Das war eine schwierige Woche für mich. Gleich am Montag hatte ich einen totalen Einbruch, der mich ziemlich viel Kraft und Mut gekostet hat. In einer Unterrichtsstunde ging so ziemlich alles schief, was schief gehen kann. Auf einmal – im Angesicht des puren Chaos und Kontrollverlustes – habe ich sogar die Sprache buchstäblich verloren, so dass eine übereifrige Schülerin mein Gestottere in „richtiges“ Spanisch übersetzt hat: „Die Lehrerin sagt: Ihr sollt euch hinsetzen!“ Selten habe ich mich so hilflos und gedemütigt gefühlt.
Dazu kamen all die Frustrationen. Es ist frustrierend, soviel nicht zu verstehen. Es ist frustrierend, mich nicht ausdrücken zu können. Und nicht immer zu wissen was gerade vor sich geht. Es ist anstrengend, aufzufallen wie ein bunter Hund. Schlafmangel, Hitze und Staub tun ihr übrigens, ich war wahnsinnig erschöpft.
Nach einer Woche grübeln, denke ich, dass ich die Lektion verstanden habe: ich kann nichts erzwingen (weder, dass ich schneller Spanisch lerne, noch, dass ich hier jetzt auf einmal den Wahnssinnsunterricht absolviere). Ich muss wohl den Dingen ihren Lauf lassen.
Nachdem es mir wirklich sehr schlecht ging am Montag, habe ich für den Rest der Woche nicht mehr unterrichtet, sondern beobachtet und gelernt:
1. Chaos ist Programm
Ich habe großen Respekt vor den LehrerInnen im „Colegio Solidario entre los Pueblos“. Abgesehen von der großen Anzahl an SchülerInnen in einer Klasse, müssen sie auch noch mit völlig begrenzten Mitteln zurecht kommen. Stimme und Tafel sind die einzigen Übermittlungsmedien. Es gibt keinen Drucker um Übungszettel zu verteilen, nur eine Klasse hat Strom um z.B. einen CD-Player anzuschließen, die meisten Kinder haben keine Schulbücher, weil die Eltern dafür bezahlen müssen und auch sonst kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle SchülerInnen Buntstifte, Schere, Kleber oder ähnliches besitzen. Keine unwesentlichen Utensilien in Vor- und Volksschulen.
So muss die Lehrerin beim Basteln von einem Schüler zum nächsten um Klebstoff für die Bastelaufgabe zu verteilen, was zur Folge hat, dass ungefähr 5 Kinder arbeiten, während die anderen 45 warten und irgendetwas anderes machen, das nichts mit dem Unterricht zu tun hat. Natürlich ist der Unterricht daher besonders bei den kleinsten, sehr chaotisch.
„Ay, Ay, Ay, chico!“ ist da noch der mildeste Ausdruck, denn man braucht um die Meute zur Aufmerksamkeit zu ermahnen.
Aber die Lehrer bleiben cool, was sollen sie auch tun? Sie machen ihr Ding und versuchen das Chaos in einem gemäßigten Grad zu halten, ob alle Kinder mitmachen liegt nicht in ihrer Macht.
Trotzdem, um mich für die nächsten Stunden zu wappnen, habe ich meinen Spanischunterricht diese Woche vor allem dazu genützt, sämtliche „Tu das“/“Tu das nicht“-Imperative zu lernen.
2. Tranquilo! – Alles nicht so tragisch
Während ich mich schuldig gefühlt habe, dass die Kinder nun eine Woche lang keinen Englischunterricht haben, ist es in Wahrheit nur halb so schlimm. Ohne mich würde es überhaupt keinen Unterricht geben und dann würde die Welt sich trotzdem weiterdrehen.
Es war der Vorschlag der Direktorin und des Vizerektors, dass ich vorerst einmal nur hospitiere. Schön wäre natürlich gewesen, wenn sie das auch an die anderen Lehrenden und den Kindern weitergeleitet hätten, aber irgendwie sind große Ankündigungen und Klarstellungen ihre Sache nicht. Weshalb ich auch eine Woche lang gefühlte tausendmal erklären musste, warum ich einfach nicht zu meiner eigenen Englischstunde erschienen bin.
Mir war das natürlich furchtbar unangenehm, aber überraschenderweise hat mir niemand diese Verwirrung übel genommen. Es wird akzeptiert wie es ist, niemand regt sich auf, „tranquilo, tranquilo“ – stattdessen wurde mir – sowohl von den Kids, als auch von den Lehrerinnen – unglaublich viel Herzlichkeit und Verständnis entgegen gebracht.
3. Lass dir helfen!
Die Direktion hat mir ein Treffen mit dem ehemaligen profesor de inglés organisiert hat, der zwar kaum Englisch spricht, dafür aber umso besser weiß, wie man in Nicaragua einen Unterricht effektiv plant und auf was man achten muss.
Ich muss zugeben: Ich hatte keine Ahnung!
Walter (kein ungewöhnlicher Name für einen Nica, denn von russischen über Hollywood- bis zu Fantasienamen ist wirklich alles dabei) ist eigentlich Mathematiklehrer, aber EnglischlehrerInnen sind rar – besonders wenn die Schule in einem so armen und verrufenen Viertel liegt. So hat Walter diese Aufgabe übernommen, bis es ihm aufgrund seines Studiums nicht mehr möglich war.
Gemeinsam haben wir den Unterricht für die nächsten Stunden vorbereitet und dank seiner Hilfe fühle ich mich bereit, nächste Woche wieder zu unterrichten.
4. Hab Spaß!
Die kommende Woche werde ich dazu nützen mir wieder zu verinnerlichen warum ich eigentlich da bin, nämlich um mich auszuprobieren, um Neues zu lernen, um Spaß zu haben und mich eben genau nicht zu stressen. Am Tag meines kleinen Nerven Zusammenbruchs hatte ich das schon wieder vergessen. Ich muss niemanden blenden, ich muss nichts beweisen, ich darf einfach Freude an meinen Aufgaben haben und das Privileg genießen, hier sein zu dürfen. Spaß kann man nur haben, wenn man nicht alles so ernst nimmt und vor allem in dieser Hinsicht, kann ich mir einiges von den Nicas abschauen.
Aber davon ein andermal mehr.
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