Neulich, beim Unterhalten über meine Lieblings-Guilty-Pleasure „binge-watching“ von TV-Serien, meinte eine Arbeitskollegin, dass sie die von mir sehr geschätzte Serie Girls ganz gut fand, sie allerdings die permanente Nacktheit der Hauptdarstellerin irritiere. Man muss dazu wissen, dass Lena Dunham, die Hannah Horvath, eine der vier Hauptprotagonistinnen, spielt, einen Körper zur Schau stellt, der so ziemlich das Gegenteil des gängigen Schönheitsideals darstellt: etwas pummelig, unproportioniert, kleinbrüstig, purer Durchschnitt eben – ergo: schwerverdauliche Kost für den photoshopverwöhnten Medienrezipienten!
Dunhams unverblümter Exhibitionismus hat von Anfang an für Kontroversen gesorgt. Im Januar dieses Jahres fasste Tim Molloy, ein TV Journalist des US-Entertainment Nachrichtenformats The Warp, den Kern der Aufregung mit einer äußert missglückten Fragestellung zusammen. Er suggerierte, dass er nicht verstehe, warum „vor allem“ Dunham in der Serie ständig nackt sein müsse, da ihr Anblick offensichtlich nicht als aufreizender Quotenmagnet diene, wie etwa der Cast in der ebenfalls von HBO produzierten und auch nicht mit Nacktheit sparenden Game of Thrones (GOT) Verfilmung:
“I don’t get the purpose of all of the nudity on the show, by you particularly, and I feel like I’m walking into a trap where you go, ‘Nobody complains about the nudity on ‘Game of Thrones,’ but I get why they are doing it… They are doing it to be salacious and, you know, titillate people. And your character is often naked just at random times for no reason.”
Stein des Anstoßes: Lena Dunhams Figur ist unbekleidet im Alltag ohne Grund. Etwa beim Sex oder im Bad – völlig abwegig Frauen so darzustellen – besonders wenn sie so aussehen wie Dunham (Die 28-Jährige wird wohl drüber stehen. Sie ist nicht nur Schauspielerin, sondern auch Autorin, Produzentin und Regisseurin, Erfinderin und Star der äußert erfolgreichen HBO Serie, sowie des Kinofilms Tiny Furniture).
Nacktheit in Girls ist nicht ästhetisch inszeniert, sie ist nicht dazu da zu gefallen, sondern sie trägt dazu bei, authentische Geschichten zu erzählen.
Einheitsbrei im Überfluss
Ein Übermaß an Freizügigkeit ist allgegenwärtig in der Medienwelt und dennoch gibt es eine Doppelmoral. Sobald die nackte Realität nämlich runzelt, hängt, wellt und wabbelt, sagen nicht wenige: Das will doch keiner sehen. Außer natürlich an den Oberschenkeln diverser Stars, deren Bikinifotos mit hämischen Kommentaren versehen werden. Trägt das zu einer toleranteren Körperkultur bei? I don’t think so.
Wir brauchen Bilder von echten Frauenkörpern um wieder ein normales und vor allem vielfältigeres Verständnis von „schön“ zu bekommen. Schönheit liegt nämlich nicht im Auge des Betrachters, sie wird durch gesellschaftliche Diskurse produziert und diese Diskurse werden vor allem von Medienbildern bestimmt. Studien haben gezeigt, dass je länger wir auf ein Foto einer sehr dünnen Person starren, desto eher tendieren wir danach andere Personen, die ebenso dünn sind, als schön zu bewerten, umgekehrt verhält es sich, wenn man zuvor längere Zeit eine molligere Person betrachtet hat.
Die Wahrnehmung eines Bildes wird durch die nachträgliche Wirkung von direkt vorher betrachteten Bildern beeinflusst. Wir sind ständig aus einer Bilderflut von „perfekten“ Menschen umgeben. Retouchierte Ideale, die es in der Realität kaum gibt. Nicht mal Models können da noch mithalten. Und obwohl wir das eigentlich bereits wissen, fällt es uns zunehmend schwerer unperfekte Körper als schön wahrzunehmen.
Bilder sind stark, einprägsamer als Worte. Wir finden schön, was uns als schön präsentiert wird. Das dahinter keine objektiven Maßstäbe, sondern Verkaufszahlen und reproduzierte Machtverhältnisse stehen, ist schwierig zu differenzieren, denn normalerweise läuft beim Durchblättern von Zeitschriften oder dem Betrachten von Werbung nicht Konstant die Warnnotiz mit: „Das hier ist alles nur Fake um mir etwas zu verkaufen.“ Wäre es so, würde Werbung nicht funktionieren, und DANN hätten wir erst eine Krise!
Der aufmerksame Serien-Junkie mag nun anmerken, dass es sehr wohl Hauptrollen in Serien für Schauspielerinnen gäbe, die nicht dem Schönheitsideal entsprechen. Aber leider handelt es sich dabei oft um komödieske Charaktere, oft im Unterschichten-Milieu, wie etwa die fabelhafte Roseanne, Serien-Charakterie die man zwar sympathisch, lustig oder liebenswert findet, aber mit denen sich Frauen im wahren Leben nur schwer identifizieren können. Und nackt sieht man die Damen schon gar nicht.
It’s the feminism, stupid!
Girls bricht in vielerlei Hinsicht Lanzen für den Feminismus. Figurprobleme sind keinesfalls das Hauptthema der Serie, dennoch werden Hannahs Komplexe und Unsicherheiten ebenso thematisiert, wie der krankhafte Perfektionismus ihrer Freundin Marnie, die ihren Körper umso verkrampfter kontrolliert, je mehr Marnie ihr geordnetes Leben entgleitet.
Vieles was in der Serie gezeigt wird, ist nicht immer angenehm, aber dennoch war ich noch nie so erleichtert über die Art wie Frauen meiner Altersgruppe dargestellt werden.
Lena Dunham zeigt Frauen, wie sie wirklich sind und es ist eine Wohltat. Nicht nur weil ihre Körpermaße dem gängigen Ideal weniger entsprechen als die üblichen Serienheldinnen, oder man sie immer wieder in unvorteilhaften Positionen sieht, sondern weil sie auch Fehler und negative Eigenschaften haben dürfen, die komplexer sind als die übliche Tussi- (funktioniert seit Clueless) oder „sexy Dümmerchen“-Nummer (Klassiker: Kelly Bundy). Ja, die Damenwelt kommt nicht gut weg in Girls: Irrational, pedantisch, selbstsüchtig, wehleidig, egozentrisch, anstrengend und bedürftig manövriert sich das Quartett durch ihr unperfektes Leben zwischen Geldmangel und Suche nach Liebes- und Lebensglück. Erfrischend real. In den Problemen und oft haarsträubenden Charakterschwächen der vier Hauptfiguren, die in Girls präsentiert werden, erkennt sich so mancher (nicht nur weibliche) Seher wieder.
Aber ist es wirklich nötig, dass Dunham ständig nackt zu sehen ist?
Ausziehen für den Feminismus kennen wir ja von FEMEN. Wie feministisch es wirklich ist, wenn Frauen mit Barbie-Körper ihre baren Brüste mit feministischen Parolen in die Kameras halten, mag dahingestellt sein. Ich kann mir gut vorstellen, nicht nur Putin hat Fotos der FEMEN Aktivistinnen in seiner Nachtschublade liegen.
Mich stören die Brüste von FEMEN nicht und auch ich finde den Busen von Daenarys Targaryen in GOT schön anzusehen, aber Lena Dunhams Mini-Titten sind revolutionär – ja großartig.
Daher plädiere ich für mehr nackte Frauen im Fernsehen. Frauen mit dicken Oberschenkeln, schlaffen Oberarmen, Dellen am Arsch, Kratzern, Narben, roten Flecken und Unreinheiten auf der Haut, mit Speckröllchen beim Sitzen, Körperbehaarung, und das in unterschiedlichen Größen, Breiten und Hautfarben.
Bis es so weit ist, bleibt nur der regelmäßige Gang zum FKK oder – in unseren Breitengraden wahrscheinlicher – in die Sauna. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, nach anfänglichen Schock des eigenen Ästhetik-Empfindens, gewöhnt sich das Auge schnell an die Makelhaftigkeit der Durchschnittskörper. Und hoffentlich ist das ein Schritt, die eigenen Makel akzeptieren zu lernen.
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