Von unten wirkt er erhaben und ruhig. Fast harmlos. Der Concepción ist wahrlich ein Prachtbild von einem Vulkan. Ein pyramidenförmiger Spitz der aus der Erde sticht und die Wolken aufspießt. Der friedliche Schein trügt, ich weiß das, denn ich habe den aktiven Vulkan bestiegen, und auch wenn ich mir da oben etwas anderes erwartet habe, meinen Respekt hat der lebende Berg. Ob man nun an einem der schönen Strände des riesigen Nicaraguasees liegt oder mit einem Toña Bier in der Hand vom Bungalow aus auf die saftige Landschaft der idyllischen Insel Ometepe blickt – die Vulkane der Insel dominieren die Gedanken. Zu jeder Seite erheben sie sich, der kleinere Maderas (1394 m) ist längst erloschen, aber der größere (ca. 1610 m), der von der Indigenen Mestlitepe (menstruierender Berg) genannt wurde, hat erst 2010 das letzte mal ausgespuckt.
Keine zwei Tage bin ich in Nicaragua (und zum ersten mal in meinem Leben am amerikanischen Kontinent) und schon steht mir eine anspruchsvolle Wanderung von zehn Stunden bevor. Unser Guide hat uns bereits am Vortag ausführlich vor dem Schwierigkeitsgrad des Concepción gewarnt und versucht uns für den kleineren Maderas zu begeistern. Menschen seien am Concepción schon gestorben, aber das passiert schließlich in den österreichischen Bergen auch und wir wollen auf einen aktiven Vulkan, also treffen wir uns am nächsten Morgen in aller Frühe und Müdigkeit in Altagracia um von dort aus loszuwandern.
Es gibt nur eine kurze Schonfrist, dann geht es recht schnell und unablässig steil bergauf ohne Gnade. Anfangs ist es vor allem die schwüle Hitze, die unserer sechsköpfigen Gruppe, begleitet von zwei lokalen Guides, zu schaffen macht. Wir schwitzen so stark, dass wir kein einziges Mal pinkeln müssen, dabei haben wir alle unsere drei Liter Wasser eingepackt. Das erste Stück wandern wir durch Bananenplantagen, vorbei an Avocadobäumen, Anis- und Ananaspflanzen – der Boden auf der Insel ist aufgrund der Vulkanasche sehr fruchtbar, hier braucht es keine Anstrengung, dass Pflanzen gedeihen. Wir hören die Brüllaffen kreischen und sehen sie hoch über uns auf den gewaltigen Bäumen klettern. Gegen unsere Erwartungen führt ein Großteil des Weges nicht über kahle Steinfelder, sondern durch einen saftig-grünen Dschungel. Die Vegetation wäre atemberaubend, würde ich nicht meinen ganzen schon für den Aufstieg benötigen.
Gnadenlos steil
Wie eine steile Treppe ohne Stufen geht es immer weiter hinauf. Dabei legen wir schnell Höhenmeter zurück. Bereits bei ungefähr 400 gegangenen Höhenmetern bin ich mir sicher, dass ich es nicht schaffen werde. Ich habe das Gefühl mein ganzer Körper wehrt sich gegen den Aufstieg. Wir sind gerade erst los und schon bin ich völlig erschöpft. Ich fühle mich überfordert von denen, die vor mir her laufen und bestätigt von jenen, denen es gleich geht. Eigentlich möchte ich mich einfach nur hinlegen, aber umdrehen ist auch keine wirkliche Option, also gehe ich widerwillig weiter und versuche mich auf meine Beinmuskeln zu konzentrieren. Wie durch ein Wunder überwinde ich das Tief und finde durch das Gehen neue Energie.
Wir kommen höher und höher, aber niemals sehen wir den Gipfel, oder das, was man als Höhepunkt des Vulkans bezeichnen würde. Es wird immer nebliger um uns, man sieht nicht weit, aber was man sieht ist wunderschön. Die Vegetation verändert sich laufend. Das was bei uns als Zimmerpflanzen verkauft wird, wuchert hier ebenso, wie zarte Blüten in allen Farben.
So schön die Natur ist, die ich aus nächster Nähe betrachte, da ich quasi auf allen Vieren den Vulkan besteige – so grausam ist der Weg. Je höher wir kommen, desto mehr kommen die Hände zum Einsatz, das Klima wird feuchter, der Boden matschiger. Immer noch ist kein Ende in Sicht, wir sind schon fast sechs Stunden unterwegs. Mittlerweile geben wir auf die Zeitangaben unseres Guides nichts mehr, denn aus 15 Minuten werden halbe Stunden bis 50 Minuten. Einfach weiter, immer weiter. Der Schweiß vermischt sich mit dem Dunst der Wolken, in denen wir uns befinden. Irgendwann hören wir auch keine Tiere mehr. Jetzt setzt der Wind ein, der immer stärker wird.
Kurz vor dem Ziel schlägt unser Guide angesichts der Wetterlage vor, den gleichen Weg wieder zurückzugehen, aber das erscheint uns unvorstellbar, wenn der Aufstieg schon so schwierig war, muss der Abstieg unmöglich sein. Wir wollen rauf zum Krater, ihn ein Stück umkreisen und dann den geplanten Weg, der uns als „angenehmer“ versprochen wurde, auf der anderen Seite hinabsteigen.
Jetzt sind es nur mehr wenige Meter. Wir riechen eine dezente Note an Schwefel, der aber schnell verweht wird. Ganz oben werden wir von der plötzlichen Gewalt des Windes, dem dicken, feuchten Nebel und der plötzlichen Unwirtlichkeit überrascht. Es stürmt so laut, dass wir uns gegenseitig ins Ohr schreien müssen um etwas zu hören, man kann kaum die Augen offen halten so stark drückt der Wind und innerhalb von Minuten hat die nasse Luft unsere Kleider durchnässt. Eben haben wir noch geschwitzt, jetzt fröstelt es uns. Aber die Steine am Boden sind ganz warm. Und dann stehen wir vor dem Schlund des Vulkans. Wir sehen keine Lava, nur den offensichtlichen Abgrund und Rauch. Ich traue mich nicht näher als 2 Meter an den Krater heran, ein starker Windstoß und es könnte uns in die tiefe Schlucht wehen.
Wir verweilen nicht lange, denn der Vulkan zeigt uns unmissverständlich, dass wir nicht willkommen sind. Wir kämpfen uns um den Krater herum. Es gibt keinen Weg nur Geröll. Hier stolpern oder ausrutschen kann tödlich sein. Ich bin dankbar, dass der Wind uns gegen den Vulkan drückt.
Hinter einem großen Stein, der Wärme abgibt und uns vor dem Wind schützt machen wir eine kurze Pause, bevor wir auf der anderen Seite des Concepción wieder hinabsteigen. Bald hören wir wieder die Vögel und wissen, die „Zivilisation“ des Dschungels ist nahe. Wie im Traum lichtet sich der Nebel, der Wind schwächt ab und es wird grüner und grüner um uns herum. Wir stehen mitten in den Wolken, die wenn sie an uns vorbeiziehen die Sicht auf die sonnenbeschienene Insel freigeben. Der plötzliche Szenenwechsel wirkt völlig unwirklich, als wäre ich einem Alptraum entstiegen und ins Paradies eingetaucht. Leider währt dieses Gefühl nur kurz, denn genauso steil wie es hinaufging, geht es auch wieder runter.
Vulcanosliding
Eine gute Stunde Gehzeit ersparen wir uns zum Glück, da wir einen Abschnitt im weichen Vulkansand laufen können. Anfänglich zögern wir noch ob der Steilheit, aber dann sliden wir den Berg hinab, als hätten wir nie etwas anderes gemacht. Es staubt wie verrückt und ist einfach geil.
Leider deckt der Sandabschnitt nur ein Viertel des Abstiegs ab und so müssen wir auf normalen Weg und mit allerlei Handeinsatz weiter. Wie Äffchen hanteln wir uns hinab und halten uns an allem, das wir zu fassen kriegen. Dabei verdrängen wir den Gedanken an giftige Schlangen, Spinnen oder Frösche, auf die wir dabei greifen könnten. Wie der Aufstieg erscheint auch der Abstieg endlos. Die Hoffnung dass wir doch bald unten sein müssten, weicht leichter Verzweiflung als der Guide noch eine Stunde Gehzeit ankündigt und schließlich als es ins Flache geht, wir uns aber noch immer im Nirgendwo befinden, resignierender Apathie. Doch irgendwann hören wir den Lärm der Straße – that sweet, sweet sound!
Mit einem Chickenbus, in den wir uns gerade noch quetschen können, kommen wir zurück zu unserem Wagen und bestätigen, das nicaraguanische Vorurteil, dass Chele (Weiße) stinken.
Zurück bei der Einstiegsstelle beschließen wir, direkt zum Ojo de Agua zu fahren – ein Schwimmbecken umgeben von hohen Bäumen und gespeist von einer Quelle mit sehr klarem, vulkanischem Wasser. Da es schon spät ist, sind wir die einzigen dort und hüpfen einfach mit unserer Unterwäsche ins herrlich kühle Nass. Langsam löst sich der Dreck vom Körper, nicht aber das Gefühl, heute ein Stück über sich selbst hinausgewachsen zu sein.
(Beweisfotos: hier)
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