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13 Gründe nach Estland zu reisen

Estland

„Nicht nach Island, nach ESTland fliegen wir.“ Nein, Estland ist eher keine Destination, die den Neid der Daheimgebliebenen wecken könnte. Die Estinnen und Esten selbst reagieren überrascht über weit hergereiste TouristInnen. Doch damit tut man dem nördlichsten Land des Baltikums wirklich Unrecht, denn Estland ist landschaftlich eine Mischung aus dem flachen Niederlanden und  den bullerbüresken Skandinavien, im Vergleich zu diesen aber äußerst preiswert.

Und Estland ist schön – nicht spektakulär atemberaubend, eher auf eine unaufgeregte, bodenständige Art. Mal niedlich, mal melancholisch. Doch es gibt noch weitere Gründe Estland zu bereisen.

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Typischer Häuserstil in Estland: pastellbunte Holzlatten

1. Estland ist touristisch quasi ein „weißer Fleck“ am Rande Europas

Wer die üblichen Touristen-Destinationen lieber meidet, dem sei Estland wärmstens empfohlen. Auf unberührten Pfaden wandeln, fällt in Estland leichter als in manch exotischer anmutenden Gegend. Abgesehen von Tallinn ist das Land kaum touristisch erschlossen. In Thailand etwa kommt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln weitaus einfacher herum, als in Estland. Ein Auto zu mieten ist daher empfehlenswert. Damit erreicht man unkompliziert und schnell alle Nationalparks, Seen, Strände und einige der 1520 Inseln, die an Estlands Ostküste lagern, mit den schönen Namen: Vormsi, Hiiumaa, Saaremaa und Mihu.

2. Ideal für Radtouren aber „BYOB“

Aufgrund des Mangels an Erhebungen, eignet sich das Land ideal dazu, es mit dem Rad zu erkunden, obwohl der Ausbau an Radwegen dürftig ist. Zum Glück ist der Straßenverkehr sehr gering und die EstInnen rücksichtsvolle FahrerInnen, was das Radfahren fast überall möglich macht. Mit dem Rad kann man die unbeschreibliche Pflanzenvielfalt am besten bewundern. Für BlumenliebhaberInnen ist Estland ein Paradies, denn man muss nur am Straßenrand stehen bleiben. Leider machten mein Freund und ich den Fehler, uns keine professionelle Radausrüstung zu besorgen, sondern die klapprigen Eingangräder unserer Hüttenvermieter für unseren Tagesausflug auszuleihen. Nicht eine unserer besten Ideen. Nächstes Mal befolgen wir die Regel: Bring your own bike.

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Im Wald wildert es von Beeren, was gut ist, denn wenn man sich bei einer „Abkürzung“ im Wald verirrt, muss man zumindest nicht verhungern. Rein theoretisch natürlich.

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3. Fun Facts über die EstInnen und Estinnen

EstInnen sind ein sehr zurückhaltendes Volk, vielleicht liegt es daran, dass sie erst seit 20 Jahren ausnahmsweise nicht von einem anderen Land besetzt sind. Bei ihrer Geschichte ist es erstaunlich, dass sie ihre eigentümliche Sprache erhalten konnten. Sie besteht hauptsächlich aus Ks und Üs und klingt so wie die Fantasiesprache die ich früher als Kind mit meiner Schwester erfunden habe (Üksikaksilüsikluskimü). Vielleicht haben die Besetzer sie deswegen einfach nicht ernstgenommen und ihnen ihren Spaß gelassen.

Die ganze Gender-Debatte wäre mit Estnisch passé, denn diese Sprache unterscheidet nicht zwischen Mann und Frau, ebenso wenig gibt es eine Zukunftsform. „Estonians have neither sex nor future“. Was wunderbar simpel klingt wird leider durch 12 Fälle zunichte gemacht.

Where is the god of beer and sauna?

Fast 90% der EstInnen sind Atheisten. Kein Papst, kein Allahu Akbar, einfach gelassene Nüchternheit. Eine schöne Abwechslung, wenn auch etwa surreal, als wäre Estland irgendwie schon weiter oder einfach vor langer Zeit stehen geblieben.

Insgesamt kann man jedoch sagen, die EstInnen sind von kühlem Gemüt. Die einzigen Dinge für die EstInnen eine Art Enthusiasmus entwickeln können sind Bier und Sauna. Wenn sie etwas gut finden sagen sie „Normalne“, was so viel heißt wie: „ganz ok“ auf Estnisch und „supergeil“ in allen anderen Sprachen.

Pink Politics

Wichtige Gebäude wie das Parlament oder Rathäuser scheinen die EstInnen gerne rosa anzumalen. Das hat den Vorteil, dass es zum einem sehr entzückend aussieht, und zum anderen kleine Mädchen schon früh für Politik begeistern kann, beziehungsweise kleinen Buben Berührungsängste davor nimmt, mit Puppen zu spielen.

Das estnische Parlamentsgebäude

Das estnische Parlamentsgebäude

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Rathaus in Tartu

Außerdem haben sie bei allem was Internet und Social Media betrifft die Nase vorn, angeblich sucht sogar der estnische Premierminister seine First Lady über Tinder.

Laut unserem estnischen Stadtführer sind die EstInnen zudem sehr schadenfrohe Nachbarn. Besser als wenn einem etwas Gutes passiere, sei es, wenn dem Nachbarn etwas schlechtes passiere. Das ist ein sehr gemeines Klischee, aber Image ist den EstInnen offenbar auch egal.

Das zeigt sich mitunter auch an dieser Schrulligkeit: Einmal im Jahr versammeln sich alle EstInnen zum Volkslied-Wettbewerb und ganze Dörfer treten singend gegeneinander an. Manchmal dürfen auch andere Völker dort auftreten, letztes Jahr z.B. die Chinesen.

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Auch nett, das schiefe Haus von Tartu

4. Allgegenwärtige Sauna

Jedes Billig-Hostel hat eine eigene Sauna und da Estland von Hitzewellen, wie wir sie in Mitteleuropa kennen, bisher verschont geblieben ist, kann man diese auch im Sommer gut gebrauchen. Es gibt nichts Schöneres als nach einem stechend-heißen Aufguss bei dem man sich kräftig mit Birkenzweigen ausgepeitscht hat, in einen kalten See zu hüpfen.

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Straßenname in Helsinki, zwei Stunden entfernt von Tallinn

5. Einsamkeit

Andere wollen Sonne, Strand und Meer, andere wollen „Hauptsache nichts mit Menschen“. Diesen Anspruch entspricht Estland zu genüge. Wir haben auf unsere Reise Orte besucht, die so einsam waren, dass wir vermuteten, die Leute würden sich nur vor uns verstecken. In jedem anderen Land, wären solch schöne Plätze gefüllt mit Menschen. Es scheint als würden sich die EstInnen die meiste Zeit unsichtbar machen. Und das immer und überall. Man sieht Häuser, Straßen, Strände, Spielplätze etc. aber keine EstInnen. Sie wollen es auch nicht anders. Jedesmal wenn wir mit EstInnen in Kontakt waren (hauptsächlich waren das UnterkunftsvermieterInnen), erschienen sie uns zuerst unfreundlich, da ihre Interaktionen kurz und ernst blieben. Doch dann plötzlich luden sie uns in ihre Haus-Sauna ein, brachten uns einfach so frische Birkenzweige und ein älterer Herr fuhr ohne Ankündigung extra in das nächste Dorf um mir einen Föhn zu kaufen, nur weil ich bei unserer Ankunft nebenbei gefragt hatte, ob es einen gäbe. Kommunikation findet wohl lieber online statt, am besten wenn das Gegenüber Kontinente weit entfernt ist. Deswegen haben die EstInnen auch Skype erfunden.

Ständig begleitete uns die Frage, wo denn alle sind. Aber außer ein paar ausländische Spaziergänger gehört alles uns allein.

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Einsam am Pärnu See

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Einsam auf aufgelassenen Militärflughafen

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Nach einer Woche in Estland empfand ich es schon als Massenauflauf, als wir uns bei einer Kanu-Fahrt im Soomaa Nationalpark den Fluss mit einer fünfköpfigen Familie teilen mussten.

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Im völlig überlaufenen Soomaa Nationalpark

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6. Craft Bier

Estland stellt auch eine wunderbare Alternative zu Brüssel da. Die Vielfalt an Mini-Brauereien ist für so ein kleines Land mehr als erstaunlich und hat den Qualitätstest durch zwei erfahrene Tester mit Höchstnoten bestanden (So schöne Etiketten auf den Flaschen!)

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7. Tallinn

Zugegeben, Tallinn ist ein bisschen kitschig. Als hätte Disney seine Altstadt gebaut. Man braucht schon zwei Tage um das erst mal zu verarbeiten. Aber ich bin die letzte die sich über hübsche mittelalterliche Häuser und Gässchen beschwert, zudem sind die ungleichmäßigen Pflastersteine innerhalb der Altstadt ein wahres Fitnesstraining.

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Zur Abwechslung kann man auch an den nahen Hafen fahren und dort die imposante russische Festung bestaunen, ein Überbleibsel aus der Besatzungszeit.

 

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Aber auch der Hipster in uns, kommt nicht zu kurz. 20 Gehminuten von der Altstadt liegt Taliskivi, ein ehemaliges Fabrikengelände, das ein bisschen an ein gewaltiges WUK oder die Arena in Wien erinnert: Viel Ziegel, viel Graffiti, Kunst im öffentlichen Raum, angesagte Bars, die besten Restaurants und die obligatorischen Tischtennistische für alle, die noch Zweifel hegten, ob sie hier auch wirklich im hippsten Teil Tallinns gelandet sind.

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8. Ein Stückchen Russland

Besucht man bestimmte Orte Estlands, kann man ein Stück Russland erleben, ohne mühsame und teure Visa-Anträge. Bei den Alt-Gläubigen am Peipsi-See etwa speist man traditionell wie vor 300 Jahren, beobachtet die Kellnerinnen mit ihren trotzigen Puppengesichtern und Puppenkleidern, während man selbst von ernsten, alten Männern mit langen Bärten in schwarz-weiß fixiert wird, die auf Fotografien die Wände säumen.

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Das Zwiebelrestaurant der sogenannten „Zwiebelrussen“

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9. Moorlandschaften

Moorlandschaften erinnern immer ein bisschen an Krimi und Leichen. Tagsüber und bei Sonnenschein sehen sie jedenfalls schön und friedlich aus, bis auf die fleischfressenden Pflanzen, die hier einfach so in freier Wildbahn wachsen. Für etwas Nervenkitzel kann man auch in den pechschwarzen Moorseen schwimmen gehen.

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Fleischfressende Pflanze in Estlands Mooren

Fleischfressende Pflanzen

10. Wlan im Wald

Weil offenes Wlan ein Segen ist, besonders wenn es keine Menschen gibt, die man nach dem Weg oder dem nächsten Restaurant fragen kann.

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11. Für Museumsfreaks

Jedes noch so kleine Kaff – also drei Häuser im Abstand von 5 Kilometern – hat ein eigenes Museum – Wir haben sie alle konsequent nicht besucht.

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12. Schaukeln

In Österreich meinen manche „die Schaukel ist das ganze übel“, in Estland ist schaukeln Volkssport. Es gibt Schaukeln für bis zu 20 Personen, es gibt Wettbewerbe im Schaukel überschlagen, es gibt sogar Schaukeln, die einen gewissen Fitnessgrad erfordern, da man mit den Händen an zwei Eisenstangen hängend wippt.

13. Die Nähe zu Helsinki

Mit der Fähre kann man in 2 Stunden in Helsinki sein. Dort ist es zwar so richtig teuer, aber für Architektur-Liebhaber ist Helsinki ein Traum und mit dem richtigen Timing kann man am jährlichen Kaljakellunta Fest in der Usimaa Provinz unweit von Helsinki mitmachen. Seit ich vor vielen Jahren einen Artikel in der Neon darüber gelesen hatte, stand Kaljakellunta auf meiner „Bucket List“, so lange schon, dass ich es fast vergessen hatte. Und so war es auch der Zufall, der uns genau an jenem besagten Wochenende mit der Fähre von Tallinn nach Helsinki übersetzen lies.

Kalja steht für Bier und Kellunta für „fließen“ und das sind auch schon die perfekten Zutaten für das schrägste, bezaubernste und einzigartigste Festival, auf dem ich je war. Und so strömen aus aller Herren und Damen Länder Jung und Alt zum Kerava/Vantaa Fluß um dort mit allem was schwimmt und als Floß dient (z.B. aufblasbare Swimming Pools), sich dem sachten Treiben des Wassers hinzugeben, mit viel alkoholischer Unterstützung.

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Normalne!!!

 

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