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Vom Leben in einer kleinen Wohnung

Seit Monaten halten wir es schon nicht mehr aus in unserer Schuhschachtel von Wohnung, vertreiben uns die Zeit mit dem Durchstöbern von Wohnungsinseraten und klagen darüber, wie sehr wir doch unter unserem Platzmangel leiden.

Wenn wir Freunde besuchen, ist meist unser erstes anerkennendes Kommentar nicht ein Kompliment für die schöne Wohnung, die tolle Einrichtung oder coole Gegend – nein, es ist: „Wow, ihr habt so viel Platz, es passen sogar zwei Leute gleichzeitig ins Badezimmer!“. Ja, es braucht nicht viel um uns zu beeindrucken, aber wenn wir dann in unsere vier Wände zurückkehren, scheint es, als würden wir kaum mehr durch den engen Flur passen.

Es war mal unser wohliges Nest, jetzt ist es ein permanenter Stresstest.

Zwei Egos wie jenes von meinem Freund und mir auf 47 m² mal eine Wagenladung Chaospotenzial,  addiert mit der großen Unbekannten (woher kommt der Staub die ganze verdammte Zeit???), da kann man schon mal das Gefühl haben, die Decke falle einem auf den Kopf. Oder zumindest eines unseren vielen Kastl an der Wand.

Das ist leider gar nicht so unwahrscheinlich, schließlich haben wir so ziemlich jeden freien Platz unserer Wände mit Schränken vollgehängt, denn wo zwei Menschen über längere Zeit leben, häuft sich so allerlei Kraffel an. Eine Zeit lang gab es das beständige Streben nach Stauraum, doch irgendwann ist selbst das Kellerabteil voll (wir wollten es lange nicht wahrhaben). Es mag unheimlichere österreichische Keller geben, wir haben ihn nachdem wir seine Speicherkapazitäten wie eine CD-Rom ausgereizt hatten, trotzdem gemieden. Reine Vorsichtsmaßnahme.

Messi

 

Keine Minimalisten

Das Problem ist natürlich auch, dass mein Liebster und ich zum Horten neigen. Während ich alte Dinge aufbewahre, weil man sie vielleicht noch mal brauchen könnte (etwa unzählige halbleere Shampoofläschchen für den nächsten Urlaub,  oder alte aus dem Internet kopierte Mitschriften von Vorlesungen, deren Prüfung ich im Erstsemester bestimmt nie gemacht habe), liebt er es, Neues zu kaufen.

Onlineshopping sei Dank, verfügen wir über die Ausrüstung einer Profiküche, haben ein kleines Fitnesscenter inklusive Reformhaus daheim und können uns Eigentümer so fragwürdiger Produkte wie einer „Facial Sauna“ oder einem LIP Gerät nennen.

Dabei ist alles was wir wirklich brauchen, ein bisschen mehr Platz.

Aber Scheiden tut weh, und so kommt es, dass die teure aber trotzdem falsch gekaufte Druckerpatrone, Geschenke, die man nie leiden konnte (wohl aber den Schenker), DVDs von Lieblings-Filmen, die schon zum fünften Mal im Fernsehen liefen und peinliche T-Shirts (die aber eine Geschichte haben) nicht den Laufpass bekommen.

Da hilft nur: Flucht bzw. umziehen in eine größere Wohnung

Und da war sie nun: ein Schnäppchen, fast doppelt so groß wie unsere,  Altbau, erhaben, wie ein weites Weizenfeld im Sonnenuntergang. Wir vereinbarten eine Besichtigungstermin – schauen wird ja wohl noch erlaubt sein.

Dann in der inserierten Wohnung, überkam mich ein Gefühl wie im Burgenland – die Weite überforderte mich. Plötzlich sehnte ich mich in mein kleines, gemütliches Nest zurück.

Ich blickte auf die hallenartigen Räume mit ihren hohen Wänden und sah das Messi-Potenzial – wie viele Amazon-Ladungen, könnte man hier wohl unterbringen!?

Doch während ich in Gedanken anfing, die Wohnung mit einem zweiten Stock nur für Zeug und Plunder auszustatten, stiegen unangenehme Erinnerungen von mühsamen Umzügen hervor, all der Schweiß und die bitteren Tränen, und mir wurde klar: Auf keinen Fall werde ich irgendetwas, dass nicht absolut 100% mindestens wöchentlich in Gebrauch ist, mit umziehen.

Wir sind dann also nicht umgezogen. Aber wir misten aus, alles kommt auf den Flohmarkt, zur Caritas, auf willhaben.at oder in den Müll. Alles bis auf die Dinge, die man vielleicht noch einmal brauchen kann. Und jene, die ganz besonderen emotionalen Wert haben. Und alles, wofür wir doch viel zu viel Geld ausgegeben haben…

 

 

Babyneid

Uuuuuh, jetzt fangt es an. Überall ploppen die Babys raus, oder es beulen die Schwangerschaftsbäuchlein aus den Wintermänteln – auch in meinem Freundeskreis wird gebastelt und gebrütet.

Früher sprachen meine Freundinnen und ich über Verhütungsmethoden und beruhigten gegenseitig panische „Oh-Gott-ich-glaube-ich-bin-schwanger-mein-Leben-ist-vorbei“-Anfälle (die immer unbegründet waren), heute führen wir schon mal ausführliche Diskussionen über Babynamen und so manche jammert über ihre schlechte Haut, die nach Absetzen der Pille wie ein Zombie aus der Pubertät zurückgekehrt ist.

Aber nicht unter Pärchen wird der Druck von Enkel-gierigen Eltern erhöht, auch bei den Singles macht sich die Torschlusspanik breit. Auf einmal ist niemand mehr auf der Suche nach Spaß, so scheint es, alle wollen plötzlich die wahre Liebe. Man merkt: die biologische Uhr tickt.

Das war nicht mehr zu verleugnen als heuer zum Jahreswechsel, in der Euphorie des mitternächtlichen Raketenschauers und bei alkoholgetränkten Sentimentalitätsfaktor 100, eine aus unserer stark Pärchenlastigen Feier-Runde lauthals verkündete: „2015 wird das Babyjahr!!!“

Und zumindest insofern mag das stimmen, denn vor ein paar Tagen bin ich zum ersten Mal „Quasi-Tante“ (weil nicht mal angeheiratet, mon dieu) geworden. Es dauerte keine drei Sekunden: Als ich das kleine Würmchen in den Armen hielt, hatte ich mich schon verliebt und den Rest des zweitägigen Besuches damit verbracht jede Regung, meines vor allem mit schlafen beschäftigten Neffens genauestens zu beobachten, damit mir auch kein entzückendes Gähnen und hinreißendes Zucken mit den kleinen Händchen mit den Titzibitsy Fingernäglein entging.

Ich löste meinen entrückten Blick nur gelegentlich um meinem Freund, der aus sicherer Entfernung Gelassenheit markierte, einen erwartungsvollen „Na? Ist das nicht das Süßeste auf der ganzen, weiten Welt?“ -Blick  zu zuwerfen. Er reagiert nicht wie erhofft: Wenn Verunsicherung und Panik ein Gesicht hätten, so hätte es ausgesehen.

Innerhalb von wenigen Millisekunden teste ich also meine Optionen ab und es sah schlecht aus. Mein Auserwählter fühlte sich sichtlich wohler damit, die Katze anstatt den Familienzuwachs zu hoppern. Wie oft ich auch versuchte ihn umzustimmen („Willst nicht mal halten? Sooo liiiieb“), seine Begeisterung hielt sich in – für einen Onkel angebrachten – Grenzen.

Nur der Fakt, dass er also Tiere mag, bleibt mir noch als Beweis dafür, dass er kein Herz aus Stein hat, obwohl er bei so einem entzückenden Anblick nicht sofort Babys machen möchte.

Aber vielleicht war das obsessive Katzenstreicheln ja auch nur Taktik um mich, als alte Allergikerin, mit all den so gesammelten Katzenhaaren für die nächsten Tage fernzuhalten und zu hoffen, dass das Babyfieber bald wieder vergeht.

Vielleicht ist es ja nur Babyneid

Aber da muss er sich eh keine Sorgen machen. Spätestens als wir zurück kehrten, in das Chaos unserer Wohnung, wo noch das schmutzige Geschirr vom Wochenende steht, ich über einen Supernintendo und leere Bierflaschen stolpere, meine Pflanzen mich vorwurfsvoll anstarren, weil ich schon wieder vergessen habe, sie zu gießen, und mich die Frage „Was soll ich um alles in der Welt bloß essen?“ überfordert, kehrt auch der Realitätssinn wieder ein.

„Ich muss erst mal mein eigenes Leben auf die Reihe kriegen, bevor ich neues in die Welt setzte „, erklärt er mir entschuldigend. Da hat er ja Recht. So viele Baustellen (Studium, Job, Wohnung), so viele Pläne (irgendwann muss sich ja die Weltreise noch ausgehen) –  es wäre völlig verrückt jetzt ein Baby zu kriegen!

Ich hoffe nur der Zeitpunkt, wenn es dann endlich soweit ist, schreit laut „hier bin ich“, sonst könnte es sein, dass wir ihn vor lauter Baulärm noch überhören.

Vorsatz

Einmal fair und nachhaltig leben – Eine Bilanz

Neuanfänge geben Hoffnung auf Veränderung. Alles wird wie neu sein! Es ist ein kleines bisschen so, wie wenn man sein Leben auf Re-start stellt, um diesmal alles besser zu machen. Eine neue Chance. Was gibt es Besseres? Deshalb also…Neujahrsvorsätze.

Leider ist Veränderung kein Sonntagsspaziergang und so begibt es sich, dass einem mit fortschreitendem Alter die Vernunft leise zuflüstert:

„Deine dämlichen Vorsätze sind für’n Hugo, du Heuchlerin

Den Rutsch ins neue Jahr habe ich heuer trotzdem bravourös gemeistert, weil ich mich zum ersten Mal strickt an meinen Pre-Jahreswechsel-Vorsatz gehalten und Sekt wie Ausschlag gemieden habe. Dabei hatte ich mir ja eigentlich vorgenommen, keine Vorsätze mehr zu machen, denn ich bin furchtbar schlecht darin sie einzuhalten. Das ist verwirrend. Selbst wenn ich mir vornehme, mir nichts vorzunehmen, nehme ich mir insgeheim ja doch was vor. Aber egal.

Wovon ich eigentlich sprechen wollte, war über einen Vorsatz, den ich schon 2013 gefasst hatte, nämlich: nachhaltig und fair zu leben. 

Jetzt erstmal ein besserer Mensch zu werden 

Meine Kleidung stinkt nach Ausbeutung und verpesteten Flüssen, in meinem Laptop stecken Kriegsgüter, mein Einkaufsverhalten baut auf Sklaverei, Verschwendung und Kurzsichtigkeit auf. Und für mein Essen leiden Tier- und Umwelt. Wir alle wissen, dass es so ist, aber wie Deichkind schon sangen:

„Kleine Kinderhände, nähen schöne Schuhe, meine neuen Sneakers sind leider geil.“

2013 sollte sich das alles  ändern.  Ich hatte gerade mein Masterstudium abgeschlossen und brauchte etwas Neues, dass mein Leben ausreichend verkompliziert. So beschloss ich kurzerhand ab jetzt fair und umweltbewusst zu leben. Ich wusste, dass es nicht leicht werden würde, in einer Welt, in der Konsum als Lösung aller Probleme angeboten wird, aber ich hatte ja keine Ahnung wie schwierig es wirklich ist. 

 Hier ist meine Geschichte. Möge sie euch allen Befriedigung und Genugtuung geben, die ihr mir sagtet: „Irina, du übertreibst es schon wieder.“

Fair leben – Vorstellung vs. Realität

– Vorsatz 1: weniger Müll produzieren

Vorstellung:

Eine plastikfreie, solarbetriebene Welt. Dinge werden repariert statt weggeworfen, sogenannte „geplante Obsoleszenz“ (vor allem in Druckern und MP3-Playern) entlarvt und diese Produkte strickt gemieden, statt Unmengen an unterschiedlichen Hygieneartikel in lauter kleinen Plastiktuben und Tegeln werden nur mehr ein paar wenige Seifenprodukte und große Nachfüllpacks verwendet, das Jutesäckchen immer dabei wird auch beim Einkauf Müll vermieden.

Realität:

Man merkt erst wie viel Müll man wirklich täglich produziert. Essens-Bestellungen werden damit praktisch unmöglich ( Sushi ohne Stäbchen??), das Jutesäckchen erscheint einem wie ein Hohn angesichts der dreifach verpackten Artikel, die übers Kassenband laufen, zum Reparieren braucht man handwerkliches Talent und vor allem meist mehr Geld als für einen Neukauf ditto beim Kauf von Produkten, die einem wirklich drei Jahre Qualitätsgarantie bieten. Und die Öko-Seife macht deine Haare nun mal nicht so schön geschmeidig wie das Shampoo im Minifläschchen vom Friseur. Spätestens als du die die Müllpolitik anderer Länder (drop it like its hot, drop it like its hot) wieder ins Gedächtnis gerufen kriegst oder siehst wie im Berufsalltag Papier verschwendet wird, heißt es Kapitulation und dir bleibt nur mehr das schlechte Gewissen, wenn du an einem Baum vorbei gehst.

+ Trotz teureren Anschaffungskosten – Langfristig gesehen spart konsequente Müllvermeidung Geld.

– Viel Vorausplanung nötig, nichts für die Chaoten unter uns.

– Vorsatz 2: Nicht bei menschenverachtenden und preisdrückenden Riesen wie Amazon und Zalando bestellen

Vorstellung:

Ab jetzt nur mehr in kleinen Geschäften mit netter persönlicher Betreuung einkaufen und damit Arbeitsplätze sichern.

Realität:

Man erkennt, dass im Internet einkaufen THE DREAM ist und man gut und gerne auf weniger Auswahl, Warteschlangen, nach Schweiß stinkende Kabinen oder den Druck von übermotivierten VerkäuferInnen verzichten kann.

+ Man kauft generell weniger ein, außerdem ist dieser Vorsatz am leichtesten umsetzbar.

– Vorsatz 3: Nur fair produzierte Kleidung kaufen

Vorstellung:

Du triffst deine Kaufentscheidungen ab jetzt bewusst und erwachsen. Massenmode a la H&M und Zara sind Geschichte, dafür bist du in lässiger Second Hand Mode gekleidet und strahlst aus deinem Inneren aufgrund deines guten Karmas. Deinem gutem Beispiel folgen die Menschen in deinem Umfeld und gemeinsam löst ihr eine Welle des Umbruchs aus, dem sich die Großkonzerne nicht mehr entziehen können.

Realität:

Spätestens nach einem halben Jahr läufst du wie eine Sandlerin herum, weil du deine alten Billig-Teile bis zum Zerfallen aufträgst. Löcher und Flecken müssen hingenommen werden, denn die Alternativen lauten:

a) Unleistbare Fair-Trade-Läden, wo ein Paar Socken schon dein Monatsbudget ausreizen würden.

b) In Wiens Second Hand Läden für eine durchlöcherte Jacke mehr als im Firts-Hand-Geschäft zahlen, weil es ja so retro ist.

c) An deinem freien Tag früh aufstehen um noch etwas Brauchbares auf Flohmärkten zu ergattern (no way).

d) dich bei Hipster-Events wie „Mondscheinflohmärkte“ und Fesch’Markt Stunden lang anzustellen um dann Kompromiss-Käufe zu tätigen, weil du ja jetzt schon mal da bist. Nicht zu vergessen die selten tragbaren Fehlkäufe, weil dich die Coolness-Rate der It-Crowd um dich herum verunsichert hat.

Irgendwann steckt dir deine Mutter Geld zu und fleht dich an endlich neue Schuhe zu kaufen und als du nach 1,5 Jahren wieder ein Geschäft betrittst bricht der Damm und du kaufst statt einem gleich vier Paar Schuhe auf einmal und entwickelst außerdem eine fragwürdige Vorliebe für Pullis mit Glitzerelementen (True Story).

+ Wer die Alternative a) meidet spart sich extrem viel Geld zusammen.

-Vorsatz 4: Regionaler essen

Vorstellung: =Realität

Gut, dieser Punkt war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, angesichts meiner Abneigung gegenüber allem was mit Kochen zu tun hat und der Tatsache, dass ich nicht auf oder in der Nähe eines Bauernhofs wohne. Aber irgendwann, wenn ich dann in einer Kommune mit eigenen Garten lebe, dann ganz bestimmt

+ Man erkennt, dass man wirklich gut auf einige Dinge verzichten kann und entdeckt heimische Lebensmittel neu (Fenchel, Knollensellerie, allerlei Rüben etc.)

– Vorsatz 5: Niemals ein Smartphone kaufen

Vorstellung:

An diesen Vorsatz halte ich mich 100%. Weil:

Realität:

Smartphones sind der Teufel und das Iphone ihr Anführer. Jedes zweite Jahr muss ein neues her weil das alte nicht mehr „nigelnagelneu“ ist, wie es in der wirklich absurd bescheuerten Werbung eines österreichischen Mobilfunkanbieters heißt. Der gefährliche und gesundheitsschädigende Elektroschrott landet auf sogenannten Müllinseln die so groß sind wie Indien, aber eh irgendwo ganz weit weit weg von uns, also wenn interessierts? Ein Smartphone benötigt über 40 verschiedene Rohstoffe. Viele der nötigen Metalle kommen aus Minen in Kriegsgebieten, deren Einnahmen an Warlords gehen. Sogar die Macher des „Fairphones“, die den Versuch starteten ein komplett nachhaltiges und nicht auf Ausbeutung basierendes Handy zu produzieren, hatten Probleme alle Materialien für ihr Produkt aus fairen Quellen zu beziehen. Ergo: Mich kriegt ihr nicht!

Realität 2:

Spätestens wenn dein Steinzeit-Handy und dein MP3 Player aus der Vor-Vorsatz-Zeit das Zeitliche segnen, musst du anerkennen, dass die Perspektive auf ein Leben ohne Musikhören während Öffi-Fahrten an Grausamkeit grenzt und der Kauf eines Gerätes, dass mehr als nur zum Telefonieren verwendet werden kann, wohl sinnvoller ist, als sich sowohl einen MP3 Player als auch ein Handy (oder eine Kamera, ein Navi, einen Wecker…) extra zu kaufen. 

Was passiert? Irgendwann, als die letzte deiner Art, gibst du nach und kaufst dir auch widerwillig so ein „Klumpert“ von Smartphone, wirst natürlich sofort süchtig und musst den Spott deiner Freunde und Eltern ertragen, weil du sie um Hilfe bitten musst um beim whatsappen einen Umlaut zu machen.

Kapitulation

Zusammenfassend muss ich gestehen, dass meine Ziele zu hoch gesteckt waren. Meine Vorsätze hatten eine zu starke und plötzliche Veränderung meines gesamten Lebensstils verlangt. Leider lebe ich nicht auf einem Selbstversorger-Bauernhof und habe weder die Zeit noch die Energie immer den mühsameren Weg zu gehen. Eitelkeit ist nebenbei auch ein Hindernis. Ja, das Fleisch ist schwach…

ABER trotzdem gehe ich diesmal nicht frustriert aus meinem Projekt hervor, denn ich habe einiges über mein Konsumverhalten gelernt, es graduell doch verändert und konsumiere seither bewusster und vor allem weniger. Diese Erkenntnis bleibt. 

Achja, und natürlich diese: Smartphones sind leider geil.

Nein, ernsthaft Leute: Curb your shopping-enthusiasm! 

Wie das geht? Davon das nächste Mal mehr. 

 

Wie du RezeptionistInnen in den Wahnsinn treibst

Viele glauben ja, Rezeptionistin in einem Hostel zu sein, sei ein ziemlich lässiger Job. Das ist es auch, wären da nicht die Gäste…

Versteht mich nicht falsch, ich mag Menschen. Meistens. Aber wenn man längere Zeit in einem der größten und beliebtesten Hostels Wiens mit über 500 Betten arbeitet, kommt man mit sehr, sehr vielen (zu vielen) in Kontakt und – diplomatisch ausgedrückt: Nicht immer sind diese Begegnungen erfreulich.

Alle deppert, außer ich

Wenn man im Dienstleistungssektor und Service tätig ist, kann man schon manchmal misanthropische Gedanken entwickeln. Alles was man bisher über sich und andere zu wissen geglaubt hat, wird in Frage gestellt. Die eigene Offen- und Freundlichkeit, aber auch den Glauben an den Mensch als intelligentes Wesen.

So ist auch die Behauptung es gäbe keine dummen Fragen eine Lüge. Wer im Dienstleistungssektor arbeitet, weiß: Absolut jede Frage ist dumm, wenn man sie am Tag mindestens 15 Mal hört. Das ist unfair, aber nicht zu vermeiden.

Und dann gibt es natürlich Fragen, die sind IMMER dämlich, z.B.:

Nachdem man ausführlich erklärt hat, wie man von A nach B kommt indem man sechs U-Bahn Stationen fährt:

„Is it faster if we walk?“ (Ist es schneller, wenn wir zu Fuß gehen?)

Natürlich, Wien hat die U-Bahn nur für Leute mit zuviel Zeit gebaut, damit sie die dort verschwenden können. WTF?

angry about stupid people

Auch schön:

„The city centre, is it any good?“ (Das Stadtzentrum, ist das interessant?) – Nein, geh besser ins Industriezentrum.

oder:

„What can I do?“ (Was kann ich machen?)  – Geht’s a bissl präziser?

Solche Gehirnaussetzer passieren jedem einmal, und gewöhnlich könnte ich mich darin wiederfinden und laut lachen. Das Problem ist: die vielen Individuen, mit ihren bestimmt berechtigten Anliegen, verschwimmen an stressigen Tagen zu einer großen nervigen Masse. Pausenlos will jemand etwas von dir und im Hintergrund strapazieren nicht funktionierende Arbeitsgeräte und die obligatorischen Problem-Gäste die Nerven.

Freundlich sein ist dann ein starke Herausforderung und manchmal fühlt man sich nach einem Dienst so ausgelaugt, dass das soziale Konto völlig aufgebraucht ist und man mit niemanden mehr kommunizieren möchte.

talk to the hand

Es ginge ja auch anders

Das ist natürlich nicht die Schuld der Gäste, aber seit ich selber im Servicebereich arbeite, habe ich mehr Verständnis für launige SekretärInnen, KellnerInnen und gestresste KassiererInnen. Ein bisschen Geduld, ein freundliches Lächeln, öfter mal Mitdenken und sich vor-informieren, machen den Arbeitsalltag dieser Personen um vieles leichter.

Dennoch scheinen es manche Menschen darauf angelegt zu haben, sich bei ArbeiterInnen und Angestellten im Dienstleistungsbereich unbeliebt zu machen:

Die Top 10 der Unhöflichkeit

1. Vordrängeln

Manche Menschen glauben ihr Anliegen sei von besonderer Wichtigkeit, oder beanspruche ja nur ein paar Sekunden, oder sie haben einfach viel weniger Zeit als all die anderen in der Schlange.

Wie ein gehetztes Tier versuchen sie alle Angestellten und Wartenden immer im Blick zu haben um den richtigen Moment, die Sekunde, ja nicht zu verpassen, in der sie sich wie ein Wiesel vor alle anderen drängen können.

Du glaubst, du kommst so schneller dran?

absolutely fucking not

2. Aufrichtiges Desinteresse am Gegenüber zeigen

Es mag eine kulturelle Eigenart sein, das macht es aber niemals höflich: Auch auf dreimaliges Begrüßen reagieren manche Gäste nicht, stattdessen suchen sie hektisch den Ausdruck ihrer Reservierungsbestätigung und strecken ihn dir kommentarlos entgegen.

Ein Klassiker: noch vor Beginn des Check-ins nach dem W-Lan fragen und von da an gebannt auf das Smartphone oder Tablet starren.

notebook smash

Und natürlich nicht fehlen darf in dieser Reihe: Augenkontakt vermeiden, in den Mantel reden, sich drücken und die Mitreisenden alles machen lassen, während man den Check-in aus sicherer Ferne beobachtet.

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3. Körperliche Hygiene meiden

Dieser Punkt spricht für sich allein. Aber es muss einmal gesagt werden: Mit morgendlichen Mundgeruch das Personal in ein langes Gespräch zu verwickeln ist die fiesigste Fiesigkeit aller Fiesigkeiten!!

Auch immer wieder überhaupt nicht unangenehm: wenn wir Gäste freundlich darauf hinweisen müssen sich zu waschen, da sie eine Zumutung für ihre ZimmerkollegInnen sind.

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4. Den persönlichen Bereich anderer Personen ignorieren

Das schönste an Rezeptionen ist die architektonische Barriere zwischen Gast und dir. Dennoch ignorieren manche Leute diese offensichtliche Grenze, lehnen sich giraffenartig (danke Yoga!!) so weit über die Theke, dass sie mitlesen können was auf deinem Bildschirm steht.

Spy-Kids-better-look-closer

Oder sie grapschen sich schnell einen Kugelschreiber oder Stadtplan von deinem Arbeitsplatz. Es mag lächerlich erscheinen, aber du kannst jeden Rezeptionisten fragen: wir HASSEN es.

back off

5. Hilflos sein

Manche Gäste hätten am liebsten man nähme sie an der Hand und mache eine persönliche Stadtführung mit ihnen. Meine KollegInnen und ich sind alle äußerst hilfsbereite Menschen, aber ein gewisses Maß an Selbstständigkeit darf man sich von Erwachsenen erwarten. Ich habe einmal einen blinden Gast kennengelernt, der selbstständiger war, also so mancher Durchschnittstourist.

need help

6. Ungeduld zeigen

Ja, ich arbeite schneller wenn du demonstrativ auf den Tisch klopfst. NOT.

warten

Ebenfalls in dieser Kategorie: Unterbrechungen! Man könnte meinen mit der Zeit hätte ich mein „Ich bin gerade hochkonzentriert bei der Arbeit“-Gesicht perfektioniert, aber manche Menschen scheinen gegen derlei Warnsignale Immun zu sein.

 

7. Schlechte Manieren

Eine andere traurige Erkenntnis: Die meisten Menschen sind einfach furchtbar schlecht erzogen. Grüßen, Bitte-Danke sagen, Müll nicht einfach liegen lassen, Klos hinter sich sauber halten etc. scheinen verschollene kulturelle Errungenschaften zu sein.

eltern und menschheit

8. Mitdenken verweigern

Gut, in gewisser Weise ist dumm sein keine Unhöflichkeit, aber es nervt. Etwa wenn Gästen nach langen Erklärungen über unser Angebot, aufopfernder Bereitschaft allen ihren Wünschen entgegen zu kommen, Abschluss der Rechnung und Programmierung der Schlüssel plötzlich einfällt, dass sie eigentlich ein anderes Zimmer wollen, sie noch eine andere Reservierung haben oder doch lieber canceln möchten!!

Hausverstand ist noch so ein verlorenes Kulturgut. Ein Opfer der Technik vielleicht: Bestimmt 80% unserer Gäste warten vor der Tür des Gepäckraumes in der Hoffnung sie werde sich von allein öffnen, ohne andere Möglichkeiten überhaupt erst zu probieren.

Das Anbringen von Schildern wie „PUSH THE DOOR / Türe andrücken“  bringt in der Regel nichts, denn NIEMAND liest sie.

mad

9. Sich für etwas Besseres halten

Ja, genau, welcome to Vienna!

kiss

10. Nicht zuhören

Sind die mühsamen fünf Minuten sozialer Interaktion die ein Registrierungsvorgang beinhaltet (Formalia ausfüllen, Zahlung, Erklärungen…) überstanden, suchen manche Gäste so schnell es geht das Weite, während die Erklärungen der Rezeptionistin im Vakuum der Lobby verhallen.

Besonders schön, wenn sie dann später wieder kommen und sich beschweren, weil sie nicht wissen wie das Schließfach funktioniert, woher sie Bettwäsche bekommen und all die anderen Sachen, die man gleich hätte klären können – aaargh!

Im-sorry-I-wasnt-listening

 

Und so bin ich zu ihnen allen:

strahlend

 

 

Alle GIFs außer „Ärzte-GIF“: von http://www.reactiongifs.com/ 

Und plötzlich klappt mal was

Was soll ich sagen? Da startet man also einen Blog über sein verkorkstes Leben und das alles nicht so läuft wie es laufen sollte und kurz vor dem offiziellen Launch passieren plötzlich gute Dinge.

Es ist nämlich so: Ich habe ein Praktikum, das ich eigentlich gar nicht wollte (weil ich ja keine schlecht bezahlten Praktika machen will) und das ich eigentlich gar nicht bekommen sollte (weil ich nicht alle benötigten Anforderungen erfülle, Stichwort: SPSS) und das eigentlich auch kein Praktikum mehr ist, sondern plötzlich eine wissenschaftlichen Assistenzstelle. So kann es einem gehen, wenn man eigentlich schon bereit war, quasi eine berühmte Bloggerin zu werden. Und das alles bevor man überhaupt richtig angefangen hat!

Die letzten Wochen habe ich ein seltsames Gefühl der Hoffnung gespürt und konnte diese seltsam positiven Gedanken kaum vor meiner Außenwelt verhehlen (als könnte ich das mit irgendeinem meiner Gefühle, mein Gesicht ist ein offenes Buch, leider). Man könnte sagen, beim nächsten Psychotest würde das Ergebnis nicht mehr Richtung „die Frustrierte“ gehen.

Das ist natürlich ein Dilemma! Was ist, wenn mein Leben nun perfekt wird? Worüber beklag ich mich dann noch?

Zum Glück lassen mich meine Selbstzweifel und mein Gesellschaftspessimismus nicht im Stich und ich bin zuversichtlich, dass es genug Stoff für meinen Blog geben wird.

Daher eben doch der Launch.

Sticky: Willkommen auf Happy Average!

Kommen Sie, kommen Sie!

I proudly present my beautiful Blog-Baby: Happy Average!

Eines vorweg: Es ist noch nicht perfekt. Also eh meinem Motto folgend, aber trotzdem sag ich’s dazu, weil: ich kann halt nicht anders. Noch nicht. Aber das wird schon.

Man darf jedenfalls mit laufenden Updates rechnen, denn ich lerne täglich eine Kleinigkeit dazu in dieser seltsamen Sprache des gepressten Wortes und so andere Computermysterien. Statt zu reisen, lerne ich also auf diesem Wege gerade etwas kennen, das mir absolut völlig fremd ist. 

Ich weiß noch nicht genau wo es hingeht, aber begleitet mich doch einfach dabei. 

Hier eine kleine Einführung:

Die Suche nach Erfüllung“ behandelt die Baustellen in unseren Leben: Arbeit, Beziehungen, Sinnsuche.

Hier wird über das Mühsal von Praktika, Jobsuche, Fernbeziehungen sowie Zweifel, Zukunftsängste etc. geklagt und lamentiert. Trotzdem soll es kein reiner Jammerblog werden, sondern eher eine kritische, Solidarität stiftende Betrachtung.

In Gesellschaft“ behandelt alle Themen, die unser Leben auf die eine oder andere Art beeinflussen. Sei es nun Ernährung, Lifestyle, Genderfragen, nervige Stereotype, Schönheitsideale, Medien, Überleben in Wien, Politisches usw. Kurz: Irgendetwas hat mich aufgeregt und dann schreib ich drüber.

 „Being Happy Average“ hingegen, hat sich dem Motto Akzeptanz verschrieben. Hier geht’s darum, dass alles halb so schlimm ist. Ich möchte Mut machen: euch, aber vor allem mir, schließlich bin ich Teil der Generation Y und daher extrem selbstbezogen.

 Escape“ beschäftigt sich mit allem, dass ein Ausbrechen aus dem Alltag bedeutet. Sei es nun mittels Reisen, einem Serien-Marathon, Spielen, Feiern oder dem neuesten Kätzchen Video auf Youtube. 

Also gefällt es euch, sagt es mir und bitte auch anderen. Kommentiert, kritisiert, gebt mir gerne Input aus euren spannenden Leben…

…und fühlt euch wie Zuhause!

 

Ist genug Platz für Söhne & Töchter in der Nationalhymne?

…oder geht der Feminismus zu weit?    

Kleine Gesten, erzielen oft große Wirkungen. Im Januar 2012 wurde die österreichische Nationalhymne umgeschrieben: „Heimat bist du großer Söhne“, der Originaltext von 1946,  wurde auf „Heimat großer Töchter und Söhne“ geändert. Ein symbolischer Akt um Frauen als gleichwertigen Teil in der Gesellschaft sichtbar zu machen. Es folgten Debatten darüber ob es rechtens wäre ein historisches Dokument zu ändern, zudem wurde die melodische Störung durch den Zusatz kritisiert.

Neben diesen Bedenken gab es allerdings auch einen weit hitzigeren Diskurs darüber, ob diese Veränderung nicht unnötig gewesen sei und ob es nicht wichtigere Dinge gäbe, um die man sich kümmern müsse – ein Vorwurf der immer dann aufkommt, wenn versucht wird mittels gendersensibler oder -neutraler Sprache die Präsenz anderer Geschlechter neben dem Männlichen hervorzuheben.

Der Hymnen-Eklat

Im Juni 2014 war die „gegenderte“ Hymne erneut ein Thema in den Medien, nachdem der österreichische Volkssänger Andreas Gabalier bei einem Auftritt beim Formel 1 Grand Prix in Spielberg die alte Version der Hymne sang und das damit rechtfertigte, dass er nur so gesungen habe, wie er es in der Volksschule gelernt hatte.

Während Gabalier, der gerne von „Madln“, „Engerl“, „Rehlein“ oder „Zuckerpuppen“ singt, auf den Applaus seiner Fangemeinde zählen konnte, hagelte es Kritik vor allem von feministischen Organisationen sowie der Grünen Partei Österreichs. Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) fühlte sich bemüßigt, den Sänger zu verteidigen. FPÖ-Frauensprecherin, Carmen Gartelgruber meinte, Gabalier habe vielen Frauen aus dem Herzen gesprochen und sie verurteile den

„Beißreflex linkslinker Emanzen“.

Der wirkliche Kampf spielte sich aber im Internet ab. Die SPÖ-Politikerin und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek postete auf Facebook einen sarkastischen Kommentar mit dem Text der neuen Hymne und den Worten, dass dies eine “kleine Lernhilfe” für Gabalier sei. Daraufhin wurde Heinisch-Hosek mit einem sogenannten Shit-Storm konfrontiert, der sogar Morddrohungen enthielt.

Die Töchter-Hymne ist nur ein kleiner Teil einer großen Diskussion, allerdings enthüllte sie die Aggression und Brisanz dieses vermeintlich „trivialen“ Themas.

“Es brauchte Jahre bis ich mich als Feministin bezeichnen konnte”

Aber selbst im gemäßigten Umfeld werden gender-neutrale Maßnahmen wie etwa das Binnen-I oft als nervig, ästhetisch hässlich, übertrieben und unnötig angesehen.

Gleichsam wird auch Feminismus an sich als negativ und extrem wahrgenommen. Als Resultat haben immer mehr Frauen Hemmungen sich als Feministin zu bezeichnen.

So auch Helene, eine 19-jährige Studentin der Kulturwissenschaften aus Deutschland, die gendersensible Sprache zwar sehr wichtig findet, sich aber nicht Feministin nennen würde, da ihr „das Image, das Feminismus im Moment hat“ nicht gefalle.

“Das Thema ist so wichtig, aber es ist so schade, dass diese Themen dann so negativ besetzt sind.  Es ist unangenehm zu sagen, Feministin zu sein“, meint auch die 24-jährige Alicia, aus Österreich.„Feminismus wird überall in der Welt als etwas Schlechtes angesehen“, stellt die 20-jährige Aktivistin Yara aus dem Libanon fest.

Ebenso ist es mit den Klischees der unattraktiven Männerhasserin.

Sabine, 20, aus Lettland beklagt, dass in ihrem Land Feminismus nicht einmal ein Thema sei, über das in der Politik gesprochen werde. Frauen, die sich dafür einsetzen, müssen mit Beschimpfungen rechnen. „Ich wurde schon zweimal als Femi-Nazi bezeichnet“, berichtet die junge TV-Journalistin. Sie zeigt den Screenshot einer Twitter Nachricht an eine lettische Bloggerin, die über feministische Anliegen schreibt. In der Nachricht meint der männliche Absender, warum sich eine so hübsche Frau wie sie, mit einem solchen Thema beschäftige und das nicht den „hässlichen Mädchen“ überlasse. So lasse sich die Wahrnehmung von Feministinnen gut zusammenfassen, meint Sabine lapidar.

Basma, Journalistin und Trainerin aus Ägypten erzählt, dass es Jahre gedauert habe, bis sie erkannte, dass sie eigentlich schon immer Feministin war, sie aber die Vorurteile über „Frauen, die wie Männer sind, die trinken und rauchen“ abschreckten. Heute ist die 26-Jährige stolz Feministin zu sein.

Übertreibung und diskriminierte Männer

Aber warum wird der Einsatz für Gleichberechtigung der Geschlechter so negativ wahrgenommen? Woher kommt all die Ablehnung? An welchen Punkt hat Feminismus versagt? Wir haben diese Fragen auch jungen Männern gestellt. Mathias*, ein 26-jähriger Geschichtestudent aus Österreich, erklärt, dass er das Gefühl habe, die Gender Diskussionen gingen zu weit, „jeder Satz wird zu einem Politikum“. Zwar sehe er ein, dass Sprache einen Einfluss auf unser Denken habe, allerdings halte er die ganze Debatte um das Binnen-I und Co. für völlig übertrieben. Seiner Meinung nach seien die Ziele des Feminismus bereits erreicht: wie etwa legale und soziale Gleichheit. Im Gegenteil, nun sei es eher so, dass Männer immer öfter Diskriminierungen ausgesetzt seien. Etwa bei der Quotenregelung oder in Scheidungsfällen bei Fragen der Fürsorge.

Andere der befragten Männer hatten einen anderen Standpunkt. Der 21-jährige NGO Aktivist Boro aus Bosnien bezeichnet sich – im Gegensatz zu den weiblichen Befragten – ohne Scheu als Feminist. Der junge Mann, der sich seit seinem 12. Lebensjahr für feministische Agenden engagiert vertritt die Meinung, dass Geschlechtergerechtigkeit auf jedem Level stattfinden muss, inklusive Sprache. Sein Kollege Haris, der ebenfalls für feministische Thematiken in Bosnien eintritt, warnt jedoch vor „feminist-terrorism“, wenn seine Geschlechtsgenossen so behandelt werden, als wäre es schon ein Verbrechen an sich, ein heterosexueller Mann zu sein. Außerdem warnt er davor, dass sich Politiker eher mit „leichteren“ Themen wie gendersensible Sprache beschäftigen, anstatt die schlimmeren Probleme wie häusliche Gewalt zu bekämpfen.

Weniger urteilen, mehr Verständnis

„Sprache prägt unsere Identität und Psychologie“, betont  Sofia Leonidakis. Sie ist Mitglied der deutschen Partei Die Linke und Teilnehmerin eines Mentoring Programms für junge Frauen. Allerdings findet sie es wichtig, Menschen zuzugestehen, dass die Veränderung von Sprache Zeit braucht. Zu penetrantes Beharren auf gendergerechte Sprachweise hält sie für kontraproduktiv:

„Sprache ändert sich nicht einfach über Nacht, es ist ein Prozess. Wir dürfen da nicht urteilen. Wir müssen tolerant sein, wie die Leute sprechen, ansonsten verursacht das eine Abwehrhaltung“.

Dennoch sei gendersensible Sprache elementar um Aufmerksamkeit dafür zu schaffen, dass unsere Gesellschaft noch immer patriarchal organisiert sei. Um Gleichheit für alle zu erreichen, müssen Frauen und transgender Personen noch immer ihre Rechte einfordern, erklärt sie.

„Wir kriegen nichts geschenkt. Wir mussten immer für das kämpfen was wir jetzt haben. Manchmal ist das etwas unangenehm, manchmal ist das gefährlich, aber das sollte uns nicht davon abhalten dafür zu kämpfen.“

Mechthild Koreuber, die zentrale Frauenbeauftragte der Freien Universität Berlin, unterstreicht die Relevanz von Genderneutralität, da Sprache die Moralvorstellungen einer Gesellschaft ausdrücken. Wann immer wir an alltägliche Aktionen denken, ist Sprache involviert. Sprache hat das Potenzial diskriminierende Strukturen aufzuzeigen, um Gesellschaft kulturell zu verändern muss daher mit Sprache gearbeitet werden.

„Wenn ich etwas verändern will, bin ich verpflichtet die weibliche Version zu verwenden. Das ist mein Anspruch und meine Erwartung“.

Als konkretes Beispiel nennt sie den Mangel an Frauen in technischen Berufen – das Ergebnis eines kollektiven Versagens, Frauen für das Erlernen dieser Berufe zu ermutigen.

Studien haben gezeigt, dass es nicht reicht eine Jobausschreibung sowohl an Männer als auch an Frauen zu adressieren, allein die Art der Formulierung entscheidet ob sich eher das eine oder das andere Geschlecht angesprochen fühlt. „Die deutsche Sprache ist so vielfältig, warum sollten wir das nicht nutzen?“, fragt Koreuber.

Patrick Grunhag, Mitglied der Grünen Jugend und Jugendpresse Berlins, stimmt mit Koreuber und Leonidakis überein. Am meisten störe es ihn, wenn Frauen von sich selber in der männlichen Version sprechen, etwa wenn sie sagen: “Ich werde Lehrer” nicht „Lehrerin“. “Das macht doch keinen Sinn“, meint Grunhag.

Aya, eine feministische Bloggerin aus Tunesien, beschäftigt sich mit vielen konkreten Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen, dennoch ist für sie gender-neutrale Sprache ein sehr wichtiges Thema. Die stolze Tunesierin ist überzeugt, dass Kultur und besonders Traditionen und Sprache der Schlüssel für Veränderungen in der Gesellschaft sind. Aya beschwert sich, dass ihr Land anfangs im Vergleich zum Rest der Region sehr progressiv hinsichtlich Frauenrechte war, doch seit Jahren gäbe es keine Verbesserungen mehr. Dennoch habe ihr der kulturelle Austausch mit Frauen aus westlichen Gesellschaften gezeigt, dass diese ebenfalls ihre Probleme haben. Für sie ist der symbolische Akt, wie das Ändern einer Hymne, ein entscheidender Faktor. Auch sie kämpft für die gleichwertige Nennung von Frauen und Männern in offiziellen Dokumenten.

„Während der Arabischen Revolution haben wir gespürt, dass nun der Zeitpunkt für einen Wandel gekommen war. Wir sind auf die Straße gegangen um die Verfassung zu verändern, damit wir ein legales Dokument haben, das besagt, dass Frauen und Männer gleich sind.“

Vielleicht ist die anti-feministische Haltung, die durch die Hymnen-Debatte zum Vorschein kam, ja einfach die normale Begleiterscheinung die Frauen überall auf der Welt schon seit Beginn des Feminismus begegnet. Vielleicht braucht es einfach nur wieder ein bisschen mehr Selbstbewusstsein zu sagen, „ja, ich bin Feministin, aber keine Angst, ich beiße nicht“.

 Do you want to read this in English? Please check out the online magazine Rethinking Journalism.
*Name wurde geändert.

 

 

 

 

 

 

Nachtrag: Warum ich meine Wortwahl trotz Mut zum Unperfektionismus in Zukunft mehr überdenken werde

Eine Freundin hat mich gerade auf etwas Wichtiges aufmerksam gemacht bezüglich meines Artikels über Nackte Frauen im Fernsehen. Nämlich, dass sie Lena Dunham keineswegs als „dick“ oder „wabbelig“ beschreiben würde. Ihre Kritik ist absolut berechtigt. In der Tat habe ich meine Worte sehr hart gewählt (und diese bereits im Text geändert). Bestimmt weil ich provozieren wollte, aber auch weil sie Teil eines Vokabulars geworden sind, dass ich an schlechten Tagen selbst für meinen eigenen Körper verwende. Teilweise so absurde Selbstbeschimpfungen, dass mein Freund mich auslachen muss, wenn ich wieder einmal so über mich spreche. Mit recht! Es ist das Vokabular der Frauen, die ihr Leben lang unzufrieden sein werden mit ihren Körper egal wie er aussieht. Eine Seite von mir die ich nicht mag und mit meinen Artikeln ganz bestimmt nicht reproduzieren wollte.

Denn was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass ich es toll finde, dass Lena Dunham nicht „perfekt“ aussieht, aber trotzdem eine bewundernswerte, attraktive und vor allem authentische Persönlichkeit ist. Und dass es völlig egal ist, dass ihr Bauch nicht flach ist.

Ich wollte sagen, dass auch feste Oberschenkel, ein dicker Hintern, Brüste in allen Formen und Größen schön sein können und dass wir uns nicht einreden lassen dürfen, dass man nur mit schlanken Beinen kurze Hosen anziehen darf. Dass ab einem bestimmten Alter Miniröcke Tabu wären und dass wir ständig irgendetwas kaschieren oder optimieren müssen.

Als leicht zu beeinflussende Person, bin ich aus meinen naiven Jugendtagen zu 80% Frauenmagazin-geschädigt, doch das Internet bietet nun neue Antworten auf diese – in Wahrheit –  Giftschleudern, die zu einem Großteil dazu da sind, Menschen schlecht fühlen zu lassen um ihre Kauflust zu steigern (wiedereinmal sehr überspitzt gesagt, aber es ist auch schon Spät und ich muss morgen Früh raus, daher muss das mit der Wortwahl überdenken noch ein bissl warten). Im Netz finden sich immer mehr starke, selbstbewusste Frauen, die auf die vorgegebenen Schönheitskorsetts pfeifen und ihr Ding machen. Ich lerne von diesen Frauen und hoffe, andere die meinen Vogel haben, auch.

Hier ein paar meiner Favoritinnen:

Lily bringt es auf den Punkt.

Amanda Palmer wehrt sich gegen die Reduzierung von Künstlerinnen als Sexsymbol.

Laci fasst 51 Fakten, warum wir Feminismus noch immer brauchen in einem Wordrap zusammen. 

Jenny Trout ist übergewichtig und hat einen Bikini in der Öffentlichkeit getragen. 

Taryn Brumfitt musste erkennen, dass den perfekten Körper zu haben, nichts in ihrem Leben verändert hat. 

Es gibt mehr, aber nun hat mein Hirn und mein Vogel nach acht Stunden Spätschicht an der Rezeption seinen Zenit erreicht. Gute Nacht!

Mehr nackte Frauen ins Fernsehen

Neulich, beim Unterhalten über meine Lieblings-Guilty-Pleasure „binge-watching“ von TV-Serien, meinte eine Arbeitskollegin, dass sie die von mir sehr geschätzte Serie Girls ganz gut fand, sie allerdings die permanente Nacktheit der Hauptdarstellerin irritiere. Man muss dazu wissen, dass Lena Dunham, die Hannah Horvath, eine der vier Hauptprotagonistinnen, spielt, einen Körper zur Schau stellt, der so ziemlich das Gegenteil des gängigen Schönheitsideals darstellt: etwas pummelig, unproportioniert, kleinbrüstig, purer Durchschnitt eben – ergo: schwerverdauliche Kost für den photoshopverwöhnten Medienrezipienten!

Dunhams unverblümter Exhibitionismus hat von Anfang an für Kontroversen gesorgt. Im Januar dieses Jahres fasste Tim Molloy, ein TV Journalist des US-Entertainment Nachrichtenformats The Warp, den Kern der Aufregung mit einer äußert missglückten Fragestellung zusammen. Er suggerierte, dass er nicht verstehe, warum „vor allem“ Dunham in der Serie ständig nackt sein müsse, da ihr Anblick offensichtlich nicht als aufreizender Quotenmagnet diene, wie etwa der Cast in der ebenfalls von HBO produzierten und auch nicht mit Nacktheit sparenden Game of Thrones (GOT) Verfilmung:

“I don’t get the purpose of all of the nudity on the show, by you particularly, and I feel like I’m walking into a trap where you go, ‘Nobody complains about the nudity on ‘Game of Thrones,’ but I get why they are doing it… They are doing it to be salacious and, you know, titillate people. And your character is often naked just at random times for no reason.”

 

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Lena Dunham in Girls.

Stein des Anstoßes: Lena Dunhams Figur ist unbekleidet im Alltag ohne Grund. Etwa beim Sex oder im Bad – völlig abwegig Frauen so darzustellen – besonders wenn sie so aussehen wie Dunham (Die 28-Jährige wird wohl drüber stehen. Sie ist nicht nur Schauspielerin, sondern auch Autorin, Produzentin und Regisseurin, Erfinderin und Star der äußert erfolgreichen HBO Serie, sowie des Kinofilms Tiny Furniture).

Nacktheit in Girls ist nicht ästhetisch inszeniert, sie ist nicht dazu da zu gefallen, sondern sie trägt dazu bei, authentische Geschichten zu erzählen.

Einheitsbrei im Überfluss

Ein Übermaß an Freizügigkeit ist allgegenwärtig in der Medienwelt und dennoch gibt es eine Doppelmoral. Sobald die nackte Realität nämlich runzelt, hängt, wellt und wabbelt, sagen nicht wenige: Das will doch keiner sehen. Außer natürlich an den Oberschenkeln diverser Stars, deren Bikinifotos mit hämischen Kommentaren versehen werden. Trägt das zu einer toleranteren Körperkultur bei? I don’t think so.

Wir brauchen Bilder von echten Frauenkörpern um wieder ein normales und vor allem vielfältigeres Verständnis von „schön“ zu bekommen. Schönheit liegt nämlich nicht im Auge des Betrachters, sie wird durch gesellschaftliche Diskurse produziert und diese Diskurse werden vor allem von Medienbildern bestimmt. Studien haben gezeigt, dass je länger wir auf ein Foto einer sehr dünnen Person starren, desto eher tendieren wir danach andere Personen, die ebenso dünn sind, als schön zu bewerten, umgekehrt verhält es sich, wenn man zuvor längere Zeit eine molligere Person betrachtet hat.

Die Wahrnehmung eines Bildes wird durch die nachträgliche Wirkung von direkt vorher betrachteten Bildern beeinflusst. Wir sind ständig aus einer Bilderflut von „perfekten“ Menschen umgeben. Retouchierte Ideale, die es in der Realität kaum gibt. Nicht mal Models können da noch mithalten. Und obwohl wir das eigentlich bereits wissen, fällt es uns zunehmend schwerer unperfekte Körper als schön wahrzunehmen.

Bilder sind stark, einprägsamer als Worte. Wir finden schön, was uns als schön präsentiert wird. Das dahinter keine objektiven Maßstäbe, sondern Verkaufszahlen und reproduzierte Machtverhältnisse stehen, ist schwierig zu differenzieren, denn normalerweise läuft beim Durchblättern von Zeitschriften oder dem Betrachten von Werbung nicht Konstant die Warnnotiz mit: „Das hier ist alles nur Fake um mir etwas zu verkaufen.“ Wäre es so, würde Werbung nicht funktionieren, und DANN hätten wir erst eine Krise!

Der aufmerksame Serien-Junkie mag nun anmerken, dass es sehr wohl Hauptrollen in Serien für Schauspielerinnen gäbe, die nicht dem Schönheitsideal entsprechen. Aber leider handelt es sich dabei oft um komödieske Charaktere, oft im Unterschichten-Milieu, wie etwa die fabelhafte Roseanne, Serien-Charakterie die man zwar sympathisch, lustig oder liebenswert findet, aber mit denen sich Frauen im wahren Leben nur schwer identifizieren können. Und nackt sieht man die Damen schon gar nicht.

It’s the feminism, stupid!

Girls bricht in vielerlei Hinsicht Lanzen für den Feminismus. Figurprobleme sind keinesfalls das Hauptthema der Serie, dennoch werden Hannahs Komplexe und Unsicherheiten ebenso thematisiert, wie der krankhafte Perfektionismus ihrer Freundin Marnie, die ihren Körper umso verkrampfter kontrolliert, je mehr Marnie ihr geordnetes Leben entgleitet.

Vieles was in der Serie gezeigt wird, ist nicht immer angenehm, aber dennoch war ich noch nie so erleichtert über die Art wie Frauen meiner Altersgruppe dargestellt werden.

Lena Dunham zeigt Frauen, wie sie wirklich sind und es ist eine Wohltat. Nicht nur weil ihre Körpermaße dem gängigen Ideal weniger entsprechen als die üblichen Serienheldinnen, oder man sie immer wieder in unvorteilhaften Positionen sieht, sondern weil sie auch Fehler und negative Eigenschaften haben dürfen, die komplexer sind als die übliche Tussi- (funktioniert seit Clueless) oder „sexy Dümmerchen“-Nummer (Klassiker: Kelly Bundy). Ja, die Damenwelt kommt nicht gut weg in Girls:  Irrational, pedantisch, selbstsüchtig, wehleidig, egozentrisch, anstrengend und bedürftig manövriert sich das Quartett durch ihr unperfektes Leben zwischen Geldmangel und Suche nach Liebes- und Lebensglück. Erfrischend real. In den Problemen und oft haarsträubenden Charakterschwächen der vier Hauptfiguren, die in Girls präsentiert werden, erkennt sich so mancher (nicht nur weibliche) Seher wieder.

Aber ist es wirklich nötig, dass Dunham ständig nackt zu sehen ist?

Ausziehen für den Feminismus kennen wir ja von FEMEN. Wie feministisch es wirklich ist, wenn Frauen mit Barbie-Körper ihre baren Brüste mit feministischen Parolen in die Kameras halten, mag dahingestellt sein. Ich kann mir gut vorstellen, nicht nur Putin hat Fotos der FEMEN Aktivistinnen in seiner Nachtschublade liegen.

 

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FEMEN-Aktivistin perfekt inszeniert.

 

Game of Thrones' Daenerys Targaryen Meme

Game of Thrones‘ Daenerys Targaryen Meme

Mich stören die Brüste von FEMEN nicht und auch ich finde den Busen von Daenarys Targaryen in GOT schön anzusehen, aber Lena Dunhams Mini-Titten sind revolutionär – ja großartig.

Daher plädiere ich für mehr nackte Frauen im Fernsehen. Frauen mit dicken Oberschenkeln, schlaffen Oberarmen, Dellen am Arsch, Kratzern, Narben, roten Flecken und Unreinheiten auf der Haut, mit Speckröllchen beim Sitzen, Körperbehaarung, und das in unterschiedlichen Größen, Breiten und Hautfarben.

Bis es so weit ist, bleibt nur der regelmäßige Gang zum FKK oder – in unseren Breitengraden wahrscheinlicher – in die Sauna. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, nach anfänglichen Schock des eigenen Ästhetik-Empfindens, gewöhnt sich das Auge schnell an die Makelhaftigkeit der Durchschnittskörper. Und hoffentlich ist das ein Schritt, die eigenen Makel akzeptieren zu lernen.

 

 

 

 

Ein/e Nica gibt nicht auf

Seit ich zurück bin, werde ich natürlich oft gefragt, wie es denn so war in Nicaragua. Wenn ich dann von meinen Erfahrungen erzähle, die vor allem schön, aber auch traurig, herausfordernd und anstrengend waren, war so manche/r überrascht. Vielleicht weil unsere Vorstellungen von Lateinamerika-Reisen die Lebensrealität der Menschen verdrängen, die oft nicht so prächtig ist, wie die Landschaften und Kulturen des Kontinents. Erst gestern habe ich einen Artikel im Standard gelesen über den Ansturm minderjähriger Flüchtlinge aus Zentralamerika (Honduras, El Salvador und Guatemala – Nicaragua war in dieser Aufzählung nicht dabei), die der Gewalt und Aussichtslosigkeit in ihrem Land entkommen wollen.

Im Vergleich zu seinen nördlichen Nachbarn geht es Nicaragua gut. Korruption, Drogenkartelle und Bandenkriminalität existieren zwar, wie wahrscheinlich überall auf der Welt. Im Großen und Ganzen ist es aber ein sicheres Land, in dem die Menschen ihren Geschäften nachgehen können, ohne Schutzgeld zahlen zu müssen. Trotzdem ist es nach Haiti das zweitärmste Land Lateinamerikas. Dem Human Development Index zufolge, der aus dem durchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen, der Lebenserwartung und dem Bildungsgrad ermittelt wird, liegt Nicaragua von 179 Ländern auf Platz 121 (Österreich liegt auf Platz 16).

Wenn mich jemand fragt, wie die Nicas so sind, dann fällt mir als erstes das Wort tapfer ein. Viele wissen an manchen Tagen nicht wie sie Essen auf den Tisch bringen sollen und jeder hat mehrere Jobs um irgendwie über die Runden zu kommen. Auch das Team des von einer österreichischen Organisation unterstützten Amucobu-Projektes und die LehrerInnen der Privatschule Colegio Solidaridad entre los Pueblos kämpfen täglich mit finanziellen Problemen. Maria schneidert Tanzkostüme, Gustavo repariert Computer und knüpft Armbänder, Fatima schneidet Haare und verkauft Kosmetikartikel, Esmeralda, die Chefin von Amucobu näht und bestickt kunstvoll Decken, die sie an US-AmerikanerInnen verkauft und hat außerdem einen kleinen Second-Hand Laden in ihrem Haus. Brenda, die Direktorin der Schule verkauft Mittagsmenüs und Fruchtsäfte. Jorge, der dauergestresste Vizerektor arbeitet nachmittags noch in einer anderen Schule und studiert nebenbei. Um sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, müssen die meisten Lehrer und Lehrerinnen in zwei Schulen unterrichten, was dadurch funktioniert, dass es Vormittags- und Nachmittagsschulen gibt. .

Faulheit kann man den Nicas beim besten Willen nicht vorwerfen. Bettler gibt es relativ wenige, die meisten Menschen tun irgendetwas – und sei es nur, die Fensterscheiben der Autos zu putzen. Ja, die Straße ist ein Marktplatz: Selbstgemachte Speisen oder Raubkopien von Musik und Filmen werden ebenso angeboten, wie Möbelstücke, Sonnenbrillen oder lebende Eichkätzchen als Haustiere und Leguane für den Kochtopf. Man schuftet, hilft sich gegenseitig und zu guter Letzt vertraut man auf Gott.

Armut ist Interpretationssache

Der Schule in der ich gearbeitet habe, wurden in den letzten Jahren immer weiter die finanziellen Unterstützungen gekürzt, bis sie dieses Jahr gänzlich ohne äußere Subventionen dastanden. In manchen Monaten weiß die Schulleitung nicht, wie sie das Lehrpersonal bezahlen soll. Neue Ideen müssen her, denn die Eltern können nicht noch mehr Schulgeld zahlen und von der Regierung gibt es keinen Centavo. Esmeralda und ihr Team überlegen Patenschaften anzuregen, durch die reiche AmerikanerInnen einem Kind aus Walter Ferrety einen Schulplatz finanzieren. Sie planen eine Talentshow mit Tombola um Spenden einzutreiben. Irgendwie geht es immer weiter. Egal wie ausweglos die Situation ist, irgendwie finden die Nicas dennoch immer Lösungen für ihre Probleme.

Die Menschen, die ich kennengelernt habe, würden sich nicht als arm bezeichnen. Arm sind Menschen die schwer krank sind, keine Familie haben oder in Kriegsgebieten leben. In Nicaragua hat man den Krieg hinter sich, über 29.000 Menschen sind im blutigen Konflikt zwischen den Revoluzzern, den Sandinistas (die Nicaragua von dem grausamen Regime Somozas befreit haben) und deren Gegner (kräftig unterstützt von den USA) ums Leben gekommen. Der Frieden, der mit den Wahlen 1990 und dem Machtverzicht der Sandinistas eingeleitet wurde, ist jung aber stabil, die Menschen haben genug vom Krieg. Aber nun muss sich das Land, das mittlerweile wieder von (einem Abklatsch) der sandinistischen Partei regiert wird, mit Problemen wie Arbeitslosigkeit, fehlender Infrastruktur und langsamen Wirtschaftswachstum herumschlagen. Doch statt Sportplätze in den ärmeren Vierteln oder Häuser, die einem Erdbeben standhalten, zu bauen, wird durch ganzjährige Weihnachtsbeleuchtung Energie verschwendet. Statt den Markt zu regulieren, damit die Grundnahrungsmittel Reis und Bohnen für alle leistbar bleiben, verteilt die Regierungspartei in populistischen Aktionen Bohnen zu einem günstigeren Preis in den sozialschwachen Gegenden.

Ich will hier aber nicht ur- sondern miteilen, welche Erfahrungen ich während meiner Zeit in einem der vermeintlich ärmsten Länder der Welt gesammelt habe. Es ist ein Versuch ein ausgewogenes Bild zu liefern, zwischen dem Fakt, dass die meisten Menschen in Nicaragua im Vergleich zu den meisten Menschen in Österreich, finanziell und sozial stark limitiert sind und der Tatsache, dass ich dennoch Walter Ferrety und seine BewohnerInnen nicht als arm empfunden habe. Armut ist relativ. Schulden, abgestellter Strom wegen unbezahlter Rechnungen, ein undichtes Dach durch das der Regen dringt, sich keinen Urlaub leisten können… alles Dinge, die Menschen überall auf der Welt betreffen, nur hier ist es eine kollektive Erfahrung, die Menschen kennen es so und wirken nicht unzufriedener als der Durchschnittseuropäer. Im Gegenteil. Oftmals kamen sie mir zufriedener vor, als die meisten Menschen, die ich kenne. Sie sind nicht arm, weil sie keine Opfer sind.

Reiche hinter Mauern

An meinem vorletzten Tag in Nicaragua habe ich an einem Schulausflug anlässlich des Muttertags teilgenommen. Die Direktion hatte einen Bus organisiert, kiloweise Arroz Valencia gekocht und nachdem ein Regenschauer die Abfahrt zwei Stunden verzögert hatte (weil bei Regen niemand das Haus verlässt) sind wir Richtung Vulkanlagune gefahren, einer meiner Lieblingsorte in Nicaragua. Zum ersten Mal war ich am öffentlichen Strand, dort wo alle Nicas hingehen. Zuvor war ich immer in einem der hübschen Resorts gewesen. Bei sieben Dollar Eintritt für den Tag und keinen Einheimischenrabatt ist es kein Wunder, dass sich dort hauptsächlich TouristInnen aufhalten. Auf der Fahrt dorthin, gleich nachdem sich der Bus aus den engen Gassen des Viertels Walter Ferrety mit seinen Wellblechhütten und Dreckbergen gezwängt hatte, durchfuhren wir das reiche Villen-Viertel Las Colinas, in dem riesige, schicke Häuser von dicken Mauern und Wächtern von der vermeintlich gefährlichen Außenwelt abgeschirmt werden.

Meine Sitznachbarin Ana, in deren Haus ich für zwei Wochen gewohnt habe, macht sich beim Anblick der Mauern lustig und meint, sie würde hier nicht Leben wollen, da kein Leben auf den Straßen sei und niemand mit dem Nachbarn reden könne. Sie lebt auf engsten Raum, in sehr bescheidenen Verhältnissen, aber in Las Colinas würde sie sich wohl sehr verloren und einsam vorkommen.

Doch natürlich möchte ich nichts glorifizieren. Die Armut zeigt sich in gesundheitlichen Beschwerden wie Diabetes, Bluthochdruck, Herzrasen, Migräne als Folge von Stress, schlechter Ernährung und unzureichender ärztlicher Behandlung. Sie zeigt sich in Geschlechtskrankheiten, hohen HIV-Ansteckungsraten, Minderjährigen mit Schwangerschaftsbauch und Kindern, die hungrig in die Schule kommen und sich vor lauter Bauchweh nicht auf den Unterricht konzentrieren können. So viele Probleme, die ich nur am Rande mitbekommen habe, da die Leute mich meistens angestrahlt und mir neugierige Fragen gestellt haben, anstatt über ihr Schicksal zu lamentieren. Diese Momente gab es natürlich auch. Es waren die Schwierigsten, denn außer zuhören konnte ich gar nichts tun. Es war daher umso berührender für mich, als mir die Menschen bei meinem Abschied gedankt haben, einfach für meine Präsenz, dass ich ihren Alltag etwas erheitert habe, weil ich eine Abwechslung war. Niemals habe ich Neid oder Erwartungen gespürt.

Und da bin ich nun zurück in Österreich mit meinen Zukunftssorgen und meiner Wehleidigkeit. Ich denke, das ist ok, denn ich bin nicht aus Walter Ferrety. Aber in Momenten der Angst, da denke ich an das Viertel und an die Tapferkeit der Menschen dort. Das gibt mir Kraft. Eine Stärke tief in mir drin, gewonnen in Nicaragua.

Ein paar Bilder aus Walter Ferrety (viele habe ich nicht, da es schwierig war zu fotografieren):