Bluefields – Pearl Lagoon – Pearl Keys
Ich komme viel zu wenig zum Schreiben, dabei gibt es noch soviel zu erzählen. Nicaragua hat mein anthropologisches Interesse wiedererweckt und am liebsten würde ich mich in eine Bibliothek setzen und über all die Orte recherchieren, die ich hier in Nicaragua besucht habe. Vor allem würde ich gerne Gespräche mit den Leuten führen können. Aber für beides brauche ich neben Zeit vor allem besseres Spanisch.
Aber wo war ich letztes Mal stehen geblieben? In Bluefields, die Hauptstadt der karibischen Atlantikküste, die praktisch nur über den Wasserweg mit Panga erreichbar ist.
Aufgrund meines sehr kurzen Aufenthalts in der Hafenstadt, kann ich nur berichten, was mir die hiesigen Expats mit denen wir für ein paar Tage unterwegs waren, erzählt haben sowie was ich bisher über Bluefields lesen konnte.
Buntes Bluefields
Bluefields ist die Hauptstadt der Región Autónoma del Atlántico Sur (RAAS). Seine Bevölkerung (ca. 60.000Ew.) ist sehr durchmischt. Die größte Gruppe stellen die spanischsprechenden Mestizo – Nachfahren der indigenen Bevölkerung, die sich mit den spanischen Kolonialisten vermischt haben und die Mehrheitsbevölkerung in ganz Nicaragua darstellen. Die zweitgrößte Gruppe ist jene, der englischsprechenden Kreolen, die vermischte (west)afrikanische, europäische (vor allem britische) und natürlich amerikanisch-indigene Wurzeln haben. Aber auch kleinere Gemeinschaften von Miskito (indigene Bevölkerung, die sich mit den Briten verbündet hat), Garifuna (afrikanisch-karibischer Abstammung), Chinesen, sowie die kleinste Gruppe, der indigenen Völker wie die Sumu und Ramas.
Eine Statue aus dem Historical Museum of the Atlantic Coast welche die verschiedenen Kulturen Bluefields darstellt.
Isoliert aber in einen Haufen Probleme verstrickt
Viele Bewohner der Pazifikküste meiden die Karibikküste, deren Bevölkerung als gefährlich verrufen ist. Die beiden Küsten unterscheiden sich nicht nur kulturell, sondern auch strukturell. Während auf der Pazifikküste Nicaraguas laut Martina in den letzten 10 Jahren die Straßeninfrastruktur beträchtlich ausgebaut wurde, wurde sowohl die Süd- als auch in der Nordregion der Atlantikküste strukturell vom Staat vernachlässigt.
Bluefields hat mit vielen Problemen zu kämpfen, die zwar dem Rest des Landes auch nicht fremd sind, doch die Region ist Spitzenreiter im Drogenhandel und was (die daraus resultierende) Gewalt betrifft. Hinzu kommen Konflikte über Land, da immer mehr Mestizos an die Atlantikküste ziehen, Bedrohung der Sprache und Kultur der kleineren ethnischen Gruppen, großflächige Armut und Arbeitslosigkeit, die höchste Rate an Schwangerschaften bei unter 15-Jährigen (generell ein großes Problem in Nicaragua), die zweit-höchste Rate an HIV/AIDS Erkrankungen und seit den 70ern Jahren hält Bluefields Platz eins bei den sexuell übertragbaren Geschlechtskrankheiten. Ein schockierend offener und resignierender Bericht von 2003, eines damaligen Bürgermeisters von Bluefields in der Zeitschrift Envio, zeigt die im wahrsten Sinne verzwickte Situation der vom Rest des Landes so Isolierten Stadt auf: http://www.envio.org.ni/articulo/2109
Seine Lage hat die Karibikküste zu einem Hotspot des Drogenhandels gemacht.
Wenn kolumbianische Drogenhändler merken, dass ihnen Interpol auf den Fersen ist, werfen sie ihre in Plastiksäckchen verpackte Wahre ins Meer. Die Päckchen, auch „White Lobster“ genannt, werden an die Karibikküste gespült oder von den Fischern gefangen und so werden arme Leute über Nacht reich. Angesichts der fehlenden beruflichen Perspektiven, selbst mit einem Universitätsabschluss, und einer (angeblichen) Arbeitslosigkeitsrate um die 70 Prozent (wobei solche Statistiken schwierig zu beurteilen sind, weil es unzählige inoffizielle, legale Beschäftigungen gibt) ist das Geschäft mit der Sucht ein wichtiger Wirtschaftszweig der RAAS geworden. Drogen werden natürlich nicht nur an der atlantischen Küste verkauft und konsumiert, aber das Problem scheint in diesen Gegenden mittlerweile unlösbar.
Unsere eigenen Eindrücke sind allerdings vor allem von Müdigkeit, schwüler Hitze, dem lustigen Creole English, Lärm und vielen bunten Farben bestimmt.
In Bluefields sehe ich auch den ersten von einer Reihe an Begräbniszügen, die sich alle sehr von unseren unterscheiden. Dieser war vermutlich für einen verstorbenen Taxifahrer. 20 Taxis fahren langsam vor einer Trauergemeinschaft, die zu Fuß folg. Sie stoppen an der Stelle seines Todesortes, was wir dadurch erfahren, da einer der Taxifahrer schreit: „Aquí se murió. Aquí“ (Hier starb er, hier), und einen anderen Mann auffordert, noch einen Schuss Böller abzufeuern und noch einen: „Otro! Otro!“
Die Szene zieht wieder an uns vorbei, gefolgt von einem Eisverkäufer, der sein kleines Wäglein vor sich herschiebt, dessen Glocken unermüdlich und hell klingeln.
Auch das Bild ausgehöhlter Panzer von Riesenschildkröten, deren Fleisch an den Straßen verkauft wird, drängt sich mir auf, wenn ich an Bluefields denke.
Ich selber fühle mich als Fleischesserin nicht berechtigt, zu diesem Thema eine Meinung abzugeben – es hat mich schon geschockt, gleichzeitig ist es die Lebensgrundlage der Miskitos. Doch ich habe einen interessanten, kurzen Bericht zu dem Thema gefunden: http://www.greenpeace-magazin.de/magazin/archiv/5-98/vom-leben-eines-fischervolkes-und-vom-sterben-einer-bedrohten-art/
Den Abend verbringen wir gemeinsam mit den Freunden von Martina, die hier wie fast alle anderen Expats in einer NGO oder ähnlichen Organisation, arbeiten. In dem Restaurant, in dem wir Abendessen, wird gleichzeitig Disco und Karaoke gemacht und das natürlich in der Lautstärke einer dreistöckigen Großraumdisco. Wenn die Nicas Party machen, dann soll das auch jeder hören. Wir sind fast 24 Stunden wach, uns dröhnt der Schädel und wir müssen am nächsten Tag wieder früh raus, deshalb widerstehen wir den Tanzaufforderungen der Nicas.
Von Bluefields über Pearl Lagoon zu einer Perle der karibischen Inseln
Am nächsten Tag um 7.30 Uhr geht es weiter. Gestärkt mit dem Nationalgericht Gallo Pinto (rote Bohnen mit Reis) und Eierspeise machen wir uns auf nach Pearl Lagoon. Auch dieser Ort ist nur mit dem Boot erreichbar.
Pearl Lagoon ist ein kleines karibisches Dorf mit bunten Häusern, Fischerbooten, einigen Kirchen, einem knallblaubemalten Baseballstadium (Baseball ist der Lieblingssport der Nicas), keinem einzigen Supermarkt, dafür viele kleine „Pulperías“, Minimärkte, welche Teil der Wohnhäuser sind. Wir decken uns mit Rum und Bier ein, speisen ganz ausgezeichnet im „Queen Lobster“ (frischgefangenen Sägefisch und meine Lieblinge: Brotbaumfruchtchips) und fahren dann mit der Panga weiter zu unserem eigentlichen Ziel: den paradiesischen Pearl Keys – eine tropisch-karibische Inselkette mit – aufgrund des steigenden Meeresspiegels nur mehr – 12 kleinen Inseln.
Von Bluefields Richtung Pearl Lagoon
Kinder beim Baseball spielen in Pearl Lagoon
credit: Rosenfuchs credit: Rosenfuchs credit: Rosenfuchs
Wieder steht uns eine rasante Fahrt bevor, noch dazu geht es diesmal ins offene Meer hinaus und das Boot klatscht hart am Meer auf, wenn es über die hohen Wellen springt. Wir lassen die braune Suppe, die Bluefields und Pearl Lagoon umgibt, hinter uns und fahren immer weiter ins dunkle Blau.
Bei einem Militärstützpunkt müssen wir halten und zwei Soldaten durchsuchen aufs Peinlichste genau unser gesamtes Gepäck – wir sind 10 Leute, daher dauert das Ganze fast eine Stunde. Dick eingepackt wegen der Bootsfahrt, die hier normalerweise recht kühl ist, stehen wir in der prallen Sonne, während uns die aggressiven Hunde der Soldaten misstrauisch beknurren, und beobachten wie die beiden Männer jedes Kontaktlinsendöschen öffnen und Socken einzeln aufrollen. Das ganze dauert eine Stunde!
La Isla Bonita
Als wir endlich am Ziel angelangt sind, weiß ich, dass sich alles gelohnt hat.
Weißer Strand, Palmen, türkises Meer – Absolut Postkartentauglich, keine Frage.
Die Insel ist so klein, dass man sie in 15 Minuten umrunden kann und sie gehört quasi uns. Nur ein Miskito, der die Insel bewacht, lebt hier dauerhaft in einem kleinen Verschlag. Ein Hund, eine Katze und ein paar Hühner leisten ihm Gesellschaft, wenn gerade keine Touristen die Insel besuchen. Seine Frau und sieben Kinder in Bluefields besucht er alle drei Monate.
Beware of the coconut
Die zwei Männer, die diese Tour organisieren, schlagen die Zelte auf und wir widmen uns dem süßen Leben, mit schwimmen, chillen und ausgiebigen „Coco Loco“ trinken. Wir haben Rum, eine Machete und Kokosnüsse gibt es hier soviel wie Sand. Weswegen wir auch ein Formular unterschreiben mussten, in dem wir davor gewarnt werden, uns nicht unter die Kokospalmen zu stellen – eine schier unmögliche Aufgabe, da die Insel praktisch aus Palmen besteht.
Wir versuchen trotzdem so gut es geht, nicht direkt unter einer zu stehen, niemand möchte an so einem Traumort von einer Kokosnuss erschlagen werden.
credit: Josef Fuchs credit: Josef Fuchs
Um unsere kleine Robinson Crusoe Insel liegen in Sichtweite vier andere Pearl Keys. Eine besteht aus nur vier Palmen. Auf einer wird die spanische Version des Dschungelcamps gedreht. Eine andere gehört angeblich einem Drogenboss. Auch unsere Insel wurde eigentlich von einem reichen Ausländer gekauft, der sich dort ein Haus bauen wollte. Aber die Einheimischen haben sein Vorhaben so erfolgreich boykottiert, dass er irgendwann aufgeben musste. Die zweistöckige Villa steht halbfertig inmitten der Insel.
Als die Sonne untergeht, gibt es kein Licht außer das der Sterne über uns. Wir liegen in den Hängematten, lauschen den Wellen und leeren die 2Liter Flasche Rum während unsere Guides Spaghetti kochen.
Da kann man schon sehr, sehr zufrieden sein.
Bevor wir in den Hängematten oder im Sand einpennen, schaffen wir es noch ins Zelt und schlafen glücklich ein.
Dinner in the Dark (credit: Rosenfuchs)
Friedlich einschlafen, stürmisch erwachen
Um drei Uhr früh werden wir unsanft aus dem Schlaf geweckt. Über Nacht hat sich ein tropischer Sturm gebildet, der wild an unserem Zelt rüttelt. Noch dazu ist das Gemeinschaftszelt, dass Petra, Josef, Stefan und ich, uns teilen, völlig undicht. Auf Petras und Josefs Seite ist schon ein kleiner See entstanden. Stefan und ich sind zu müde um uns aufzuregen und bleiben teilnahmslos im Regen liegen. Es stürmt und wettert bis zum Morgen. Alle unsere Sachen sind nass oder feucht, aber zum Glück klärt es gegen 9 Uhr auf und bei der Hitze trocknet alles schnell.
Zum Frühstück gibt es Eierspeise, Bohnen und Kaffee. Danach gehen ein paar von uns Schnorcheln. Es gibt viele Korallen, die leider von einer schlammartigen Schicht überzogen sind, dafür aber auch riesige leuchtend rote, gelbe und orange Seesterne. Fische entdecke ich erst beim zweiten Versuch an einer anderen Stelle.
credit: Rosenfuch credit: Rosenfuchs
Wir verbringen den Tag damit in der Hängematte zu entspannen und auf Petras Geburtstag anzustoßen.
Zum Mittagessen gibt es die traditionelle kreolische Fischsuppe „Rondon“ aus Kokoswasser, ganzen Krebsen, Languste, Schrimps, Fischstücken, Yucca, Kochbananen, Kartoffeln, Quequiste (ein Wurzelgemüse), Limette, Zwiebeln und vielen feinen Gewürzen. Muy rico!
Dieses Huhn hat keine Eier gelegt und wurde zur Strafe angebunden.
Leider müssen wir unsere Insel auch wieder verlassen. Wir übernachten diesesmal in Pearl Lagoon im Casa Ulrich und feiern Petras Geburtstag. Bei einem lokalen Bäcker – ein Basketballspielergroßer, pummeliger Rastaman – bestellen wir eine der schön kitschigen Torten, welche die Nicas alle so lieben. Wenn das mal kein gelungener Geburtstag war.
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