Escape, Transsib Reise
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Transsib Teil 3 – Einleben im Zug

Start des Abenteuers am Platz der drei Bahnhöfe

Unsere transsibirische Reise beginnt am Platz der drei Bahnhöfe in Moskau. Am Leningrader Bahnhof, kommen wir mit dem Sapsan-Schnellzug aus St. Petersburg an. Der Kasaner Bahnhof, ist ein weiterer wichtiger Kopfbahnhof. Der Jaroslawer Bahnhof ist Ausgangspunkt der Transsibirischen Eisenbahn. Auch die Züge in den Norden, den Ural sowie in die Mongolei und nach China starten hier. Wir haben einige Stunden Zeit bevor unser Abenteuer beginnt, bleiben aber in Bahnhofsnähe.

Gut gewappnet mit Fertignudelsnacks

Zuerst decken wir uns in einem Billa mit reichlich Proviant ein: 10 Schokoladetafeln, Knabberzeug, Nüsse, 2l Wasser pro Person, Wurst, etwas Gemüse, Brot, Senf, natürlich Kaviar und Wodka sowie eine bunte Auswahl an obligatorischen Fertignudelgerichten mit Hühner-, Rind- und Schwammerlgeschmack. Weil die Instant-Nudeln einfach nur mit heißen Wasser aufgegossen werden, sind sie eine beliebte Transsib-Reisenahrung. Für manche stellen die Industrie-Ramen Frühstück, Mittag- und Abendessen dar. Der Geruch der Gewürzmischungen erinnert mich ein bisschen an Urin. Gesund ist das alles bestimmt nicht, aber eine Transsib-Reise ist auch kein Wellnessurlaub.

Der Österrreich-Vorteil

In einer spartanischen Kantine in Bahnhofsnähe essen wir sehr günstig bevor unser Transsib-Abenteuer beginnt. Hier haben wir unsere erste gebrochene Unterhaltung auf Russisch mit einem Nachwuchs-Fußballtrainer, der uns über unseren Beziehungsstatus ausfragt, Amerika schlecht und Österreich super findet. Immerhin eine gute Sache hat die schwarz-blaue putinfreundliche Regierung in Österreich: Sobald die Russinnen und Russen erfahren, dass wir weder aus Deutschland oder Frankreich noch aus England sind, werden wir gleich viel wohlwollender empfangen. Auf politische Diskussionen lassen wir uns nicht nur aufgrund unserer mangelnden Sprachkenntnisse nicht ein.

Abfahrt am Jaroslawler Bahnhof

Kurz vor Mitternacht fährt der Rossiya Zug los. Am Bahnsteig des Jaroslawler Bahnhofs gehen wir ein ganzes Stückchen am scheinbar endlosen Zug entlang, bis wir bei unserem Wagon relativ weit vorne ankommen. Dort werden wir von einer kleinen, blonden Schaffnerin (Provodniza) namens Svetlana empfangen. Sie kontrolliert unsere Pässe und Tickets bevor wir einsteigen dürfen und wird uns für die nächsten drei Tage begleiten. In der Nacht teilt sie sich die Verantwortung mit einer Kollegin.

Das Kupe für vier Personen

Aufgeregt beziehen wir unser Abteil – Kupe – und sind begeistert wie komfortabel ein paar Quadratmeter sein können. Da Moskau die Anfangsstation und es Schlafenszeit ist, sind unsere Betten bereits bezogen. Sogar Steckdosen und kleine versteckte Stauräume für unsere Wertsachen gibt es im Abteil. Die großen Rucksäcke werden oben auf einer Abladefläche verstaut, die Plastiksackerl mit den Essensvorräten schieben wir unter die Sitzbänke.

Alles eine Frage der Logistik

Da wir vier Personen sind, ist die  zweite Klasse für uns ideal. Jedes Kupe hat vier Schlafplätze: zwei oben, die tagsüber als weitere Ablagefläche dienen können und zwei unten, die auch als Sitzplätze für die Oben-Schlafenden herhalten müssen. Unter Freunden ist das kein Problem, mit fremden Mitreisenden kann das allerdings doch recht intim und auch komplizierter sein. Da muss dann ausgehandelt werden, wohin die Matratze nach dem Schlafen kommt und ab wann man sich nach unten dazu setzen kann.

Alkoholverbot im Zug

Nachdem wir es uns richtig gemütlich haben, sind wir zu euphorisch, um zu schlafen. Daher packen wir den Wodka aus und konsumieren gleich mal ein Drittel unserer Vorräte. Dabei achten wir darauf, dass Svetlana nichts bemerkt, denn Alkohol ist außerhalb des Restaurant-Abteils verboten.

Wir verbringen eine äußerst gemütliche Nacht, in der uns das Schaukeln des Zuges sanft in den Schlaf wiegt.

Zugalltag

Am nächsten Morgen kann ich den Blick aus dem Fenster kaum erwarten. Die Burschen unten schlafen noch, also gehe ich auf den Gang. Ich sehe: Wiesen und Birken. Dieses Bild verändert sich für die nächsten Tage kaum. Macht nichts, wir stehen trotzdem oft stundenlang am Fenster und schauen wie hypnotisiert.

An den Gängen kommen die Reisenden zusammen. Es sind sehr wenig Tourist*innen an Board. Wir entdecken nur eine Alleinreisende aus Argentinien, später, nach Novosibirsk, zwei junge Polinnen. Vor allem Russ*innen reisen mit uns, viele Versehrte, vielleicht weil in Moskau die medizinische Versorgung besser ist? Wir wissen es nicht.

Wenn wir das kochend heiße Wasser aus dem Samowar neben dem Kupe der Provodniza holen, erhaschen wir kurze Blicke in die Abteile der anderen Mitreisenden. Der Stil im Zug ist leger, man trägt bequeme Jogginghosen, Flip Flops und viele Männer gehen gleich oben ohne.

Unterschiedliche Komfort- und Sauberkeitslevel

Bei einer Wanderung durch den Zug, können die Qualitäten der einzelnen Wagons verglichen werden. Ein großes Klo mit verschließbaren Abfluss und Duftspray ist Luxus. Ein erste Klasse Abteil hat sogar eine Dusche. Die dritte Klasse verströmt hingegen eine beklemmende Lager-Atmosphäre und wir bereuen kurz, dass wir ausgerechnet den längsten Abschnitt der Reise nicht in dem gemütlichen Kupe verbringen können – schließlich ist ja schon alles gebucht.

Die Provodniza achtet auf die Ordnung und Sauberkeit im Wagon. Zweimal am Tag saugt Svetlana die Abteile. Es gibt zwei Toiletten, die auch über ein kleines Waschbecken mit Spiegel verfügen und in der Regel recht sauber sind. Für Katzenwäsche reicht es jedenfalls und solange die Klimaanlage läuft, riecht man den Mix aus Körpergerüchen und Instant-Nudeldunst kaum.

Einmal stellt Svetlana mit einem charmanten Lächeln ein Körbchen voller Souvenirs in unser Abteil: Merchandise des Zugunternehmens, klassische Transsib-Gläser mit Gusseiserner Halterung, WM Maskottchen. Sie komme später wieder, bedeutet sie uns. Obwohl wir nichts kaufen wollten, werden wir nach einiger Zeit doch neugierig und durchforsten das Sortiment. Schließlich kaufe ich einen edlen Kugelschreiber mit einer goldenen Eisenbahn am Verschluss und Julia einen USB-Stick in Zugform. Die Verkaufsstrategie wirkt.

Ivan der Pilot

Gleich am ersten Tag im Zug auf der Transsib-Reise lernen wir Ivan kennen, der trotz unserer spärlichen Russischkenntnisse unverdrossen das Gespräch sucht. Mit vier Goldzähnen lächelt er uns verschmitzt an und rubbelt sich über die noch schwarzen Haare, während er überlegt, wie er sich dieser begriffsstutzigen Truppe doch noch verständlich machen kann.

Dank Pantomime, ein paar Brocken hastig gelerntes Russisch und der deutschen Wörter, an die sich Ivan erinnert, können wir uns unterhalten. Ivan war Militär-Pilot, erzählt er uns. In der DDR ist er abgestützt und hat sich dort eine Kopfverletzung zugezogen. Das Merken neuer Informationen falle ihm daher schwer, entschuldigt er sich, weil er öfters nach unseren Namen und woher wir kommen fragt.

Xopoшo statt Ok

Ivan und seine Frau waren in Moskau wegen einer Therapie oder Kur und fahren jetzt zurück nach Perm, das 1.433,26 km entfernt von Moskau liegt. Wie zuvor der Fußballtrainer will Ivan wissen, ob wir verheiratet sind, Kinder haben und warum wir nach Russland reisen – das interessiert alle Russen und Russinnen, denen wir begegnen. Ivan stört sich daran, dass wir ständig „OK“ sagen. Das sei kein gutes Wort, zu amerikanisch, wir sollten ein anderes Wort verwenden: „Khoroscho“ zum Beispiel – Das bedeutet „Gut“. „O…äh Khoroscho“ wiederholen wir artig.

Ungezwungener Umgang im Zug

Die russischen Reisenden gehen sehr familiär miteinander um. So nehmen wir an, dass die Kinder in unserem Wagon die Enkel von Ivan und seiner Frau sind, doch in Perm steigen nur die beiden aus, die Kinder fahren weiter.

Bevor Ivan aussteigt wird seine Pyjamahose gegen eine lange Stoffhose und ein Hemd ausgetauscht, das er bis auf zwei Knöpfe bis oben zuknöpft. Er kommt noch einmal in unser Kupe und wünscht uns Gesundheit, ein langes Leben und noch andere Dinge, die wir zwar nicht wörtlich, aber mit dem Herzen verstehen. Er küsst Julia und mir zum Abschied die Hand, wir bringen nur ein überfordertes „Spasiba“- спасибо, Danke – und „Alles Gute“ auf Deutsch hervor. Ich sehe aus dem Fenster, wie das kleine, alte Ehepaar über die Bahngleise davon trottet und undefinierbare Melancholie erfasst mich.

Unser Kupe-Nachbar, Ivan.

In Perm sind wir erst bei der Hälfte unseres ersten Reiseabschnitts angelangt. Noch 1.534,03 km bis Novosibirsk. 

Nächster Bericht: Im transsibirischen Rhythmus

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