Challenge: Nicaragua
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Managua – Eine Annäherung

Die Geräusche Managuas
Länger als bis sieben Uhr schlafe ich nie. Dann weckt mich der Gesang der Vögel auf, oder ein Hahn der immer irgendwo kräht, das Hupkonzert der Autos, das nur zwischen zwei und fünf Uhr Morgens aussetzt. Vertraut ist mir auch der Singsang der Verkäufer, die von Haus zu Haus gehen und ihre „Mandarinas-Cebollas-Platanos-Jacotes“ oder Meeresfrüchte und Fisch anbieten und das Klingeln des Eisverkäufers, der mit einem kleinen Wäglein, nicht größer als eine Schiebtruhe, herumfährt.
Im Moment wird alles übertönt vom Wind, der wohltuende Kühle bringt, aber auch alles mit einer braunen Staubschicht überzieht. Ich spüre die kleinen Teilchen auf der Tastatur unter meinen Fingern, sie kitzeln mich in der Nase, sie fliegen mir in die Augen, sie verbinden sich mit dem Papier meiner Bücher und werden langsam aber sicher, den sicheren Tod für meinen Laptop bedeuten, der schwer genug allein mit der Hitze zu kämpfen hat.
Doch das Rascheln, Kreisen und Aufbäumen der Luft hat eine beruhigende Wirkung auf mich, die leider immer wieder vom Schreckmoment unterbrochen wird, wenn eine Baseballgroße Mango mit einem lauten Knall auf unser Blechdach fällt.
Am Abend melden sich dann die Geckos zu Wort, die überall in Haus und Garten verteilt sind und die lästigen Moskitos fressen. Ihr schnalzendes Gackern ist mir das liebste Geräusch von allen und werde ich wohl immer mit meiner Zeit hier verbinden.

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Die Stadt im Bus „erfahren“
Ich habe das Gefühl Managua schon besser durchs Hören als durchs Sehen kennengelernt zu haben, aber diese Stadt erarbeitet man sich auch nur Stück für Stück.
Ich hab mir vorgenommen mehr zu Fuß zu gehen, aber lieber fahre ich mit dem Bus, denn jede Fahrt hat ihren eigenen Charakter. Die meisten Busse sind liebevoll verziert und jedes Mal tönt dir eine andere Musikrichtung entgegen. Oft singen die Fahrgäste mit. Schön finde ich auch Hinweise an den Fensterscheiben wie: „Bitte nicht in den Bus kotzen“.
Außerdem bin ich ja stolze Besitzerin einer „Tarjeta Tuc“, die praktische elektronische Fahrkarte, mit der man in ganz Managua für 2,50 Cordoba mit dem Bus herumtuckern kann.
Manchmal ergab sich schon ein kurzes Gespräch mit einem Fahrgast, der sich fragt was mich wohl in diese Gegend verschlägt, wohin sich offensichtlich niemals ein Tourist verirrt. Es wurde mir abgeraten mich in dem Viertel in dem ich arbeite, zu Fuß zu bewegen. Daran halte ich mich bis jetzt auch, denn obwohl ich mich mittlerweile dem Kleidungsstil der Nicas angepasst habe und dunkle lange Jeans trage, falle ich doch sehr auf, egal wo ich hingehe. Dabei gibt es viele hellhäutige oder blauäugige Nicas, aber blonde, hellhäutige und grünäugige Menschen sieht man, zumindest in der Gegend wo ich arbeite, so gut wie nie. Mittlerweile weiß ich auch, dass der Versuch mit „Ts,ts,ts“ meine Aufmerksamkeit zu erregen so normal ist, wie der Ausdruck „Chele“ oder „Chelita“, was soviel wie „Fremdaussehende“ bedeutet (und nicht unbedingt „Weiße“, wie oft in den Reiseführern steht). Solche Ausdrücke sind nicht abfällig gemeint, sondern völlig normal, denn die Leute sprechen sich hier auch mit Ausdrücken wie „Gordo“ (Dicker), „Flaca“ (Dünne) oder „China“ (Asiatischaussehende) an.

K800_IMG_5402 - Kopie                                                                 Die beleuchteten (und von einem Security-Mann bewachten) Kreisverkehre sind charakteristisch für Managua und prägen das Stadtbild. Die Bäume wurden von der einflussreichen Präsidenten-Gattin Rosario Murillo designt und stehen für das Motto des Jahres: „Construyendo patria“ (Schaffen wir das Vaterland).

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Wie die Streichhölzer in der Schachtel
Zu den Peak-Times sind die Busse so voll, dass es schon vorkommen kann, dass sich ein paar Leute aus den offenen Fahrtüren hängen müssen. An die Windschutzscheibe gepresst, die Schultasche eines Schülers gegen den Bauch gedrückt und meinen Fuß unter jemandes Schuh, sind die Busfahrten zwar eine akrobatische Herausforderung, aber auch das ist eine Erfahrung (die sicher bald zur Gewohnheit wird).
Normalerweise kommen die Busse recht häufig, aber es kann auch vorkommen, dass stundenlang überhaupt kein Bus mehr fährt, dann hat Herr Ortega, der Präsident des Landes, alle öffentlichen Busse für sich und seine Parteigenossen reserviert um zu irgendeiner Veranstaltung zu fahren.
Wenn es mir zu dumm wird mit dem Warten, nehme ich lieber eines der Taxis, die gleich 16 Mal teurer sind, aber umgerechnet trotzdem nicht viel mehr 1 Euro 15 Cent kosten. Für jene Einheimische jedoch, die normalerweise mit dem Bus fahren, ist das natürlich eine große Ausgabe. Verständlich also, dass solche Extravaganzen des Präsidenten nicht gut ankommen bei den Menschen in Managua.
Auch die Taxis sind leichter durchs Hören, als durchs sehen zu erkennen, da sie jeden anhupen, der verdächtig danach aussieht eine Fahrgelegenheit zu brauchen.
Es ist für mich ein Rätsel wie die Taxifahrer überhaupt Adressen finden, wo doch jede Ortsangabe ungefähr nach folgenden Schema klingt: Da wo einmal die ‚Name eines Gebäudes’ stand, zwei Blocks Richtung See, einen Block hinauf, bis ans Ende, gelbe Tür.

Keine Bilderbuchstadt, aber ein großes Kapitel Geschichte
Managua hat kein wirkliches Zentrum an dem man sich orientieren kann, keine Einkaufstraße und kein Ausgehviertel.
Erdbeben, nicht Architekten, haben diese Stadt geprägt. 1972 wurde die gesamte Stadt innerhalb weniger Minuten völlig zerstört.
Dort wo früher das Zentrum war, ist heute ein riesiger leerer Platz, der nun für Veranstaltungen genutzt wird. Zu Ehren Papst Johannes Paul II. wurde er zum „Plaza de la Fe“ benannt, obwohl dessen Besuch 1983 ein Desaster war. Nicaragua fand sich gerade mitten im blutigen Konflikt zwischen den linken sozialdemokratischen Sandinisten und den sogenannten Contras. Man hoffte auf Worte des Friedens, stattdessen hielt der Papst eine sowohl kulturell als auch politisch völlig unsensible Predigt, welche auf große Empörung stieß. Der Papst wurde mehrmals in seiner Rede unterbrochen und verließ die Bühne verärgert.
Heute wird der Platz auch für Veranstaltungen genutzt, vor allem jener der sandinistischen Regierungspartei, der Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN), zu denen dann die halbe Bevölkerung Nicaraguas busweise angekarrt wird.

K800_IMG_5459 K800_IMG_5456  Plaza de la Fe
Die Menschen haben sich nach der Katastrophe 1972 eher am Rande der Stadt rund um verschiedene Wasserquellen angesiedelt. Die Panik vor Erdbeben ist den Menschen geblieben. Jeder Ruckler den die Erde irgendwo in Nicaragua oder im Pazifik macht, wird aufgeregt diskutiert. Erst gestern gab es wieder einen starken Erdstoß (5,3) in der Nähe Managuas. Während ich es noch gar nicht einordnen kann, laufen die Nicas schon alle auf die Straße, nur um dort festzustellen, dass über ihnen Stromleitungen hängen, deren Masten keineswegs stabiler als die Hausmauern sind.
Natürlich wurde Managua auch von seiner Geschichte der sandinistischen Revolution stark geprägt.
Am Loma de Tiscapa – eine Hügel der die Stadt überblickt und eine schöne Aussicht auf die umliegenden Vulkane bietet – thront in gewaltiger Größe der schwarze Umriss des Mannes, der jedem hier bekannt ist: Augusto C. Sandino. Das Symbol für Nicaraguas Widerstand gegen die amerikanische Besetzung in den 1920 und -30er Jahren und Leitfigur der sandinistischen Revolution in den 1970er Jahren gegen die Diktatur des Somoza-Clans.

Vergesst Che!
Der Hügel beherbergt auch die Überreste des Palastes des Diktators Anastasio Somoza Debayle, der durch die sandinistische Revolution 1974 gestürzt wurde, sowie ein Museum über Sandinos Leben.
Hier kann man die filmreife Geschichte des sieben-jährigen Kampfes in den Jahren 1927-1933 Sandinos kennenlernen. Ich frage mich ernsthaft warum Hollywood das Leben dieses Mannes noch nicht verfilmt hat. Der Stoff ist genial: ein Junge aus armen Verhältnissen sieht, dass seinem Volk durch die amerikanische Besetzungsmacht grausames Unrecht geschieht, wird glühender Patriot, wagt das Unmögliche. Startet eine Revolution. Einfache Bauernfamilien formieren sich zur Stütze der Guerillas. Der scheinbar Schwache wehrt sich erfolgreich gegen den übermächtigen Starken durch jede Menge List und Tricks. Geheimnisvolle Geldgeber und Geheimbünde haben ihre Finger im Spiel. Für jede Menge Action sorgen die Kampfszenen im Wald. Natürlich auch viel Potenzial für eine kitschige Liebesgeschichte. Szenen von Frauen die mit Kindern an den Brüsten kämpfen, von Frauen, die amerikanische Soldaten verführen und damit in eine tödliche Falle locken. Dann endlich ein Friedenspakt, man denkt, alles gut.
Doch (Achtung, Spoiler-alert!) in einem hinterhältigen Manöver werden Sandino und vier seiner engsten Mitstreiter von jenen Menschen, die ihnen auf Fotos lächelnd die Hand schütteln, kaltblütig ermordet.
Wie durch ein Wunder kann der fünfte im Bunde lebend entkommen und gründet die sandinistische Partei, die Jahre später, 1979, in einer Revolution das grausame Nachfolger Regime stürzt.

Sandino ist noch immer der Held der Nation. Auch die Sandinisten hatten Anfangs einige gute Initiativen (wie eine Alphabetisierungskampagne und Verbesserung des Gesundheitssystems) aber von den Idealen der Revolution ist nicht viel geblieben. Wie das immer so ist, bereichert sich der neue Präsident Daniel Ortega und verteilt das Geld an seine Familie und Verbündete während der Großteil der Bevölkerung sich abstrudelt, improvisiert und gegenseitig unterstützt um gerade mal so zu überleben.

K800_IMG_5452 - Kopie       K800_IMG_5450 - KopieDie Treppe zu Somozas nicht mehr vorhandenen Palast und das Sandino Museum   K800_IMG_5445 - Kopie Ein Eisverkäufer am Lomo de TiscapaK800_IMG_5438 - Kopie K800_IMG_5433 - Kopie  K800_IMG_5430 - Kopie Panzer: Geschenk von Mussulini an Somoza & die alles überragende Silhouette Sandinos

K800_IMG_5424 - KopieK800_IMG_5421 - Kopie  K800_IMG_5423 - Kopie   Die schöne Aussicht auf Managua & Spielplatz für Eltern, die ihren Kindern das fürchten beibringen wollen, nicht weit von den ehemaligen Folterkammern Somozas

K800_IMG_5422 - Kopie  K800_IMG_5419 - Kopie    K800_IMG_5417 - Kopie                                                     Informationstafeln über die Geschichte der Revolution

Wenn Sozialdemokraten pink tragen…                                                                        Was bleibt sind große Worte, viel Kampagne und Trara in bunten Farben – 2014 ist das Jahr in pink, das sich mit den Parteifarben Rot-Schwarz grausam schlägt.
Brot und Spiele für das Volk, aber keine langfristigen strukturellen Maßnahmen um etwas an der Situation der Menschen dauerhaft zu verändern. Die Gattin des Präsidenten Daniel Ortega hat eine barbiebunte Promenade am Rande des Managua Sees bauen lassen. Eine Freizeitmeile, wenn man so will, mit Vergnügungspark, Spielplätzen für Kinder und Bars für die Erwachsenen.
K800_IMG_5469 K800_IMG_5468 K800_IMG_5467 K800_IMG_5464                                                               Sandino Statue wie es sie überall im Land gibtK800_IMG_5463 K800_IMG_5456 K800_IMG_5455 - Kopie
Bunte Fahnen flackern entlang des perfekt asphaltierten Geländes (das soll hier erwähnt sein, da in der Regel, die Straßen kaputt und aufgebrochen sind), kleine Sitzkreise mit Strandschirmen vermitteln ein Urlaubsfeeling, auch wenn der schöne See leider so verunreinigt ist, dass man nicht einmal einen Zehen ins Wasser stecken möchte.
Hunderte Themen-Restaurants und Bars mit Namen wie Kuba oder Venezuela laden zum Verweilen ein, auch wenn das Essen hier für die meisten Nicas natürlich zu teuer ist. Trotzdem fahren Familien gerne hier her um abzuhängen. Wohin auch sonst?
Auch das moderne Theater Ruben Dário ist prachtvoll und bietet sogar immer wieder gratis Konzerte an. Geld ist da, aber wo fließt es hin? Nicht in das Viertel in dem ich arbeite, wo die Leute Probleme mit Wasser- und Strommangel haben. Auch nicht in die Straßen, wo Anarchie und Chaos herrschen und jeder Verkehrteilnehmer ein Fatalist ist.
Wie gesagt, Managua muss man sich Stück für Stück erarbeiten. Ich habe ja noch nicht einmal die Hälfte des riesigen Marktes Roberto Huembes ganz in meiner Nähe gesehen, in dem man wirklich alles kaufen kann.

Managua ist bestimmt nicht schön und der Lebensstandard ist niedrig, aber eines bietet die Stadt auf jeden Fall: gute Geschichten. Ich bin genau richtig hier.

 

K800_IMG_5494 K800_IMG_5493 K800_IMG_5492  Unreife Jacotes K800_IMG_5491 K800_IMG_5490 K800_IMG_5488 K800_IMG_5486 K800_IMG_5482 K800_IMG_5480                                                             Den Figuren und Formen der Piñatas sind keine Grenzen gesetzt

 

 

 

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