Challenge: Nicaragua
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Erster Schultag

Heute hatte ich meine Einweihung als „maestra de inglés“. Vier Unterrichtsstunden mit den Stufen 5 und 6 (Grundschule) und ich fühle mich ungefähr so, als hätte ich schon wieder den Vulkan Concepción bestiegen. Gestern, als ich erfahren habe, wann und wie viele Klassen ich unterrichten werde (sechs Schulstufen, insgesamt ca. 250 Kinder), habe ich mich gewissenhaft vorbereitet. Ein bisschen wiederholen, hello, good morning, wie heißt du, woher kommst du etc., einmal schauen was geht, nichts Schwieriges für den Anfang. Ein Spiel, Gruppenarbeiten mit Bildern, damit ich sehe, wo meine Schülerinnen eigentlich stehen. Da mein Spanisch noch sehr basic ist und ich angesichts des Dialekts der Nica regelmäßig verzweifle, habe ich mir alles was ich sagen möchte, typisches Unterrichtsvokabular, sorgfältig in Spanisch notiert.

Mit dem Chickenbus fahre ich ins Viertel Walter Ferrety, wo das Colegio Solidaridad entre los pueblos liegt. Ich gehe 50 Minuten vor Unterrichtsbeginn los, da man nie wissen kann wann ein Bus kommt und prompt fährt der bunt bemalte und ausgiebig dekorierte Bus aus dem Countrymusik schallt, in die Station.

Mein Unterricht beginnt um 7.50. Die frühe Unterrichtszeit hab ich selbst gewählt, denn da ist die Temperatur noch halbwegs angenehm.

Ich betrete die Klasse und werde mit einem lautstarken „Buenos Dias“ im Chor begrüßt. Ich stelle mich auf Spanisch und Englisch vor, erkläre ihnen, wie wichtig es ist, dass sie viel Englisch sprechen werden, aber keine Angst vor Fehlern haben sollen und beginne mit dem Unterricht.

Als mich, auf meine einleitenden Fragen „What’s your name?“, „How are you?“, 55 Neunjährige mit großen, fragenden Augen anstarren, wird mir schnell klar, dass ich das Niveau überschätzt und ich mich falsch vorbereitet habe. Die Kinder wirken etwas geschockt, dass im Englischunterricht tatsächlich Englisch gesprochen wird – ich bin geschockt, dass es soweit ist und ich jetzt tatsächlich Spanisch sprechen muss.

En inglés, por favor

Maria, die Klassenlehrerin, die zur Unterstützung anwesend ist, versucht mir so gut es geht zu helfen, aber sie spricht kein Englisch und meine Spanischkenntnisse degenerieren mit steigendem Stresslevel.

Ich versuche meinen Schülern und Schülerinnen ein Vokabel-Lern-Spiel zu erklären und sie verstehen nicht einmal ansatzweise worauf ich hinaus will. Dennoch amüsieren sie sich prächtig und ich überlege kurz, ob ich mich einfach heimlich davonschleichen soll, in dem Getümmel bemerkt man es vielleicht nicht. Außerdem habe ich das Gefühl, dass die Kinder immer mehr werden. In nur wenigen Unterrichtsminuten habe ich es geschafft das pure Chaos zu verbreiten und ich nehme mir fest vor, das Thema „Strukturierter Unterricht“ ernster zu nehmen.

Ich versuche erneut Englisch mit ihnen zu reden, aber diesmal formuliere ich alles auch sorgfältig auf Spanisch und sie antworten mir begeistert in Spanisch zurück.

Ich probiere etwas anderes, teile sie in Gruppen und versuche so die Masse zu managen. Das funktioniert nicht schlecht, aber ständig bin ich von Kindern umringt, die mich etwas fragen, dass ich nicht verstehe. Am Ende des Unterrichts bittet mich die Lehrerin, nicht immer mit „sí, claro“ zu antworten, wenn die Schüler mich fragen, ob sie aufs Klo gehen oder trinken dürfen, weil wir sonst bald keine Kinder mehr in der Klasse haben.

Ich bin verschwitzt und völlig fertig und es wird immer heißer in den Klassenräumen, die mit Wellblech abgedeckt sind. Ventilatoren gibt es nicht, auch kein fließendes Wasser. In meinem Wunsch nicht allzu sehr aufzufallen (was ja prächtig funktioniert) trage ich wie alle hier lange Jeans und finde es ganz unerträglich. Dabei habe ich mir sowieso schon ein riesiges No-Go erlaubt, da ich in bequemen Flip-Flops gekommen bin, nicht in geschlossenen Schuhen oder Sandalen (man kann nicht über Nacht Nica werden).

Die Pause vergeht wie im Flug, so dass ich gar keine Zeit habe, mir Sorgen zu machen, wie es sonst so meine Art ist. Meine Kollegin erklärt mir auf Spanisch was gut und was schlecht war – das vermute ich zumindest – und wir beschließen das nächste Mal den Unterricht gemeinsam vorzubereiten. Am Pausenhof bin ich umringt von Kindern, die mir immerhin nach meiner Stunde schon: „Hello teacher“ zurufen und es sich zum Sport machen, mich alle einmal zu umarmen.

Zweiter Versuch

Für meine nächste Klasse bin ich vorgewarnt und gehe es langsamer an, schreibe brav alles in Großbuchstaben auf die Tafel und taste mich ganz langsam vor.                                                                                                                                                                    Der Klassenlehrer der Schulstufe 5 geht inzwischen vor die – ohnehin immer offene – Tür für ein Tratscherl. Diesmal habe ich das Forschrittsniveau besser eingeschätzt und insgesamt verläuft die Stunde um einiges überschaubarer, wenn auch nicht weniger anstrengend. Ich schwitze, ich rede grausam schlechtes Spanisch, ich improvisiere und erfinde in Sekundenschnelle Aufgaben, verliere zwischendurch mal die Stimme, weil ich so lautes Reden nicht gewöhnt bin und beantworte Fragen, die ich nicht verstehe auf gut Glück, während mich ein Schwarm Kinder umringt und mir ihre Hefte entgegenstreckt um ihre Aufgaben zu korrigieren.

Viel Englisch haben wir noch nicht gesprochen, aber die „chigüine“ (niños in Nicañol) haben ihren Spaß.

Am Ende bekomme ich einen tosenden Applaus und ein Mädchen sprüht mir einen Spritzer Parfüm in einem rosa Flakon aufs Dekolletee bevor sie mich fest umarmt. Message understood. Wie in Trance gehe ich ins LehrerInnenzimmer und schnaufe kurz durch, bevor ich den Bus zurück nehme und erst mal unter die kalte Dusche springe. Morgen sind die Kleinsten dran!

 

 

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