Neuanfänge geben Hoffnung auf Veränderung. Alles wird wie neu sein! Es ist ein kleines bisschen so, wie wenn man sein Leben auf Re-start stellt, um diesmal alles besser zu machen. Eine neue Chance. Was gibt es Besseres? Deshalb also…Neujahrsvorsätze.
Leider ist Veränderung kein Sonntagsspaziergang und so begibt es sich, dass einem mit fortschreitendem Alter die Vernunft leise zuflüstert:
„Deine dämlichen Vorsätze sind für’n Hugo, du Heuchlerin„
Den Rutsch ins neue Jahr habe ich heuer trotzdem bravourös gemeistert, weil ich mich zum ersten Mal strickt an meinen Pre-Jahreswechsel-Vorsatz gehalten und Sekt wie Ausschlag gemieden habe. Dabei hatte ich mir ja eigentlich vorgenommen, keine Vorsätze mehr zu machen, denn ich bin furchtbar schlecht darin sie einzuhalten. Das ist verwirrend. Selbst wenn ich mir vornehme, mir nichts vorzunehmen, nehme ich mir insgeheim ja doch was vor. Aber egal.
Wovon ich eigentlich sprechen wollte, war über einen Vorsatz, den ich schon 2013 gefasst hatte, nämlich: nachhaltig und fair zu leben.
Jetzt erstmal ein besserer Mensch zu werden
Meine Kleidung stinkt nach Ausbeutung und verpesteten Flüssen, in meinem Laptop stecken Kriegsgüter, mein Einkaufsverhalten baut auf Sklaverei, Verschwendung und Kurzsichtigkeit auf. Und für mein Essen leiden Tier- und Umwelt. Wir alle wissen, dass es so ist, aber wie Deichkind schon sangen:
„Kleine Kinderhände, nähen schöne Schuhe, meine neuen Sneakers sind leider geil.“
2013 sollte sich das alles ändern. Ich hatte gerade mein Masterstudium abgeschlossen und brauchte etwas Neues, dass mein Leben ausreichend verkompliziert. So beschloss ich kurzerhand ab jetzt fair und umweltbewusst zu leben. Ich wusste, dass es nicht leicht werden würde, in einer Welt, in der Konsum als Lösung aller Probleme angeboten wird, aber ich hatte ja keine Ahnung wie schwierig es wirklich ist.
Hier ist meine Geschichte. Möge sie euch allen Befriedigung und Genugtuung geben, die ihr mir sagtet: „Irina, du übertreibst es schon wieder.“
Fair leben – Vorstellung vs. Realität
– Vorsatz 1: weniger Müll produzieren
Vorstellung:
Eine plastikfreie, solarbetriebene Welt. Dinge werden repariert statt weggeworfen, sogenannte „geplante Obsoleszenz“ (vor allem in Druckern und MP3-Playern) entlarvt und diese Produkte strickt gemieden, statt Unmengen an unterschiedlichen Hygieneartikel in lauter kleinen Plastiktuben und Tegeln werden nur mehr ein paar wenige Seifenprodukte und große Nachfüllpacks verwendet, das Jutesäckchen immer dabei wird auch beim Einkauf Müll vermieden.
Realität:
Man merkt erst wie viel Müll man wirklich täglich produziert. Essens-Bestellungen werden damit praktisch unmöglich ( Sushi ohne Stäbchen??), das Jutesäckchen erscheint einem wie ein Hohn angesichts der dreifach verpackten Artikel, die übers Kassenband laufen, zum Reparieren braucht man handwerkliches Talent und vor allem meist mehr Geld als für einen Neukauf ditto beim Kauf von Produkten, die einem wirklich drei Jahre Qualitätsgarantie bieten. Und die Öko-Seife macht deine Haare nun mal nicht so schön geschmeidig wie das Shampoo im Minifläschchen vom Friseur. Spätestens als du die die Müllpolitik anderer Länder (drop it like its hot, drop it like its hot) wieder ins Gedächtnis gerufen kriegst oder siehst wie im Berufsalltag Papier verschwendet wird, heißt es Kapitulation und dir bleibt nur mehr das schlechte Gewissen, wenn du an einem Baum vorbei gehst.
+ Trotz teureren Anschaffungskosten – Langfristig gesehen spart konsequente Müllvermeidung Geld.
– Viel Vorausplanung nötig, nichts für die Chaoten unter uns.
– Vorsatz 2: Nicht bei menschenverachtenden und preisdrückenden Riesen wie Amazon und Zalando bestellen
Vorstellung:
Ab jetzt nur mehr in kleinen Geschäften mit netter persönlicher Betreuung einkaufen und damit Arbeitsplätze sichern.
Realität:
Man erkennt, dass im Internet einkaufen THE DREAM ist und man gut und gerne auf weniger Auswahl, Warteschlangen, nach Schweiß stinkende Kabinen oder den Druck von übermotivierten VerkäuferInnen verzichten kann.
+ Man kauft generell weniger ein, außerdem ist dieser Vorsatz am leichtesten umsetzbar.
– Vorsatz 3: Nur fair produzierte Kleidung kaufen
Vorstellung:
Du triffst deine Kaufentscheidungen ab jetzt bewusst und erwachsen. Massenmode a la H&M und Zara sind Geschichte, dafür bist du in lässiger Second Hand Mode gekleidet und strahlst aus deinem Inneren aufgrund deines guten Karmas. Deinem gutem Beispiel folgen die Menschen in deinem Umfeld und gemeinsam löst ihr eine Welle des Umbruchs aus, dem sich die Großkonzerne nicht mehr entziehen können.
Realität:
Spätestens nach einem halben Jahr läufst du wie eine Sandlerin herum, weil du deine alten Billig-Teile bis zum Zerfallen aufträgst. Löcher und Flecken müssen hingenommen werden, denn die Alternativen lauten:
a) Unleistbare Fair-Trade-Läden, wo ein Paar Socken schon dein Monatsbudget ausreizen würden.
b) In Wiens Second Hand Läden für eine durchlöcherte Jacke mehr als im Firts-Hand-Geschäft zahlen, weil es ja so retro ist.
c) An deinem freien Tag früh aufstehen um noch etwas Brauchbares auf Flohmärkten zu ergattern (no way).
d) dich bei Hipster-Events wie „Mondscheinflohmärkte“ und Fesch’Markt Stunden lang anzustellen um dann Kompromiss-Käufe zu tätigen, weil du ja jetzt schon mal da bist. Nicht zu vergessen die selten tragbaren Fehlkäufe, weil dich die Coolness-Rate der It-Crowd um dich herum verunsichert hat.
Irgendwann steckt dir deine Mutter Geld zu und fleht dich an endlich neue Schuhe zu kaufen und als du nach 1,5 Jahren wieder ein Geschäft betrittst bricht der Damm und du kaufst statt einem gleich vier Paar Schuhe auf einmal und entwickelst außerdem eine fragwürdige Vorliebe für Pullis mit Glitzerelementen (True Story).
+ Wer die Alternative a) meidet spart sich extrem viel Geld zusammen.
-Vorsatz 4: Regionaler essen
Vorstellung: =Realität
Gut, dieser Punkt war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, angesichts meiner Abneigung gegenüber allem was mit Kochen zu tun hat und der Tatsache, dass ich nicht auf oder in der Nähe eines Bauernhofs wohne. Aber irgendwann, wenn ich dann in einer Kommune mit eigenen Garten lebe, dann ganz bestimmt
+ Man erkennt, dass man wirklich gut auf einige Dinge verzichten kann und entdeckt heimische Lebensmittel neu (Fenchel, Knollensellerie, allerlei Rüben etc.)
– Vorsatz 5: Niemals ein Smartphone kaufen
Vorstellung:
An diesen Vorsatz halte ich mich 100%. Weil:
Realität:
Smartphones sind der Teufel und das Iphone ihr Anführer. Jedes zweite Jahr muss ein neues her weil das alte nicht mehr „nigelnagelneu“ ist, wie es in der wirklich absurd bescheuerten Werbung eines österreichischen Mobilfunkanbieters heißt. Der gefährliche und gesundheitsschädigende Elektroschrott landet auf sogenannten Müllinseln die so groß sind wie Indien, aber eh irgendwo ganz weit weit weg von uns, also wenn interessierts? Ein Smartphone benötigt über 40 verschiedene Rohstoffe. Viele der nötigen Metalle kommen aus Minen in Kriegsgebieten, deren Einnahmen an Warlords gehen. Sogar die Macher des „Fairphones“, die den Versuch starteten ein komplett nachhaltiges und nicht auf Ausbeutung basierendes Handy zu produzieren, hatten Probleme alle Materialien für ihr Produkt aus fairen Quellen zu beziehen. Ergo: Mich kriegt ihr nicht!
Realität 2:
Spätestens wenn dein Steinzeit-Handy und dein MP3 Player aus der Vor-Vorsatz-Zeit das Zeitliche segnen, musst du anerkennen, dass die Perspektive auf ein Leben ohne Musikhören während Öffi-Fahrten an Grausamkeit grenzt und der Kauf eines Gerätes, dass mehr als nur zum Telefonieren verwendet werden kann, wohl sinnvoller ist, als sich sowohl einen MP3 Player als auch ein Handy (oder eine Kamera, ein Navi, einen Wecker…) extra zu kaufen.
Was passiert? Irgendwann, als die letzte deiner Art, gibst du nach und kaufst dir auch widerwillig so ein „Klumpert“ von Smartphone, wirst natürlich sofort süchtig und musst den Spott deiner Freunde und Eltern ertragen, weil du sie um Hilfe bitten musst um beim whatsappen einen Umlaut zu machen.
Kapitulation
Zusammenfassend muss ich gestehen, dass meine Ziele zu hoch gesteckt waren. Meine Vorsätze hatten eine zu starke und plötzliche Veränderung meines gesamten Lebensstils verlangt. Leider lebe ich nicht auf einem Selbstversorger-Bauernhof und habe weder die Zeit noch die Energie immer den mühsameren Weg zu gehen. Eitelkeit ist nebenbei auch ein Hindernis. Ja, das Fleisch ist schwach…
ABER trotzdem gehe ich diesmal nicht frustriert aus meinem Projekt hervor, denn ich habe einiges über mein Konsumverhalten gelernt, es graduell doch verändert und konsumiere seither bewusster und vor allem weniger. Diese Erkenntnis bleibt.
Achja, und natürlich diese: Smartphones sind leider geil.
Nein, ernsthaft Leute: Curb your shopping-enthusiasm!
Wie das geht? Davon das nächste Mal mehr.
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