Wir sind am Ende der Transsib-Strecke angelangt, haben seit Moskau sieben Stunden Zeit verloren, 8.413,07 km zurückgelegt und fühlen uns wie am anderen Ende der Welt. Östlicher als Wladiwostok geht nicht mehr.
Das San Franzisco des Ostens
Wladiwostok wirkt exotisch und vertraut zugleich. Durchaus mondän. Die Meereslage und die Fußgängerzonen geben ihm etwas Mediterranes, die Architektur ist eine Mischung aus Klassizismus und Jugendstil und erinnert an europäische Innenstädte. Viele Gebäude aus der Gründerzeit (ab 1860) sind gut erhalten. Aber auch die typisch russisch-orthodoxen Kirchen mit den goldenen Zwiebeltürmchen, teilweise gerade erst im Aufbau, prägen das Stadtbild ebenso wie zahlreiche Denkmäler für sowjetische Soldaten und Helden.
Da die Stadt extrem hügelig ist und man sich über steile Straßen quälen muss, macht es nur Sinn, dass Wladiwostok auch das San Francisco des Ostens genannt wird. Dieses Image wird durch die gigantische Brücke, die aus den unterschiedlichsten Ecken der Stadt erblickt werden kann, nur verstärkt. Sie wurde 2012 erbaut und überspannt die Hafenbucht „Goldenes Horn“.
Schlafen – Essen – Sightseeing
Unsere Unterkunft im Hotel Slavyanskaya (Narodnyy Prospekt, 28Б) liegt nur 10 Minuten mit dem Auto vom Stadtzentrum entfernt. Während die überforderte Rezeptionistin jede einzelne Seite unserer Pässe fotokopiert, verwickelt uns ein koreanisch aussehender Gast in ein Gespräch. Woher wir kommen, fragt er. Er komme aus Nordkorea, sagt er und lacht schallend über seinen Witz. Während seine russische Begleitung mit der Rezeptionistin ein paar Fragen klärt, zeigt er uns stolz Fotos von seiner gerade absolvierten Reise in Kamtschatka, wo er riesige Fische geangelt und einen Braunbären erlegt hat. Unsere Begeisterung hält sich in Grenzen.
Endlich können wir auf unsere Zimmer. Völlig erledigt müssen wir uns erst mal für zwei Stunden hinlegen. Mehr geht leider nicht, schließlich haben wir nur zwei Tage in Wladiwostok. Als wir uns wieder treffen, um Essen zu gehen, meint Julia, sie habe Michl gebeten, das Bett zu schütteln, damit sie das Transsib-Feeling habe. Kaum zu glauben, dass die Fahrt mit der Transsib nun vorbei ist.
Unsere Restaurantwahl fällt auf das Korean House. Da Korea quasi um die Ecke liegt, nehmen wir an, dass die Menschen hier etwas von dieser Küche verstehen. Und tatsächlich bekommen wir fantastisches Essen zu einem fairen Preis, gratis Tapas und koreanischen Tee und Likör obendrauf.
Die schönste Aussicht der Reise
Dann geht es schon ans Sightseeing. Wir spazieren durch die hügeligen Straßen auf und ab. Im „Adlernest“ (Orlinoe gnezdo) auf einem 214 Meter hohen Hügel erhalten wir den schönsten Ausblick auf die Stadt und vielleicht sogar unserer gesamten Reise. Eine Drahtseilbahn erspart den mühsamen Anstieg, aber wir verpassen den Einstieg und gehen zu Fuß.
Oben teilen wir uns die Plattform mit hundert koreanischen Touristinnen und Touristen. Professionell und teilweise ziemlich riskant posen sie vor der Goldenen Brücke (Zolotoj Rog) und dem Hafen „Goldenes Horn“. Die Brücke verbindet das Festland mit der vorgelagerten Insel Russki.
Ausklang mit Moscow Mule
Unter einem malerischen Nach-Sonnenuntergangshimmel spazieren wir die Ulitsa (Straße) Sukhanova hinab und kehren im Café Moloko y Med (Milch und Honig) und später in der Bar Old Fashioned ein, wo wir zum Abendessen Shrimps essen und Cocktails trinken.
Strand und Krabben
Am nächsten Tag fahren wir mit einem Uber ans Meer an einen kleinen Strand mit Liegestühlen und Sonnenschirmen (Ulitsa Tokarevskaya Koshka, 1, Vladivostok, Primorskiy kray). Eine Empfehlung der Rezeptionistin. Neben makellosen Russinnen auf Bräutigamschau brüten wir in der Sonne und baden im erfrischenden und sauberen Wasser.
Ein dickbäuchiger Russe (Kategorie ‚Businessman‘) quatscht Stefan auf Englisch an, als dieser Bier holt. Er kann nicht glauben, dass wir hier sind, wo es doch in Europa so schönes Meer gleich um die Ecke gibt. Als er erfährt, dass wir die Strecke auch noch mit dem Zug zurückgelegt haben, hält er uns für vollends verrückt und tippt sich mit seiner feisten goldringbehängten Hand an die Stirn. Aber da er uns für liebenswerte Verrückte hält, gibt er uns noch eine Menge Tipps. Wir sollen zum Beispiel unbedingt im gleich um die Ecke gelegene Crab House die besten Krabben der Welt probieren. Die Strandbar macht einen rustikalen Eindruck, aber das zarte Krabbenfleisch ist wahrscheinlich das Feinste, was wir auf der gesamten Reise gegessen haben. Wir bestellen gleich noch eine Portion plus Pommes und schauen der Sonne zu, wie sie im Japanischen Meer versinkt.
Ein bisschen Geschichte und noch mehr gutes Essen
Am Abend besichtigen wir das U-Boot C-56 im Hafen des Hauptquartiers der russischen Pazifikflotte. Zehn gegnerische Schiffe hat es im zweiten Weltkrieg versenkt, während es selbst den Angriffen von mehr als dreitausend Tiefbomben überstand. Die Gelegenheit einmal im Inneren eines Unterseebots zu sein, sollte man sich nicht entgehen lassen. Daneben ist ein Denkmal für die unfassbar vielen russischen Soldaten, die im zweiten Weltkrieg gestorben sind.
Zum Abschluss unseres Wladiwostok-Besuches, essen wir dann noch einmal richtig schick zu später Stunde im Japanischen Restaurant Zuma – auch eine Empfehlung von Stefans Strandbekanntschaft. Wir lassen die wunderbare Zeit in Wladiwostok, das uns auf so viele Weisen überrascht hat, noch einmal Revue passieren und beschließen wieder zu kommen. Am nächsten Morgen geht unser Flug nach Moskau schon sehr früh. Trotzdem hauen wir ordentlich rein. Im Zuma sind die Gerichte aufwendig, spektakulär und ebenfalls unglaublich gut. Aber an den Geschmack der Krabben vom Strand von Wladiwostok kann ich mich bis heute erinnern.
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