In Gesellschaft
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Ist genug Platz für Söhne & Töchter in der Nationalhymne?

…oder geht der Feminismus zu weit?    

Kleine Gesten, erzielen oft große Wirkungen. Im Januar 2012 wurde die österreichische Nationalhymne umgeschrieben: „Heimat bist du großer Söhne“, der Originaltext von 1946,  wurde auf „Heimat großer Töchter und Söhne“ geändert. Ein symbolischer Akt um Frauen als gleichwertigen Teil in der Gesellschaft sichtbar zu machen. Es folgten Debatten darüber ob es rechtens wäre ein historisches Dokument zu ändern, zudem wurde die melodische Störung durch den Zusatz kritisiert.

Neben diesen Bedenken gab es allerdings auch einen weit hitzigeren Diskurs darüber, ob diese Veränderung nicht unnötig gewesen sei und ob es nicht wichtigere Dinge gäbe, um die man sich kümmern müsse – ein Vorwurf der immer dann aufkommt, wenn versucht wird mittels gendersensibler oder -neutraler Sprache die Präsenz anderer Geschlechter neben dem Männlichen hervorzuheben.

Der Hymnen-Eklat

Im Juni 2014 war die „gegenderte“ Hymne erneut ein Thema in den Medien, nachdem der österreichische Volkssänger Andreas Gabalier bei einem Auftritt beim Formel 1 Grand Prix in Spielberg die alte Version der Hymne sang und das damit rechtfertigte, dass er nur so gesungen habe, wie er es in der Volksschule gelernt hatte.

Während Gabalier, der gerne von „Madln“, „Engerl“, „Rehlein“ oder „Zuckerpuppen“ singt, auf den Applaus seiner Fangemeinde zählen konnte, hagelte es Kritik vor allem von feministischen Organisationen sowie der Grünen Partei Österreichs. Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) fühlte sich bemüßigt, den Sänger zu verteidigen. FPÖ-Frauensprecherin, Carmen Gartelgruber meinte, Gabalier habe vielen Frauen aus dem Herzen gesprochen und sie verurteile den

„Beißreflex linkslinker Emanzen“.

Der wirkliche Kampf spielte sich aber im Internet ab. Die SPÖ-Politikerin und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek postete auf Facebook einen sarkastischen Kommentar mit dem Text der neuen Hymne und den Worten, dass dies eine “kleine Lernhilfe” für Gabalier sei. Daraufhin wurde Heinisch-Hosek mit einem sogenannten Shit-Storm konfrontiert, der sogar Morddrohungen enthielt.

Die Töchter-Hymne ist nur ein kleiner Teil einer großen Diskussion, allerdings enthüllte sie die Aggression und Brisanz dieses vermeintlich „trivialen“ Themas.

“Es brauchte Jahre bis ich mich als Feministin bezeichnen konnte”

Aber selbst im gemäßigten Umfeld werden gender-neutrale Maßnahmen wie etwa das Binnen-I oft als nervig, ästhetisch hässlich, übertrieben und unnötig angesehen.

Gleichsam wird auch Feminismus an sich als negativ und extrem wahrgenommen. Als Resultat haben immer mehr Frauen Hemmungen sich als Feministin zu bezeichnen.

So auch Helene, eine 19-jährige Studentin der Kulturwissenschaften aus Deutschland, die gendersensible Sprache zwar sehr wichtig findet, sich aber nicht Feministin nennen würde, da ihr „das Image, das Feminismus im Moment hat“ nicht gefalle.

“Das Thema ist so wichtig, aber es ist so schade, dass diese Themen dann so negativ besetzt sind.  Es ist unangenehm zu sagen, Feministin zu sein“, meint auch die 24-jährige Alicia, aus Österreich.„Feminismus wird überall in der Welt als etwas Schlechtes angesehen“, stellt die 20-jährige Aktivistin Yara aus dem Libanon fest.

Ebenso ist es mit den Klischees der unattraktiven Männerhasserin.

Sabine, 20, aus Lettland beklagt, dass in ihrem Land Feminismus nicht einmal ein Thema sei, über das in der Politik gesprochen werde. Frauen, die sich dafür einsetzen, müssen mit Beschimpfungen rechnen. „Ich wurde schon zweimal als Femi-Nazi bezeichnet“, berichtet die junge TV-Journalistin. Sie zeigt den Screenshot einer Twitter Nachricht an eine lettische Bloggerin, die über feministische Anliegen schreibt. In der Nachricht meint der männliche Absender, warum sich eine so hübsche Frau wie sie, mit einem solchen Thema beschäftige und das nicht den „hässlichen Mädchen“ überlasse. So lasse sich die Wahrnehmung von Feministinnen gut zusammenfassen, meint Sabine lapidar.

Basma, Journalistin und Trainerin aus Ägypten erzählt, dass es Jahre gedauert habe, bis sie erkannte, dass sie eigentlich schon immer Feministin war, sie aber die Vorurteile über „Frauen, die wie Männer sind, die trinken und rauchen“ abschreckten. Heute ist die 26-Jährige stolz Feministin zu sein.

Übertreibung und diskriminierte Männer

Aber warum wird der Einsatz für Gleichberechtigung der Geschlechter so negativ wahrgenommen? Woher kommt all die Ablehnung? An welchen Punkt hat Feminismus versagt? Wir haben diese Fragen auch jungen Männern gestellt. Mathias*, ein 26-jähriger Geschichtestudent aus Österreich, erklärt, dass er das Gefühl habe, die Gender Diskussionen gingen zu weit, „jeder Satz wird zu einem Politikum“. Zwar sehe er ein, dass Sprache einen Einfluss auf unser Denken habe, allerdings halte er die ganze Debatte um das Binnen-I und Co. für völlig übertrieben. Seiner Meinung nach seien die Ziele des Feminismus bereits erreicht: wie etwa legale und soziale Gleichheit. Im Gegenteil, nun sei es eher so, dass Männer immer öfter Diskriminierungen ausgesetzt seien. Etwa bei der Quotenregelung oder in Scheidungsfällen bei Fragen der Fürsorge.

Andere der befragten Männer hatten einen anderen Standpunkt. Der 21-jährige NGO Aktivist Boro aus Bosnien bezeichnet sich – im Gegensatz zu den weiblichen Befragten – ohne Scheu als Feminist. Der junge Mann, der sich seit seinem 12. Lebensjahr für feministische Agenden engagiert vertritt die Meinung, dass Geschlechtergerechtigkeit auf jedem Level stattfinden muss, inklusive Sprache. Sein Kollege Haris, der ebenfalls für feministische Thematiken in Bosnien eintritt, warnt jedoch vor „feminist-terrorism“, wenn seine Geschlechtsgenossen so behandelt werden, als wäre es schon ein Verbrechen an sich, ein heterosexueller Mann zu sein. Außerdem warnt er davor, dass sich Politiker eher mit „leichteren“ Themen wie gendersensible Sprache beschäftigen, anstatt die schlimmeren Probleme wie häusliche Gewalt zu bekämpfen.

Weniger urteilen, mehr Verständnis

„Sprache prägt unsere Identität und Psychologie“, betont  Sofia Leonidakis. Sie ist Mitglied der deutschen Partei Die Linke und Teilnehmerin eines Mentoring Programms für junge Frauen. Allerdings findet sie es wichtig, Menschen zuzugestehen, dass die Veränderung von Sprache Zeit braucht. Zu penetrantes Beharren auf gendergerechte Sprachweise hält sie für kontraproduktiv:

„Sprache ändert sich nicht einfach über Nacht, es ist ein Prozess. Wir dürfen da nicht urteilen. Wir müssen tolerant sein, wie die Leute sprechen, ansonsten verursacht das eine Abwehrhaltung“.

Dennoch sei gendersensible Sprache elementar um Aufmerksamkeit dafür zu schaffen, dass unsere Gesellschaft noch immer patriarchal organisiert sei. Um Gleichheit für alle zu erreichen, müssen Frauen und transgender Personen noch immer ihre Rechte einfordern, erklärt sie.

„Wir kriegen nichts geschenkt. Wir mussten immer für das kämpfen was wir jetzt haben. Manchmal ist das etwas unangenehm, manchmal ist das gefährlich, aber das sollte uns nicht davon abhalten dafür zu kämpfen.“

Mechthild Koreuber, die zentrale Frauenbeauftragte der Freien Universität Berlin, unterstreicht die Relevanz von Genderneutralität, da Sprache die Moralvorstellungen einer Gesellschaft ausdrücken. Wann immer wir an alltägliche Aktionen denken, ist Sprache involviert. Sprache hat das Potenzial diskriminierende Strukturen aufzuzeigen, um Gesellschaft kulturell zu verändern muss daher mit Sprache gearbeitet werden.

„Wenn ich etwas verändern will, bin ich verpflichtet die weibliche Version zu verwenden. Das ist mein Anspruch und meine Erwartung“.

Als konkretes Beispiel nennt sie den Mangel an Frauen in technischen Berufen – das Ergebnis eines kollektiven Versagens, Frauen für das Erlernen dieser Berufe zu ermutigen.

Studien haben gezeigt, dass es nicht reicht eine Jobausschreibung sowohl an Männer als auch an Frauen zu adressieren, allein die Art der Formulierung entscheidet ob sich eher das eine oder das andere Geschlecht angesprochen fühlt. „Die deutsche Sprache ist so vielfältig, warum sollten wir das nicht nutzen?“, fragt Koreuber.

Patrick Grunhag, Mitglied der Grünen Jugend und Jugendpresse Berlins, stimmt mit Koreuber und Leonidakis überein. Am meisten störe es ihn, wenn Frauen von sich selber in der männlichen Version sprechen, etwa wenn sie sagen: “Ich werde Lehrer” nicht „Lehrerin“. “Das macht doch keinen Sinn“, meint Grunhag.

Aya, eine feministische Bloggerin aus Tunesien, beschäftigt sich mit vielen konkreten Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen, dennoch ist für sie gender-neutrale Sprache ein sehr wichtiges Thema. Die stolze Tunesierin ist überzeugt, dass Kultur und besonders Traditionen und Sprache der Schlüssel für Veränderungen in der Gesellschaft sind. Aya beschwert sich, dass ihr Land anfangs im Vergleich zum Rest der Region sehr progressiv hinsichtlich Frauenrechte war, doch seit Jahren gäbe es keine Verbesserungen mehr. Dennoch habe ihr der kulturelle Austausch mit Frauen aus westlichen Gesellschaften gezeigt, dass diese ebenfalls ihre Probleme haben. Für sie ist der symbolische Akt, wie das Ändern einer Hymne, ein entscheidender Faktor. Auch sie kämpft für die gleichwertige Nennung von Frauen und Männern in offiziellen Dokumenten.

„Während der Arabischen Revolution haben wir gespürt, dass nun der Zeitpunkt für einen Wandel gekommen war. Wir sind auf die Straße gegangen um die Verfassung zu verändern, damit wir ein legales Dokument haben, das besagt, dass Frauen und Männer gleich sind.“

Vielleicht ist die anti-feministische Haltung, die durch die Hymnen-Debatte zum Vorschein kam, ja einfach die normale Begleiterscheinung die Frauen überall auf der Welt schon seit Beginn des Feminismus begegnet. Vielleicht braucht es einfach nur wieder ein bisschen mehr Selbstbewusstsein zu sagen, „ja, ich bin Feministin, aber keine Angst, ich beiße nicht“.

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*Name wurde geändert.

 

 

 

 

 

 

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