Seit gestern und einer langen unruhigen Nacht, weiß ich, was es bedeutet dem Boden unter den eigenen Füßen nicht zu trauen.
17.27 Uhr: Die Erde bewegt sich, schüttelt sich fast eine ganze Minute lang. Ich renne barfuss auf die Straße, wo sich auch alle Nachbarn versammeln. Ungläubige, verschreckte Gesichter. Ist es vorbei?
Schon seit Tagen ist von einem möglichen Erdbeben die Rede. Kritisch wurde das Wetter analysiert, und viele Nicas meinten, dass es bald soweit sei. In der Schule wurde darüber diskutiert, was in einem Notfall zu tun wäre, eine Exkursion nach Diriamba wurde abgesagt, weil die Eltern ihre Kinder nicht weglassen wollten, aus Angst vor einem möglichen Erdbeben.
Jetzt ist es da.
Ich bin gerade wieder im Haus von Mesfin und Martina (die gerade in Österreich ist) und froh darüber, denn es ist neu und im Gegensatz zu vielen Nicahäusern stabil gebaut. Trotzdem möchte ich es im Ernstfall nicht darauf ankommen lassen. Wir warten.
17.40. (ab jetzt ist jede Zeitangabe eine ungefähre Schätzung): Mesfin und ich checken das Internet. Gibt es noch keine Informationen? Der Strom ist ausgefallen, aber der Laptop hat noch Batterie.
Zittern unsere Beine so, oder bebt die Erde noch immer? Kommt es uns nur so vor, oder war es wirklich Windstill als die Erde bebte?
Der Wind ist zurück, aber es ist noch nicht vorbei, der Boden bewegt sich in sanften Wellen. Immer wieder ein starker, kurzer Ruckler.
18.00. Das Wasser wurde abgedreht. Dann funktioniert das Internet nicht mehr. Mesfin geht spazieren um etwas zu erfahren.
Der Strom kommt zum Glück schnell zurück.
18.30. Ich checke das Internet: Endlich, La Prensa, die größte Tageszeitung berichtet, es gab ein Erdbeben Stärke 6,2 der Richterskala, Zentrum in der Nähe Léons. Mehr nicht.
19.15. Immer wieder gibt es kurze, aber starke Nachbeben, die mich aufschrecken lassen, immer bereit zum weglaufen.
Es hört sich an als würde ein Zug unter deinem Haus hindurchfahren und das Gebäude so erschüttern, dass es wackelt. Oder als würde man selbst in einem alten Wagen sitzen, der über eine holprige Straße fährt, nur ist es eigentlich die Straße, die sich bewegt und der Wagen steht. Eine eigenartige Sensation.
Mehrmals springe ich auf und laufe zur Tür, kehre aber immer wieder ins Bett zurück, meine Beine zu schwach sind zum Stehen. Ich liege krank im Bett, weil ich die goldene Regel gebrochen habe und in einem unbedachten Moment Wasser aus der Leitung getrunken hab (nicht in Managua, sondern in einer Ortschaft, die ihr Wasser aus einem Brunnen schöpft). Da gehen meine Ferien-Pläne für Semana Santa die Klospülung hinunter. Ich wollte heute Nacht nach Guatemala fahren, aber 16 Stunden im Bus, mit Durchfall und Erbrechen möchte ich weder mir noch meinen Mitreisenden antun.
Am Nachmittag noch habe ich meine Eltern beschwichtigt, was für ein sicheres Land Nicaragua ist. Und meine Eltern waren erleichtert, dass ich nicht nach Guatemala gefahren bin, jetzt wird mir selber etwas mulmig.
Ich erinnere mich an meinem Traum, heute Nacht: Es gab ein starkes Erdbeben, aber ich konnte nicht weglaufen, ich war wie ans Bett geklebt, als wäre die Schwerkraft stärker geworden.
20.30. Ich bin erschöpft aber auch alarmiert. Wie soll man da schlafen, wenn jederzeit ein stärkerer Stoss folgen könnte? Was ist, wenn ich nicht rechtzeitig aus dem Haus käme? Vielleicht ist es aber auch harmlos? Wahrscheinlich ist es harmlos.
Mesfin meint, er habe sich schon an die Nachbeben gewöhnt. Er hat ja recht, nicht einmal ein Glas ist umgefallen, aber eigenartig ist das alles schon.
21.00. Ich lege meinen Pass und Haustürschlüssel griffbereit neben das Bett. Die Erde will einfach nicht stillhalten.
22.30. Ich hätte mitzählen sollen, wie viele Nachbeben es sind. Heute wird wohl ganz Managua kein Auge zutun.
07.00. Ich wache auf und mein erster Gedanke ist: Alles ok. Kurz bleibe ich noch liegen und da ruckelt es wieder. Es ist als würde die Erde schlecht schlafen, und sich unruhig hin und her wälzen.
07.15. Ich stehe auf und checke die Nachrichten. Die Prensa berichtet, dass es 350 Nachbeben waren, Stärke 4.4 – 5.4. Das Epizentrum des großen Erdbebens befand sich ungefähr 50 Kilometer nördlich von Managua in einer Tiefe von 10 Kilometern. Im Dorf Nagarote, am Managua-See, gab es die meisten Schäden. 700 Wohnungen wurden teilweise oder schwer beschädigt. In Managua wurde hingegen nur von drei Beschädigungen berichtet, wahrscheinlich weil die Gebäude sowieso baufällig waren. Viele Menschen haben auf der Straße übernachtet. Laut Erdbeben-Report.com gab es 33 Verletzte und einen Todesfall.
8.51. Noch sind alle Zahlen etwas unsicher. Aber es wird weitere Nachbeben geben. Die Regierung fordert die Menschen auf, Ruhe zu bewahren. Und wieder ruckelt es, nur ganz kurz. Bevor ich meinen Laptop weggelegt habe, ist es schon wieder vorbei.
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