Challenge: Nicaragua
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Managua im Ausnahmezustand

Die Ferien sind schon seit zwei Wochen zu Ende, aber die Schulen bleiben auf weiteres geschlossen. Die Alerta Roja (Alarmstufe rot) hält aus Sicherheitsgründen an. Angeblich ist die Erdbebengefahr noch immer zu hoch. Für die Nicas sind Erdbeben das Gesprächsthema Nummer 1, so wie man bei uns übers Wetter redet, nur dass die Menschen hier mit Angst erfüllt sind. Sogar über eine Verlegung der Hauptstadt wird bereits spekuliert.

In den letzten Tagen wurden immer wieder kleinere Beben rund um Managua gemessen, aber nichts vergleichbares mit den Erdbeben vor Semana Santa. Doch die Panik unter den Menschen ist groß, kaum ein Nica der die Entscheidung der Regierung, die Schulen zu schließen, nicht als richtig empfindet. Viele Häuser, vor allem auch Schulgebäude, sind sehr schlecht bzw. mit billigen Materialien gebaut und unter Managua liegen laut ExpertInnen 18 Bruchlinien, welche die Gefährlichkeit eines Erdbebens erhöhen könnten. Touristische Aktivitäten rund um Nicaraguas aktive Vulkane sind derzeit ebenfalls ausgesetzt.

Natürlich ist es auch interessant, dass in einem Land, in dem Erdbebengefahr eigentlich immer tendenziell besteht, so wenige Leute für den Ernstfall gewappnet waren. Erst nach den Beben haben die Menschen angefangen sich zu informieren wie man im Falle eines Erdbebens reagiert. Meine Schule etwa, hat vor einer Woche erstmals mit Eltern und Kindern im Viertel geprobt, was genau in einem Ernstfall zu tun ist. Fluchtwege und sichere Versammlungsplätze (ohne Strommasten und -Kabel in der Nähe) wurden festgelegt. Einen eigenen Alarmton gibt es allerdings noch nicht.

Auch die Frage, warum nach dem großen Erdbeben von 1972 nicht erdbebensicher gebaut wurde, drängt sich auf. Natürlich mag die turbulente politische Situation in den darauffolgenden Jahren, zumindest teilweise, eine Erklärung dafür sein, aber danach?

Und wie lange kann man eine Stadt im hypothetischen Alarmzustand halten? Für meine Schule ist diese Situation mittlerweile zu einer schweren finanziellen Belastung geworden. Das Colegio Solidaridad entre Los Pueblos ist eine Privatschule und auf das Schulgeld, das die Eltern beisteuern angewiesen. Doch nur wenige kommen und zahlen, jetzt wo die Schule geschlossen ist. Privat bedeutet leider nicht automatisch wohlhabend. Die Schuldirektion ist reich an Idealen, aber finanziell sind sie sehr eingeschränkt, daher gibt es auch noch immer niemanden, der den Englischunterricht übernehmen könnte, wenn ich in einem Monat gehe.

Vor allem meine Schüler und Schülerinnen tun mir leid, die gelangweilt in ihren heißen Häusern festsitzen. Bei uns in Europa wäre so eine Situation unvorstellbar, denn wer würde auf die Kinder schauen, wenn die Eltern in die Arbeit müssen? Doch hier gibt es meistens eine Tante oder Oma oder sonstige Verwandte, die sich um die Kinder kümmern können. Viele Eltern wollen ihre Kinder nicht einmal für eine Stunde aus den Augen lassen und so bleiben auch die gratis Angebote der Schule wie Tanzkurs oder Nachhilfe ungenutzt.

Die Nicas sind generell sehr beschützend gegenüber ihren Kindern (und generell allen, die sie lieb haben) und wollen sie am liebsten immer in ihrer Nähe haben, gleichzeitig beschäftigen sich die Erwachsenen aber eher wenig mit Kindern, zumindest so wie ich das von meinem familiären Umfeld kenne. Es wird nicht mit ihnen gespielt oder sinnvolle Anregung gegeben sich zu beschäftigen wie etwa Basteln, Zeichnen oder zu Spazieren. Auch gelesen wird sehr wenig in den meisten Haushalten (wie das in der Mittelschicht ist, kann ich nicht beurteilen). Ich kann mich nicht erinnern überhaupt schon einmal irgendjemanden hier mit einem Buch in der Hand gesehen zu haben – Schulbücher ausgenommen. In den ärmeren Vierteln gibt es keine bis wenige öffentliche Plätze wo Kinder und Jugendliche spielen oder Sport betreiben können. Was bleibt ist der Fernseher, der voller Nachrichten ist, die vor Gewalt nur strotzen, wo jedes grausliche Detail genauestens kommentiert und vor allem gefilmt wird. Wenig überraschend, haben die Medien auch kräftig dazu beigetragen, die Panik vor den Erdbeben zu verstärken. Am 10. April war das erste schwere Erdbeben, seit 15. April gab es praktisch keines mehr direkt in Managua, doch viele Leute schlafen weiterhin in den Vorräumen ihrer Häuser.

Auch ich bin nun in eine erzwungene Auszeit versetzt worden, wie lange dieser Zustand anhalten wird weiß niemand. Die Ankündigungen werden immer erst knapp vor Wochenbeginn herausgegeben. Aber mittlerweile bin ich ja gewohnt, dass alles oder nichts passieren kann.

 

 

 

 

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