Prozession
Nach einer längeren Jagd durch Seitengassen und Massenansammlungen, haben wir doch noch einen Blick auf die Prozession erhascht.
Freitags Prozessionen während unserer Fahrt zum See Atitlán:
Bei der Kreation eines Alfombras
Prozession am Samstag in Panajachel:
Und, europäisches Ostern mit neuen Freunden:
Eugenia kommt aus Litauen und ist der Liebe wegen in Guatemala. Hier weist sie ihre lateinamerikanischen Freunde in die Tradition des Eierfärbens ein.
Ostersonntags-Frühstück mit selbstgefärbten Eiern mit Eugenia und Johnathan
Das ganze religiöse Programm
Am Ostersonntag hatte ich schließlich das Kontrastprogramm. Aus Interesse habe ich Eugenia, meine Gastgeberin in Guatemala, in ihre Kirche begleitet, eine offene christlich-angelikale Gemeinde. In einem Raum ohne viel Schnickschnack, dafür mit runden Tischen auf denen Kerzen und Bibeln standen, sowie einem Buffet, an dem man sich während des Gottesdienstes bedienen konnte, wurde eine Messe abgehalten, die vor allem aus christlichen Liedern, die wie Popsongs anmuteten und einer Bibellektüre sowie Reflektion bestand („Was bedeutet es für dich persönlich, dass Jesus vom Tod auferstanden ist?“). Trotz der willkommenden Atmosphäre der hauptsächlich US-amerikanischen Gemeinde, konnte ich mich dennoch dem mulmigen Gefühl nicht entziehen, völlig fehl am Platz zu sein. Der viel direktere Draht zu Gottes Wort, der hier eingefordert wird, als würde er neben dir sitzen und dir verständnisvoll die Hand streicheln, ist schwieriger mit Agnostizismus zu vereinbaren, als die Rituale, den Kult und Prunk der katholischen Kirche in Lateinamerika, bei denen man auch als Atheist einfach mitstaunen kann. Ob nun Osterhase und Eiersuchen oder die Verehrung eines sterbenden Mannes am Kreuz – ich glaube, trotz aller Skepsis gegenüber Kapitalismus und Religionen, Rituale und Traditionen sind etwas Schönes und Erhaltenswertes. Dementsprechend groß war meine Freude darüber, in Guatemala Eier zu färben. Auf einmal ist man gar nicht mehr so weit weg von daheim.
2 Kommentare